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Südwestdeutsche Rundschau: Halbmonatsschrift für deutsche Art und Kunst — 1.1901

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Bahr, Hermann: Kolonien
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https://doi.org/10.11588/diglit.12765#0179

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antworten muss, um überhaupt durchkommen zu können;
als: was Schuld und Verdienst ist, wie es sich mit dem
Schicksal und den unbekannten Mächten verhält, in
welchen er sich frei, in welchen gebunden zu fühlen
hat. Darüber braucht er sich keineswegs klar zu sein,
aber er muss sicher sein. Es kommt gar nicht darauf
an , dass die Lösungen , die eine Zeit den menschlichen
Rätseln giebt, bewiesen seien, sondern sie müssen nur
so stark sein, dass sie, ins Gemüt eingedrungen, eine
verlässliche und rasche Entschiedenheit und Entschlossen-
heit gewähren. Wenn zu irgend einer Zeit in irgend
einem Volke Jeder bei allem, was ihm begegnet, was
von ihm gefordert wird, was an ihn, Lust oder Leid,
Recht oder Pflicht, herantritt, sogleich gewiss ist, wie er
sich zu benehmen hat, und sogleich mit einer unzweifel-
haften Empfindung auf alles reagiert, dann hat diese
Zeit und hat dieses Volk Kultur. Und unser ganzes
Elend ist, dass es uns daran fehlt.

Wann wird ein Volk eine solche gemeinsame Ent-
schiedenheit haben? Fragen wir uns zuerst, wann sie
ein Einzelner haben wird. Niemals, wenn er von Fall
zu Fall lebt und sich bei jedem neuen Ereignisse erst
an sein Gewissen, an seine Vernunft um Rat wenden
muss, sondern nur dann , wenn er vorher bei sich alle
Zweifel erledigt und sich eine allgemeine Erfahrung er-
worben hat, die er nun nur noch aufs Besondere an-
zuwenden braucht. Einzelne, sehr weise, von Jugend
auf immer ums Rechte besorgte, mit vielen Erlebnissen
beschenkte, irrend lernende, strebend erlöste Menschen
lassen sich wohl denken, welchen es beschieden sei,
am Ende zu einer ganz reinen Idee ihres Lebens aufzu-
steigen, von welcher dann für jede Frage, jeden Fall
die klarsten Empfindungen abtropfen. Können wir uns
aber vorstellen, dass in einem Volke oder auch nur in
einer Familie Jeder sich eine so hohe und so mächtige
Idee selbst erwirbt? Scheint uns dies jedoch bei der
geistigen Schwäche der meisten Menschen und ihrer
Verworrenheit in den gemeinen Sorgen der Verteidigung
 
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