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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Der gemaßregelte Kunstautokrat
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0207

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Heft ^5.Die Werkstatt der Kunst. 201

Lichterfelde verhandelt werden wird, worüber wir
in der nächster: Nummer noch Näheres berichten
wollen, ist von unserer Gegenpartei Herr Hof-
porträtmaler Arthur Fischer, Berlin, Unter
den Linden 2H, als Sachverständiger bestimmt
worden.
Da möchten wir uns erlauben, festzustellen, in
welcher Weise jener Herr Fischer seine Sachver-
ständigkeit auf Rosten der Rünstlerschaft zu er-
weisen sucht.
In der gelesensten Berliner Zeitung, dem „Ber-
liner Lokalanzeiger" vom 22. H- Os) befindet
sich im direkten Anschluß an den redaktionellen Text
folgende bezahlte und vielleicht von ihm selbst
verfaßte, gegen die Rünstlerschaft gerichtete Reklame,
die so für sich selbst spricht, daß wir uns jedes
Rommentars enthalten und darauf beschränken
können, einige Stellen durch Sperrdruck hervor-
zuheben.
Der betreffende Artikel lautet wörtlich:
„was kein Verstand der Verständigen steht . .
Eine Episode aus der Weihnachtszeit des vorigen
Jahres.
Nacherzählt von A. F. (Fischer? Red.)
Er saß schon geraume Zeit vor dem Bilde seiner zu
früh dahingeschiedenen geliebter: Gattin, der treuen Mutter
seines Rindes, und sah es unverwandt an. Die Augen
des Bildes blitzten verführerisch begehrend auf ihn herab,
wie in Wirklichkeit niemals im Leben der teuren Frau!
Linst hatte er zu ihren Füßen gelegen, um einen Liebes-
blick, ein warmes Wort, tief aus dem Herzen kommend,
zu stehen! Hatten ihn diese Augen jemals so angeblickt?
Nein, so nie! — Und dieser Mund! waren das wirklich
die rosigen, zarten Lippen, die sich ihm zum Russe boten
und so leidenschaftslos, voll so keuscher Schönheit zu jedem
zu sprechen pflegten? . . . Line jähe Röte stieg in das
Gesicht des einsamen Mannes, wie nur war es möglich,
daß der berühmte Maler, den die Runstkritiker eine
„Leuchte der Run st" nannten, sein Weib mit diesen
Augen, mit diesem begehrenden Munde malen konnte?
Hatte er sie so geschaut, dann . . . Der Zorn schüttelte
den trauernden Mann, und seine Hände ballten sich zu
Fäusten . . . Hätte jetzt der Professor vor ihm gestanden,
so hätte er den Mut gesunden, dieser „Leuchte der
Runst" die Wahrheit zu sagen!
„Lieber Papa, darf ich ein wenig bei dir bleiben?"
klang da ein Helles Rinderstimmchen hinein in seine
finsteren Gedanken. Lin weiches Händchen streichelte seine
Wangen, Rinderarme legten sich um seinen Hals, und sein
Töchterchen küßte ihn, wie ihn ihre Mutter einst geküßt,
schüchtern und süß. Sie folgte seinen Blicken. „Du lieber
Papa, laß doch das häßliche Bild! Das ist meine
liebe, goldige Mama nicht! pfui, wie häßlich! Romm,
schau weg! — Du — du sollst nicht Hinsehen! Bitte, du
sollst nicht!" — Sie stampfte mit dem Füßchen und weinte.
„Das ist ein dummer Maler, ein ganz dummer
Maler, der so ein Bild von Mutti malt! Und wenn du
das Bild nicht wegstellst, dann traut sich Aenne nie wieder
in dein Zimmer zu kommen, Papa! Hörst du!?"
Lr zog sein Rind an sich, ihm die Tränen trocknend.
„Ich lasse ein anderes Bild von Mutti malen, mein Lieb-
ling! Sei nur ruhig!" — „Ach ja, lieber, herziger Papa,
tu das doch!" Sie hüpfte zum Schreibtisch und holte eine
Photographie der verstorbenen, die dort im Rahmen
staud: „So hat Mutti ausgesehen! Ach du gute, liebe
Mama!" Mehrmals küßte sie das Bild innig. Der Vater
legte den Arm zärtlich um sein Rind, und beide betrachteten

die Photographie, wieder stiegen in seinem Innern die
Bilder der Vergangenheit aus, in seinem Herzen läuteten
leise die Heimatglocken ... er hatte wieder heimgesunden
zu seiner reinen Liebe, die der große Rünstler durch
sein Werk ihm entfremdet hatte, und fest war der
Beschluß in ihm geworden, das Bild des „Meisters"
niemals wieder anzuschauen. Ram es ihn: doch wie
eine Entweihung seiner Liebe vor!
Lr brachte die Photographie nicht zu einem Rünstler,
dessen Name schon eine Suggestion aus den Auftraggeber
ausübt und der da verkündet: „Das und nur das ist schön,
ist wahre Runst!" Solch ein Runstauto krat unterdrückt
mit seinem Machtwort jede anders empfindende Gefühls-
regung: sein pinsel macht ihn zum Alleinherrscher, dem
sich jeder andere Geschmack beugen muß. ... Leider
haben wir so manche dieser Herren in unserer
Runst! Lr brachte die Photographie zu einem Porträt-
maler, dessen Runst sich in den Dienst der Natur (der
Photographie? — Red.) gestellt, nicht, wie sie sich vielleicht
einmal einem Auserwählten zeigt, sondern in ihrer ewig
gleichen Schönheit für alle, die ein wahres und schönes
Abbild eines geliebten Menschen besitzen wollen. Und als
er in dem Atelier Unter den Linden 2H dem Hof-
porträtmaler Arthur Fischer gegenübersaß und dieser
bei dem freundlichen Gespräch wie ein seelenkundiger
Arzt aus der ihm übergebenen Photographie kenn-
zeichnete, in welchen charakteristischen Zügen sich Geist und
Herz der verstorbenen aussprachen, da hatte er die Gewiß-
heit, dieser Rünstler verstehe ihn, der werde ihm sein
Weib, seine reine Mathilde, wiedergeben, in Wahrheit
wiedergeben! . . .
Und nun war's am Heiligen Abend. Der Atelier-
diener hatte kurz vorher das Bild gebracht, und Vater
und Rind standen vor dem Gemälde der Gattin und
Mutter. Lin Frieden legte sich mehr und mehr über
beider Gemüter, je länger sie das Bild betrachteten. Im
Herzen des Gatten jauchzte es: „Ja, das sind die Augen,
die tief in mein Inneres schauten, die drinnen ein heiliges
Feuer entzündeten, das Feuer des Lebensmutes, auch im
härtesten Rampse für Weib und Rind treu zu sorgen!
Das sind die Lippen, deren Ruß mich weihte für den
Ramps und mich erfrischte nach mühseligem Tagewerk!"
In dem Herzen des Rindes aber stiegen fromme Gebete
empor; unbestimmte, schemenhafte Gefühle wogten und
wallten hin und her, und unter dem Himmelsglanz der
Mutteraugen wurden sie zu einem festen Gelübde, ganz
so zu werden wie sie. . . . Hier vor dem Bilde der Toten
wollte sie immer Rechenschaft geben von allem Tun und
Denken und von ihrem Auge sich für alles Ldle und Schöne
begeistern lassen! . . .
Der Weihnachtsbaum erstrahlte in seinem heiligen
Lichte, und das wie lebend grüßende Bild der toten Mutter
brachte den beiden wahre Weihnachtsstimmung und illu-
strierte von neuem schlagend die tiefe Wahrheit des alten
Wortes:
„was kein verstand der verständigen sieht,
Das übet in Linsalt ein kindlich Gemüt!"
Line so „seelenkundige" Sachverständigkeit muß
den nachhaltigsten Lindruck Hervorrufen!
O. O. K.

Unsskö tieuligö ösilsgs, üie Motm? klmtteelin. Mle? kik. 8,
trat folgenden Inllalt: Ikonoslcopisclle Studien. Von
^V. Ostwald. (Rortsetrung und Schluss). — Die
Drage der Restaurierscllulen. Von D. Lentr-
Dreiburg i. L. — Dine wiektige Vereinfachung
des Rack^eichnens photographischer Vorlagen.
Von foh. Nai-Darmstadt. — Anträgen und Le-
antwortungen.
 
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