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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Katsch, Hermann; Hellwag, Fritz: Hie Lukas! Hie Lionardo!
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0150

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Die Werkstatt der Runft.

heft U


die Seele, was die Zache lebendig macht und zu uns spricht!
Und das kopiert sich nicht! Aber — es sei dem doch so.
Dann müßte aber der Bildhauer Lukas Arbeiten hinter-
lassen haben, aus denen seine hohe Meisterschaft klar und
deutlich hervorleuchtet. Mer die Büste modellieren konnte,
nach einem Bilde!, muß sehr viel gekonnt haben, er muß
ein Mordskerl gewesen sein; und es wäre doch unerhört,
wenn so ein Künstler mit keiner weiteren Arbeit bekannt
würde! Also man veranstalte eine Ausstellung von Merken
dieses Mannes, und dann wird es sich ganz klar erweisen,
ob er die „Flora"-Büste modellieren konnte oder nicht. Dann
wird entweder das assertorische Urteil bestätigt werden oder
das dubitative, und wir kämen zu dem kategorischen. — Also,
her mit dem Lukas! Nsrrrmrm Katscst-Lharlottenburg,
Porträtmaler.
Derr vorstehenden Anregungen des Derrn 6 ermann
Katsch möchten wir noch die Bemerkung hinzusügen, daß
man die vorgeschlagene Nebeneinanderstellung von Arbeiten
des Bildhauers Lukas und der „Flora"-Büste im Museum
wohl bereits ausgesührt hat, aber nach unserer Meinung
in ungenügender Meise. Dielleicht hat man keine anderer:
Arbeiten zur pand gehabt und mußte deshalb zwei minder-
wertige Stücke auswählen, die nun allerdings neben der
„Flora"-Büste sehr absallen und zu deren Gunsten sprechen.
Mir können es uns nicht recht vorstellen, daß die aus-
gewählten Arbeiten zu den besten gehören sollen, die Lukas
geschaffen hat. Lukas muß doch wohl ein guter, geschickter
Bildhauer gewesen sein, sonst würde man ihn gewiß nicht
mit Lionardo verwechseln können. Menn das von Derrn
Katsch vorgeschlagene und von der Museumsleitung bereits
versuchte Experiment eine wirkliche Bedeutung haben soll,
so bemühe man sich, die hervorragendsten Arbeiten des
Bildhauers Lukas herbeizuschaffen.
Gbwohl wir vielsach dazu ausgefordert wurden, haben
wir bisher noch nicht Stellung zu der ganzen Frage ge-
nommen, weil es erstens auf eine Aeußerung mehr oder
weniger gar nicht mehr ankommt und weil zweitens die
Kampfesweise auf beiden Zeiten eine derartige geworden
ist, daß sie für unbefangene Beurteiler einen hoffnungs-
los schiefen Eindruck der ganzen Frage hervorgerufen hat.
Soviel uns bekannt, wurde nämlich der Wunsch nach einer
zunächst allein ästhetischen Wertung der Büste kaum be-
rücksichtigt. Bisher wurde immer nur von der historischen
Echtheit gesprochen, so daß es sich ebenso gut um eine
Kuriosität, um eine Reliquie (um den Zahnstocher Karls I.
von England, für den kürzlich 2000 Mk. bezahlt wurden!)
handeln könnte, wie um ein bedeutendes Kunstwerk eines
unserer besten Künstler.
Mir wollen uns den Gang der Angelegenheit einmal
aus unsere Meise vorzustellen suchen. Derr Geheim-
rat Bode entdeckt eine Büste, die charakteristische Merk-
male der Arbeitsweise des Lionardo aufzuweisen scheint.
Zu allererst, d. h. bevor Bode sich überhaupt als Käufer
mit ihr befaßt, wird er sich fragen, ob die Büste so großen
künstlerischen, d. h. ästhetischen Mert besitzt, und ob
sie damit der Aufnahme in das erste Museum des Landes
würdig erscheine. In zweiter Linie wird er die Merk-
male, die eine Abstammung von Lionardo selbst beweisen
sollen, genau prüsen. Nach unserer Meinung müßte also
zuerst die a bso lute Sch ö nheit der Büste, dann erst ihre
Echtheit und schließlich die Beziehungen beider zueinander
geprüft werden. Das umgekehrte Verfahren könnte leicht dazu
führen, daß ein Kunstwerk in eine vorbildliche chöhe ge-
rückt würde, die es durch seine künstlerische (Dualität gar
nicht verdient. Freilich schwanken unsere ästhetischen Ur-
teile; und man kann auch wohl mit ziemlicher Wahrschein-
lichkeit annehmen, daß eine von Lionardo stammende Büste
zugleich ein hervorragendes Kunstwerk sei. Aesthetische Be-
weiskraft besitzt eine solche Annahme aber nicht, weil jeder
Künstler, und gewiß auch Lionardo, Arbeiten hervorbringt
und hinterläßt, die den Durchschnitt seines künstlerischen
Schaffens längst nicht erreichen.

Don einer ästhetischen Beurteilung der Büste hat man,
wie gesagt, bisher sehr wenig gehört. Älter pader und alles
Geschreibe hat sich auf die historische Echtheit bezogen.
Menn nun dieser Beweis der Echtheit gelänge, so wäre es
immer noch möglich, daß einem ästhetisch minderwertigen
Merke ein Platz aus einer Döhe eingeräumt würde, von
der aus es einen sehr verderblichen Einfluß ausüben könnte,
wir möchten daher befürworten, daß sich die prüfenden
Kräfte mit allem Nachdruck auf die Frage werfen: haben
wir ein künstlerisch ganz hervorragendes und deshalb
(nur deshalb!) unersetzliches Merk vor uns oder nicht?
(Der Begriff der „historischen Fälschung" käme also erst irr
die letzte Linie.)
Welch unheilvollen Einfluß die historische „Zuschrei-
bung" schon ost ausgeübt hat, ist sehr bekannt; denn es
gibt viele Werke, die lange Zeit als erstklassig gegolten
haben und dann von Kunsthistorikern nach vermeintlicher
Kenntnis eines Fehlers im Taufschein mit tiefster Ver-
achtung zum alten Gerümpel geworfen wurden. Lächer-
lich und erbärmlich ist es aber, daß gleichzeitig auch der un-
angefochtene ästhetische Mert des Merkes verloren gehen
sollte! Nehmen wir einmal an, die „Flora" befände sich
schon zehn Jahre als anerkanntes Werk des Lionardo im
Kaiser Friedrich-Museum. Das Merk hätte natürlich in
dieser Zeit einen ungeheuren Einfluß auf die Künstler,
Kunstfreunde (und auf die Kunstgeschichte!) ausgeübt. Man
hätte die Büste als unvergleichliches Kunstwerk, ähnlich
wie die „Venus von Milo", an die Spitze unserer ganzen
künstlerischen Dinterlassenschaft gestellt; und nun käme
plötzlich ein Kunsthistoriker, der uns einwandfrei bewiese,
daß das Merk überhaupt nicht von Lionardo, sondern viel-
leicht erst aus dem (8. Jahrhundert stamme. Da würden sich
die meisten Kunsthistoriker mit Mut auf das bisher angebetete
Kunstwerk stürzen, um es auf den Scheiterhaufen zu tragen.
Wie sollten sich aber die Künstler und Aestheten, vor allem
die Psychologen, zu solchem Gebühren verhalten? würden
sie den Mut haben, ihr bisheriges ästhetisches Bekennt-
nis aufrechtzuerhalten, oder würden sie der allgemeinen
Suggestion und der grausamen, historischen „Erkenntnis"
unterliegen? Mir fürchten, es würde das letztere geschehen,
und die Büste würde tatsächlich auf den Scheiterhaufen
wandern.
Lin umgekehrter Fall mag den unheilvollen Einfluß
einseitig historischer „Verurteilung" von Kunstwerken ins
Licht rücken. In einer süddeutschen Galerie befand sich
ein Frauenporträt, von dem niemand wußte, wer es ge-
malt habe. Der Galerieleiter wollte sich nur in getaufter
Gesellschaft befinden und stellte deshalb das Bild mit
manchen anderen „apokryphen" aus den Boden, in die
Rumpelkammer. Dort entdeckten es einige Künstler und
waren von dem hohen Kunstwert so überrascht, daß sie
den Galerieleiter bewegen wollten, das Merk doch ja dem
ausgestellten Galeriebestand einzuverleiben. Als ihnen dies
nicht gelang, erbaten und erhielten sie die Erlaubnis, das
wegen seiner Namenlosigkeit vom Galerieleiter verachtete
Bild in ihrer Künstlerkneipe aufzuhängen. Dort befand
es sich längere Zeit, bis die Kunstgeschichte einige Wand-
lungen durchgemacht und die großen englischen Maler des
(8. Jahrhunderts wieder mehr in die ihnen gebührende
Stelle rückten. Da geschah es, daß eines Tages ein Kunst-
historiker die Künstler in ihrer Kneipe besuchte und das
früher so verachtete Porträt als ein Merk von Gains-
borough erkannte! Und nun wurde das Merk im Triumph
in die Galerie zurückgebracht und erhielt dort einen Ehren-
platz. Es hatte ja seinen Taufschein wieder!
Dieses Beispiel zeigt, daß die ästhetische Wertung,
streng genommen, mit der historischen sehr wenig Zu-
sammenhang hat. Der ästhetische Mert liegt aber im
Werke selbst und sollte deshalb durchaus an erster Stelle
geschätzt werden. Er allein kann auf die Mitwelt und auf
die Nachwelt eine fruchtbringende Wirkung ausüben
und bleibt ewig bestehen. Könnte man die Abstammung
der „Flora"-Büste von Lionardo beweisen, so wäre dies
aus jeden Fall sehr erfreulich und würde vielleicht einen
 
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