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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Bab, Julius: Otto Brahms Diadochen
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Lissauer, Ernst: Aus der Literatur über 1813
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0425

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diskutiert hat. Den älteren, den größeren Dichter, der den Kampf
der Menschenseele um die Wirklichkeit, ihr Getaumel zwischen
Traum und Gemeinheit, aus jenem norwegischen Märchen vom
lügenhaften Bauernburschen Peer Gynt zeitlos gestaltet hat, —
den Dichter, der diese phantastischen Flegel im Kampf mit Kobolden
und Geistern, Hochstaplern, Dirnen und Irrenhausdirektoren,
zu einem rechten Faust, einem Weltdurchstürmer, einem unsterb-
lichen Sucher nach dem Ich wachsen ließ, diesen einzig großen
Dichter mied Brahm zeitlebens in nüchternem Mißverstand. —
Barnowsky hat es gewagt, und wenn irgendwo, so muß man hier
den guten Willen für die Tat nehmen. Denn im ganzen gelang
die Aufführung nicht, ganz einfach, weil man sich in der Quantität
verrechnet hatte. Dies ist ein Zweitagewerk, und wenn man es,
noch mit dem ganzen Gewicht der schönen Griegschen Musik be-
lastet, in einen Theaterabend zwängen will, so muß es Risse,
Sprünge, Flüchtigkeiten die Menge geben. In den Einzelheiten
fand sich rhythmisch, bildmäßig Vortreffliches; Szenen, die an Er-
findungskraft der allerbesten Reinhardtschen Schule entstammen.
Nicht minder zeigte das Ensemble mit Kayßlers in aller Unvoll-
kommenheit vortrefflichem Peer Gynt, mit der innen und außen
gleich schönen Lina Lossen, der schon berühmten Charakteristiken»
Ilka Grüning und einer Menge guter Episodenspieler die Fähig-
keit zu bedeutenden Leistungen. Ob diese Kräfte nun (und eine
Eröffnung mit „Peer Gynt" sollte dazu verpflichten) planmäßig
in den Dienst dichterischer Werke gestellt werden sollen, ob sie
mit Brahmscher Energie und Ausdauer einem neuen, stilistisch
freieren Drama dienstbar gemacht werden können, das sind die
Fragen, mit deren Beantwortung es sich entscheiden muß, ob
hier ein wirklicher Nachfolger Brahms erwächst, einer, der über
Reinhardts romantisch glänzenden Naturalismus hinaus die
deutsche Bühnenkunst auf eine neue Stufe hebt. Julius Bab.
§Vus der Literatur über 1813
seien eine Anzahl wesentlicher Erscheinungen herausgehoben,
und mit wenigen Streiflichtern angeleuchtet. Es ist unmöglich,
hier eine erschöpfende Darstellung der Schriften zu geben, die
neu aufgelegt worden sind oder neu geschrieben wurden. (Vorab
seien die Bücher aus dem Bereiche des Jahres 1812 für eine
spätere Anzeige zurückbehalten, welche die mannigfaltigen Züge
aus den Berichten über diesen moskowitischen jüngsten Tag und
über die weiße Sintflut zusammenstellen soll.)
Wie schon im vorigen Jahre, eben für 1912, ließen Friedrich
und Gertrude Kircheisen bei Georg Müller in München einen
Napoleonkalender auf das Jahr 1813 erscheinen, der mit
vielen Bildern und Karikaturen aus der Zeit geschmückt ist. Unter
ihnen ist besonders interessant ein Bild des Generals Moreau,
aus dem höhere französische Offiziere die Kokarde geschnitten
hatten: Moreau focht auf feiten der Verbündeten gegen Napoleon
und fiel bei Dresden; daher die Unterschrift: „1s traitrs sn statt
tnätAns". Die Auszüge aus Briefen und Dokumenten der Zeit
enthalten manches Entlegene, z. B. einen Orakelspruch und das
fliegende Blatt „Vaterunser Napoleon". Das Wichtigste aber,
was diese Publikation von allen andern unterscheidet, ist, daß man
von Freitag den 1. Januar bis Freitag den 31. Dezember Tag
für Tag die Geschehnisse verfolgt. Hierbei ergeben sich interessante
Kontraste, sogleich am 1. Ianuer: „König Murat verläßt mit den
Resten der Garde Königsberg" — unendliches Leid der zerfetzten,
halb in Verwesung wandelnden Kummerarmee schwärt um diese
Notiz — und „Napoleon in Paris. Neujahrscour im großen
Thronsaal der Tuilerien. Nach der Messe Empfang des diplo-
matischen Korps und der großen Staatskörper."
Der Kalender zeichnet das Adernetz der 365 Tage von 1813
ab und gibt eine unterste chronikhafte Grundlage. Er ist eine
„Ergänzung aller Erinnerungsschriften"; ausdrücklich bezeichnet so
I)r. Friedrich Schulze eine besonders interessante Publikation, die
bei Georg Merseburger in Leipzig erschienen ist: „Urkunden
der deutschen Erhebung", die Aufrufe, Erlasse, Flugschriften,
Lieder und Zeitungen in Faksimiledrücken wiedergiebt. Eine ganz
ungewöhnlich glückliche Idee: es ist eine erschütternde Freude,
wenn man lange Zeit anschauend und denkend in jener großen
teuren Vergangenheit sich aufgehalten hat, nun diese Bilder in
der Hand zu haben, die wahrhaftig Ur-Kunde jener Epoche bergen.
Denn hier kommt es nicht darauf an, ob wir begrifflich die Tat-
sachen bereits wissen, sondern es ist ein geschichtlicher Duft an
diesen rauhen, faserigen, gelblichen Bögen und Blättern. Da ist
vor allem das Dokument der Konvention von Tauroggen nach-
gebildet, die der Anfang des Anfangs war, darunter Diebitschs

Unterschrift und Jorks, deren starke und breite Grundstriche,
besonders im I, gleichsam die ganze Energie des Mannes zusammen-
gerafft enthalten. Friedrich Förster spricht in seiner alten Geschichte
der Befreiungskriege von der „neuen Literatur der Aufrufe",
die damals entstanden sei; hier sind sie beisammen: Arndts Aufruf
„an die Preußen", König Friedrich Wilhelms „an mein Volk"
und „an mein Kriegsheer", Blüchers „an Sachsens Einwohner"
und „an die Truppen unter meinem Befehle", Wittgensteins „an
die deutschen Jünglinge und Männer", Kutusows „an die Deutschen",
die „Proklamation des Kronprinzen von Schweden". Dieser Zeit
wird aller Aufruf. Alle Schriften sind Flugschriften, lose geheftete
Blätter, manchmal nur eines, manchmal vier, sechzehn, die wahr-
haft fliegen sollten und konnten, rasch im Volke ringsumgegeben
von Hand zu Hand, mitgeteilt von Mund zu Munde. Solch ein
Blatt ist Kleists ungeheures Gedicht „Germania an ihre Kinder"
mit dem Vermerk: „diese Ode war vom Verfasser beim Ausbruche
des Krieges 1809 gedichtet worden, zufällige Umstände verhinderten
damals den Druck. Im gegenwärtigen Moment wird ihre Heraus-
gabe dem Publikum nicht weniger passend erscheinen." (Man
sieht, daß große Gedichte auch wirken, wenn sie auf Holzpapier
gedruckt sind und nicht des Handbüttens und des Chinapapiers
und ähnlicher Kinkerlitzchen bedürfen; ja solche Exemplare brauchen
noch nicht mal vom „Autor" signiert zu sein, wie man sieht, denn
dieser Autor war schon zwei Jahre tot.) Von Körner ist ein Flug-
druck „Drei deutsche Gedichte" ausgenommen (darin: „Was glänzt
dort ovm Walde im Sonnenschein" und „Die Wunde brennt",) Vor-
läufer der Sammlung „Leyer und Schwerdt", deren erster Druck,
88 Seiten stark, „einzige rechtmäßige, von dem Vater des Dichters
veranstaltete Ausgabe, Berlin 1814, in der Nicolaischen Buchhand-
lung", ebenfalls hier dargeboten ist. (Eine andere Nachbildung
erschien in dem Berliner Verlag Morawe L Scheffelt, als ein
Seitenstück zu seinen anderen Neudrucken aus dem Anfang des
Jahrhunderts, die Goethesche und Schillersche Werke und die
„Blumensträuße" italienischer und spanischer Poesie von Schlegel in
hübschen Imitationen brachten.) Schulzes Äußerung in einem gut
und knapp orientierenden Vorwort, daß die reproduzierten Spott-
schriften, die „Napoleons Fall mit wenig Witz und viel Behagen"
glossieren, nicht mehr als „Zeitstimmung vermittelnde Kuriositäten"
seien, kann ich nicht beipflichten: in dem „Steckbrief hinter Hyero-
nimus" (König Isröme): „29 Jahr alt, kleiner Statur, elenden
Körperbaus, entnervt und kraftlos, blassen Angesichts" usw., ex-
plodiert ein echter und rechter Haß, wie ihn der gemeine Mann
empfand; die „Beichte Kaiser Napoleons", eine Wechselrede
zwischen dem Priester und dem Gehaßten, birgt in der satirischen
Formulierung doch etwas von jenem neuen religiösen Geist, der
als ein transzendentaler Odem über diese aus irdischer Not und
Qual ausbrechenden Kämpfe und Aufstände blies und sie über-
leuchtete. Von ihm zeugt auch das „Dankgebeth, welches statt
der gewöhnlichen dollsotg, vor dem Altar in der S. Georgen Zucht-
und Waisenhauß Kirche mit der ganzen Versammlung auf den
Knieen, am 19. Sonntag nach Trinit., als am 1. Sonntag nach
der dreytägigen Schlacht und Eroberung von Leipzig mit Sturm
ist gehalten worden wegen Errettung der Stadt". Dieses religiöse
Element der Befreiungskriege ist, soweit ich sehe, nirgends in der
Literatur im Zusammenhänge dargestellt worden. Wilhelm Baurs
älteres auf orthodoxer Grundlage geschriebenes Werk: „Geschichts-
und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den
Befreiungskriegen" (Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses,
5. Auflage, 1893), das viel Material beibringt, reicht nicht aus;
eine solche Darstellung müßte ein Doppeltes zeigen; historisch: wie
der Geist biblischer Offenbarung sich dem Geiste nationaler Offen-
barung verband; und im Hinblick auf die religiöse Krise unserer
Tage, absehend von dem christlich orthodoxen Charakter jener
Erneuerung: wie die Zeit der Bindung, die aus den Einzelnen
wahrhaft ein Volk macht, — uod rsliZio heißt Bindung — immer
eine religiöse Erneuerung schafft. Dieses religiöse Licht ist auch
über Arndts Schrift „Ein Wort über die Feier der Leipziger
Schlacht", die ebenfalls hier nachgebildet ist. Sie ist auch enthalten
im 13. Bande der vortrefflichen Ausgabe von „Arndts ausgewählten
Werken", herausgegeben von Meisner und Geerds, (Leipzig,
Max Hesse) und ist im Auszug wiedergegeben in der 106. Flug-
schrift des Dürer-Bundes, „Ratschläge für Vaterländische Feste
zur Jahrhundertfeier der Befreiungszeit", die mancherlei wert-
volle Hinweise gibt, aber in der Auswahl des dichterischen Stoffes
bei weitem nicht wählerisch genug ist: in unserer Zeit, die an-
dauernd Feste feiert, ohne ein Gefühl für das wahre Wesen
des Festlichen, ist diese Arndtsche Schrift noch immer lehrreich.
Ein Fest der Erinnerung an große Epochen ist ein angewandtes

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