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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Rudinoff, Willy: Praktischer Unterricht in den Kunstakademien, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0022

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Die Werkstatt der Kunst.

Heft 2.

Jahre hinaus verpflichtete Hilfskraft in der Werkstatt. —
Der Meister von damals mußte Farbenreiber haben, er
brauchte Leute, welche die Leinewände und Brettertafeln
vorbereiteten, er konnte ein Dutzend Gehilfen beschäftigen,
die in der Art des Meisters weniger gut bezahlte Aufträge
für kleine Kirchen und ärmere Klöster einfach nach seinen
Skizzen fertigmachten. Ist das heute so? wer würde
heute einen Menzel kaufen, der kein richtiger und voller
„Menzel" wäre? Und Leinewand, Farben giebt's heute
fertig I — Das Geld aber, das heute ein Schüler für eine
Lehrzeit zahlt, würde einem tüchtigen Meister durchaus
keine Entschädigung bieten für die zu opfernde Zeit und
für die Hingabe seiner Kenntnisse. — wo sind denn heute
die Kirchenfürsten, Herzöge oder Großindustriellen, welche
beim Neubau einer Villa oder eines Palastes einen großen
Meister mit seinen Gehilfen jahrelang beschäftigen, um die
wände mit schönen Fresken schmücken zu lassen? wir
finden es mit Recht angenehmer, eine ruhige Fläche in
unseren Wohnräumen vor Augen zu haben, wird aber
mal heute eine Konkurrenz für die Ausschmückung eines
Festsaals ausgeschrieben, so ist das ein „Ereignis"!
Wer nun heute Künstler werden will, der ver-
suche es immerhin, bei einem Meister als Werkstatt-
schüler ausgenommen zu werden. Gelingt das nicht, so
find genügend Privatschulen da, welche den Lern-
begierigen meistens schneller zum Ziel bringen, als
unsere Staatsakademien. — „Ja," wird man einwenden,
„wenn ich aber kein Geld habe und auf den Gratisbesuch
der kgl. Akademie angewiesen bin?" Hierauf antworte
ich: „Gehe ins Leben und verdiene dir das Geld dazu, in
welchem Beruf immer. Deinem späteren künstlerischen
Schaffen wird das zugute kommen!" wer von einem
„Leben" heraus zum künstlerischen Schaffen
kommt, wird uns wertvolleres zu sagen haben
als derjenige, der zur Kunst geht, damit er „leben"
kann!
Man kann am Tage in einem bürgerlichen Beruf
arbeiten und abends nach dem lebenden Modell in den
privatschulen zeichnen. Sonntags geht man hinaus in
die Natur und versucht eine Landschaftsstudie. Je später
und je menschlich reifer einer zum Kunstschaffen kommt,
desto besser. Auf die Masse der Kunstproduktion kommt
es eben gar nicht an, und wer den schwierigen weg
scheut, der soll die Hände davon lassen.
Mein Vorschlag ist: Bevor jemand Künstler
werden will, soll er irgendeinen Beruf ausfüllen
können, der auf alle Fälle feinen Mann ernährt.
Bringt ihm dann seine Kunst nicht die gewünschten Er-
folge, so kann er immer wieder auf feinen alten Beruf
zurückgreifen! wie ist es aber heute? Da laufen die
Herren mit den großen Ideen herum und blicken mit
souveräner Verachtung auf denjenigen Künstler herab, der
sich noch nebenher durch irgendeine Tätigkeit die Mittel
zu einem sicheren Lebensunterhalt verdient. Linen solchen
Mann kann man wohl anpumpen, aber für einen „standes-
gemäß" lebenden Künstler kann man „solch einen" nicht
halten. Jetzt muß man sich schon beinahe schämen, Geld
für seine Bilder zu nehmen oder überhaupt etwas zu ver-
kaufen! Es könnte als „Schacher" angesehen werden! —
Lin jeder Kaufmann oder Kunsthandwerker kündigt seine
waren an, die er zu verkaufen hat oder produziert, jeder
Schriftsteller kann fein Buch in die Auslage einer Buch-
handlung bringen, nur der bildende Künstler darf nicht
öffentlich ankündigen: „Ich habe diese oder jene meiner
Arbeiten zu verkaufen!" Nein — das wäre nicht standes-
gemäß! Unsolide Reklame! Und wer das heute täte,
wäre „unten durch"! Geschäftliches Talent darf ein
Künstler auch nicht besitzen. Hat er es aber mal zufällig
und ist er geschickt genug, um eine erfolgreiche selb-
ständige Ausstellung seiner Arbeiten zu arrangieren, so ist
er gesellschaftlich von der „akademischen" Zunft, von den
Mitgliedern der „Vereinigungen" und deren literarischem
Anhang boykottiert. Ich spreche da aus „heiteren" Er-
fahrungen. Man erlaubt von dieser Seite aus jedem

„standesgemäßen" Künstler, mit würde zu verhungern,
wehe, wenn er seine Bilder zu einem kleineren, verkaufs-
möglichen Preis ansetzt! Die Herren „Kollegen" werden
ihm das nie verzeihen!
wir wissen heute, daß die alten großen Meister Ver-
kaufsausstellungsräume hatten, wissen auch, daß Rembrandt,
nachdem man ihm bei seinem finanziellen Zusammenbruch
sein Haus verkauft -hatte, daran dachte, Lria-L-brac-Händler
zu werden. Es ist nur gut, daß er nicht in unseren Tagen
lebt, man würde ihn aus der „Gruppe" weisen.
Als es Lourbet nicht gelang, zur Zeit in der pariser
Weltausstellung seine Bilder unterzubringen, baute er sich
selbst eine Bretterbude, um dort seine Arbeiten zu zeigen
und zu verkaufen. Der arme Lourbet! — Er hatte kein
Standesbewußtsein!-
Wir brauchen nun die Staatsakademien nicht nieder-
zureißen. Würdigen fertigen Meistern, welche noch kein Bank-
konto haben, stelle die Regierung für zwei bis drei Jahre
die akademischen Ateliers zur Verfügung. Lin täglich statt-
findender freier Abendakt gestatte jedem, der Liebe dazu
hat, sich am lebenden Modell im Zeichnen zu üben. Die
Bibliothek nebst Lesesaal für das Studium biographischer,
technischer oder Reproduktionswerke sei an gewißen Tagen,
besonders aber abends und Sonntags, für jeden sich
anständig benehmenden Bürger geöffnet. Geffentliche, für
jeden zugängliche Vorträge über Kunstgeschichte, ethische
und ästhetische Belehrung durch hierzu geeignete Persönlich-
keiten könnten in den großen Sälen der Akademien mehrere
Male wöchentlich stattfinden. Die Inhaber der Staatsateliers
müßten zu entsprechenden Leistungen nach dieser Richtung
hin herangezogen werden, soweit es ihre Veranlagung
erlaubt.
Durch die Verlegung dieser Belehrungen auf die
Abendstunden und den Sonntag werden wir erstens einen
Teil der jungen Welt vom Kneipenleben abhalten und
vor allem diejenigen für eine Welt der Schönheit gewinnen,
welche am Tage und an den Wochentagen besonders sich
„unstandesgemäß" (!) ihr Brot verdienen müssen. Je
mehr der sogenannte „Laie" Kunstkenner und
Kunstgenießer wird, um so eher wird er auch
Käufer von guter ernster Kunst.
Vst sehe ich hier in Italien mit Staunen, was an
Souvenirs und Gelbildern ausgestellt ist. Derselbe elende
Kitsch, derselbe Kopf, dieselbe Landschaft, die seit Jahren
dutzendweise von italienischen Fabrikanten hergestellt wird.
Fragt man den Händler: „wer kauft denn diese Bilder?",
so antwortet er: „I Teckesclli!"
wir wollen uns doch nicht täuschen! Trotz der segens-
reichen Arbeit von Avenarius und seines „Kunstwort" ist
die Sache der Kunst noch kein Herzensbedürfnis des
Deutschen geworden. Ls fehlt an liebevoller Be-
lehrung!
werden nun aber die bestehenden Akademiegebäude
nicht mehr zur Züchtung eines „Künstlerxroletariats" ver-
wendet, so werden deren Räume frei für den oben ange-
regten Plan. Wir werden uns ein Publikum schaffen, das,
durch das lebendige Wort liebevoller Begeisterung belehrt,
die Feinheiten und technischen Schönheiten der „Arbeit"
kennen lernen und schätzen wird.
Noch eins: Liest man heute unsere Kunstberichte in
den Tageszeitungen, so fällt es auf, daß nur noch das
„ganz persönliche", das „Besondere" und Sensationelle
(oft genug das vollkommen „Hysterische") beachtet wird,
wenn sich auch kein Mensch so ein Bild kauft-es
ist aber doch „die Nummer", die besprochen wird. Dadurch
wird nun die junge Welt erzogen, noch etwas „Ver-
rückteres" und weniger Verkäufliches zu malen.
Diejenigen aber, die hübsch solid und brav arbeiten,
werden dann tvo Jahre später in einer „Jahrhundert-Aus-
stellung" als wahrhaft „deutsche Meister" entdeckt und
können dann im Jenseits in einer speziell hierfür einge-
richteten „deutschen Abteilung" einen Iubiläumsschopxen
auf ihren jungen Ruhm trinken! Prosit!-
Ruäinokk, Maler und Radierer.
 
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