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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halmar, Augusto d': Typen aus der "Damnation de Faust" von Berlioz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0414

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Typen aus der „Oainuatiou 6.0 Must" von Berlioz.

Inventars von schnöder Kurzweil, zu schenken geruht.
Er singt es in ihrem Stil, nur leichter, freier.
Überhaupt hat er Spaß am Singen; vielleicht auch
weiß er von dem Menschenglauben: „Böse Menschen
haben keine Lieder". Denn daß er nachher mit dem
Inhalt und der Form seines moralischen Ständchens,
des sittsamen Liedes „Was machst du mir vor Liebchens
Tür" das arme Gretchen, wie er sagt, desto gewisser zu
betören denkt, ist doch nicht so wahrscheinlich, als daß
er das Singen selbst zum Mittel wählt; noch wahr-
scheinlicher aber ist, daß er eben gerne singt — was
auch dem Komponisten erwünscht war.
Denn diesem ist das „sittsame Liedchen" so glücklich
gelungen, daß er sicherlich auch der Psychologie des
Mephisto zum Trotz an ihn: hätte festhalten müssen.
Ein Meisterstück von abgefeimter Anmut, von verletzender
Eleganz, beherbergt es kalte Gleichgültigkeit und warme
Sympathie; es ist, wenn es Teufeleien gibt, eine klassische
Teufelei!
Mephisto in Menschengestalt: hier ist das Bild voll-
endet. Gibt es noch einen Tondichter, dem wir es zu-
trauen dürfen, daß er diese Aufgabe so meisterlich hätte
lösen können?
IV.
KutrekoiZ rm roi äe Umle . . .
Die EÜLnson Aotüi^ue, wie sie Berlioz nennt,
mag wohl manchem schon ein Rätsel geworden sein,
der nach der Ursache des Eindrucks frug, den er von jener
empfängt. Seltsam wahrlich, wie wir uns da in ein
fernes, weltabgeschiedenes, ja wirklich außerhalb der
Grenzen unserer Welt gelegenes Land getragen, wie
wir Urzeitliches zu erleben fühlen bei diesen Klängen,
die doch so ganz europäisch, die ferner so gar nicht alt
sind, unter denen nur ganz sacht und fast unmerklich
einmal eine harmonische Wendung auf eine frühere
Epoche der harmonischen Denkart hinweist, und zudem
auf eine kaum erst vergangene —, denn so ein paar
Jahrhunderte: was sollte das groß gelten, wenn wir
Vorzeit und Außerwelt zu ahnen wähnen? Oder
glaubte jemand, der eine Schritt der übermäßigen Quart,
mit dem die erste und die meisten der folgenden Zeilen
eröffnet werden, lasse uns so empfinden? Aber wollte
man ihn schon erotisch nennen: wir empfinden ja hier-
viel weniger Erotisches als vielmehr ebenErtramundanes!
O großer, hellseherisch weiser Künstler, der das er-
schaffen hat! Groß, weil er diese ewig schöne, erhabene
Melodie bildete; weise, weil er wußte, daß das Alte,
das historisch Gewesene etwas ganz und gar anderes
ist als wie die Empfindung der Nachkommen für das
Längstvergangene! Dieser Empfindung nämlich, keines-
wegs aber der Historie wird jene Chanson gerecht;
sie erweckt, eben durch ihre eigentümlich erhabene
Schönheit, die Ehrfurcht in uns, die wir dem Wieder-
erscheinen des wirklich einmal Gewesenen sehr wahr-
scheinlich nur ausnahmsweise nicht versagen müßten!
Ihr ruhiger Schwung und kühner Flug erhebt, ihre
ekstatisch feierliche Pracht bedrängt uns, und das nut
so sanfter Gewalt, daß, im Grund noch, kaum merklich,
aber doch innig mächtig, ein tieferes Gefühl mit ergriffen
wird, unaufgeregt und eben noch leise angerührt; ja
ein Fühlen von solcher Tiefe, wie es sonst in dem ganzen
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Werk nicht mitschwingt: ein seliges Sichentrücken, ein
überschwänglich wehes Versunkensein!
Wohl, es gibt reichere und gepflegtere Ziergärten,
herrlichere Anlagen, gewaltigere Wälder von Musik denn
dieses Oratorium, als Ganzes gesehen. Aber ich wüßte
keinen so reichen Garten, in dem diese eine Blume nicht
eine beglückende Kostbarkeit wäre!
V.
Wer nur immer das in Kurs gegebene Bild von
Berlioz als eines Schrecken Sinnenden, eines Höllen-
breughel, anstatt des wirklichen Berlioz kennen gelernt
hatte und gelten ließ, der mußte schon etwas von Protest
leisten, um sich für etwas dem so Entgegengesetztes
empfänglich zu halten.
Wieviel größer aber die Gefahr, ihn mißzuverstehen,
wo wir nicht nur nicht vorbereitet, sondern recht eigent-
lich und wie mit Fleiß mißleitet wurden: nämlich eben
da, wo nun Berlioz wirklich die Führerschaft in die
Hölle übernimmt — und zwar der wahre Berlioz, ver-
steht sich, nicht der vermeintliche! Wie kann der Wink
des Führers begriffen, wie kann die Gegend, in die er
uns geleitet, gesehen werden, wenn ein verzerrendes.
Form und Farbe fälschendes Glas dem Geführten auf
die Nase gesetzt wurde? Dann nur, wenn dieser die
dumme Brille sofort wegzuwerfen sich entschließt, sobald
er merkt, daß da etwas nicht stimmen kann. Aber die
wenigsten sind imstand, das Gegenwärtige unbeeinflußt
so aufzunehmen, wie es sich ihnen darbieten will: und so
ist es denn die Regel, daß die Höllenszene enttäuscht,
zumal wenn sie mit dem deutschen Tert gesungen wird.
Dieser nämlich ist sozusagen der blöde Klemmer, der
noch überdies vor die dumme Brille aufgesteckt wurde.
Leider ist er ziemlich allgemein im Gebrauch. Ich weiß
wenigstens von keiner Aufführung, in der statt seiner
der wilde und klangvolle Originaltert gesungen worden
wäre; außer einer, und diese habe ich selbst geleitet.
Es verdient bekannt gegeben zu werden, daß in den
gedruckten Stimmen der von Berlioz komponierte Tert
hier überhaupt fehlt; es mußten also für die Höllenszene
die Stimmen erst neu hergestellt werden.
Daß wir Deutsche den französischen Tert für unsern
Gebrauch übersetzen, halte ich wenigstens für entschuld-
bar. Aber hier gab es nichts zu übersetzen, es gab nur
etwas durchaus zunicht zu machen: und zwar die künst-
lerische Absicht des Komponisten, als welcher die un-
nachahmlichen, also unersetzlichen Laute der unübersetz-
baren, von Swedenborg belauschten und überlieferten
Höllensprache zu wählen die Kühnheit sowohl als auch
die Einsicht hatte. Wurde nun also deren verwegener
und üppiger Klang schnöde zerstört, so wurde zudem
großenteils der Gehalt der Musik durch die deutschen
Worte übel mißdeutet; denn diese sind nichts als ein
Versuch, mit armseliger Erfindung und Empfindung
den Eindruck von übermenschlich Grausigem hervor-
zurufen; ein eitles Wortgefecht, ein jämmerlich plumpes
Renommieren mit Schrecklichem. Berlioz aber kom-
ponierte ganz Anderes.
Betrachten wir dieses Andere. Es ist betrachtenswert,
und es zeige uns auch, wohin die Mutlosigkeit führen
kann. Denn dieses Andere, den guten Sinn und sogar
 
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