Heft 48.Die Werkstatt der Kunst. 2H5
Ding in unserer gesamten Kultur und Kunst, daß für weite
Kreise der Mensch erst da interessant wird, wo er anfängt
an irgend etwas krank zu sein. In der Literatur scheinen
mehr und mehr die ungesunden und verschobenen Verhält-
nisse zu reizen und in der Kunst diejenigen Naler, die aus
irgendeinem Grund auf exzentrische und krankhafte Be-
strebungen verfallen sind. Und je weniger etwas noch ver-
standen werden kann, desto mehr wird es angestaunt und
als neuester Fortschritt in den Himmel gehoben. Und
unsere presse tut das ihrige dazu. So werden viele ge-
blendet und leben nun in der merkwürdigen Täuschung,
daß sie etwas Neues bringen, wenn sie das Neueste nach-
ahmen. So wird das liebevolle und allein erzieherische
Studium der Natur wieder verlassen, um einer falschen und
verzerrten Genialität Platz zu machen; so wird die Kunst
von hinten angepackt statt von vorne und eine gesunde
Entwicklung des einzelnen von innen heraus unmöglich
gemacht. Hier liegt entschieden eine Erkrankung unserer
Zustände und die günstigste Annahme führt noch dahin,
daß eben die jugendlichen Gärungen in der deutschen
Malerei noch nicht zu Ende sind. Freilich vieles läßt sich
auch damit nicht entschuldigen, weil es den Stempel be-
wußter Absichtlichkeit zu deutlich an der Stirne trägt.
Gleichwohl wollen alle diese Dinge ans Licht und an
die Geffentlichkeit, denn sie sind ja dazu geschaffen worden,
um der Geffentlichkeit recht schnell zu imponieren. Ls mag
ja auch ganz interessant sein, solch Gärendes und Unreifes
sich entwickeln zu sehen, wenn nicht unter dieser Firma gar
so vieles segelte, das in seinem innersten Grunde auf Talent-
losigkeit und mangelndem Berufe zur Kunst beruht. Malen,
bildhauern, zeichnen kann jeder, der will. Muß auch jeder
ausstellen können, der will?
vorerst wollen wir noch daran festhalten, daß es in
der Kunst Unterschiede im Niveau gibt und daß nicht eines
so gut ist als das andere. So ist es bei allen menschlichen
Dingen, so auch in der Kunst. Und solange die Begabung
ungleich verteilt ist und solange das künstlerische wollen
auf verschiedener Höhe steht, solange muß da, wo man
Kunst sehen will, das Minderwertige ausgeschieden werden.
Das Streben nach künstlerischen Zwecken muß mit gewissen
Garantien umgeben sein, und die liegen eben in einem
aus Künstlern gebildeten Richterkollegium. Ueberall unter-
liegt die Prüfung der Leistungsfähigkeit des einzelnen der
Prüfung durch andere, und zwar durch Fachmänner. Sie
bilden den festgefügten Zaun, der den Einbruch unberufener
Elemente abhält.
Nun trifft man da und dort auf die Ansicht, die öffent-
liche Meinung sei ein besserer Juror als alle Künstlerjurys
oder man solle geradezu Jurys aus Laien bilden. Der
Künstler und die öffentliche Meinung, das wäre nun ein
Kapitel für sich, über das sich unendlich viel sagen ließe.
Nur einige Worte, um ihr Wesen und ihre Bedeutung der
öffentlichen Meinung in der Kunst zu charakterisieren, was
ist sie? Sie ist ein unfaßbares Fluidum, eine Art Luft-
strömung, die heute von Westen und morgen von Gsten
kommen kann, die heute das trägt, was sie morgen fallen
läßt. Sie hat kein Herz und keine Seele, keine Tiefe und
keine Gerechtigkeit, sie ist grausam und oberflächlich zu-
gleich. Sie ist befangen von tausend Vorurteilen, sie hängt
am Alten und Hergebrachten oder sie ist sensationslüstern
bis zum Uebermaß. Dabei unterliegt sie von heute auf
morgen dem Einfluß irgendeines, der den Mund recht voll
nimmt oder ihr schön zu tun weiß. Sie ist außerdem nur
der Ausdruck des Kultur- und Geschmackniveaus, auf dem
die große Menge steht. Kann ihr Urteil also von irgend-
welcher Bedeutung für den Künstler sein, der weiß, wie
häufig sie schon vollständig unfähig war, das Große und
Bedeutende zu sehen und zu erkennen? Sind nicht eine
Reihe epochemachender Künstler lange Zeit nur von Künst-
lern als das erkannt worden, was sie waren? Lin Beweis,
daß diese Leute eben tiefer sehen und wärmer fühlen als
die große Menge, die dem eigentlichen Wesen der Kunst
doch recht fremd gegenüber steht. Die Künstler aber haben
künstlerische Entwicklung und Selbsterziehung hinter sich,
arbeiten noch täglich an ihrer Vervollkommnung und haben
ihr Urteil durch eingehendes Studium der verschiedensten
Kunstwerke gebildet und geläutert. Menn wir die große
Menge hätten entscheiden lassen, wäre wohl die neuere
deutsche Malerei in ihren Anfängen erstickt, denn wir er-
innern uns wohl, mit welcher Entrüstung der deutsche
Philister diesen revolutionären Bestrebungen gegenüber
stand.*) Da begann ein wahrer Krieg zwischen Künstlern
und Publikum, das letztere sah seine altgewohnten und
auswendig gelernten Ideale in Gefahr, denn die Anschau-
ungen, die ihm lieb und teuer waren, erlitten gewaltige
Stöße. Daß die Künstler sagten: wir wollen nun etwas
anderes machen, war eine persönliche Beleidigung für das
Publikum, das sich nun im Besitzstand seiner Ideale oder,
sagen wir lieber, Gewohnheiten bedroht sah. Ls ist eben,
was das bequemste ist, konservativ und will seine Ruhe
haben. Also mit ihm war nichts zu machen, wenn die
Kunst vorwärts wollte.
Die öffentliche Meinung ist demnach ein schlechter
Wertmesser in Kunstdingen und wenn ich ein junger
Künstler wäre, würde ich es vorziehen, von tüchtigen
Künstlern gelobt zu werden statt von Hinz und Kunz.
Bleibt nichts anderes, als eben die Künstler mit der Auf-
gabe zu betrauen, das Gute vom Schlechten zu scheiden.
Und zwar haben die Jurys eine doppelte Aufgabe, eine
zurückweisende und eine fördernde, eine negative, aber auch
eine positive. Sie müssen einen Damm bauen gegen das
Unzulängliche, Unverstandene, Unweise, Ungesunde und
Unselbständige, aber sie müssen auch ihren Schild halten
über alles wahrhaft Künstlerische, das nicht in hergebrachten
Bahnen wandelt. Sie haben sorgsam darauf zu achten,
das alles Keimende, Werdende, soweit es Kunst verspricht,
zu seinem Recht und zur Geltung komme. Sie haben die
Aufgabe und das Recht, der öffentlichen Meinung gegen-
überzutreten und zu sagen: Auch das ist Kunst! Das
Zurückweisen ist aber wohl die mißlichere und schwierigere
Seite der Iurytätigkeit, aber auch die allernotwendigste.
Jede Jury kommt am Ende ihrer Tätigkeit auf eine An-
zahl von Werken, über die man sehr verschiedener Meinung
sein kann, ob sie ins Niveau der Ausstellung passen oder
nicht. Hier bringt nun oft eine Stimme mehr oder weniger
die Entscheidung. Es ist aber nicht anders zu machen.
Daher auch die häufig vorkommende Tatsache, die so sehr
gegen die Jurys überhaupt ins Feld geführt wird, daß
ein Werk von der einen Jury angenommen, von der anderen
zurückgewiesen wird. Kann das aber oder so manches
andere, das den Jurys anhaftet, ein Grund sein, die
Jurys überhaupt abzuschaffen?
Denn machen wir uns ein Bild davon, wie es in
diesem Falle werden würde. Die moderne Produktion läßt
sich einem hochgeschwollenen Strom vergleichen, dessen Ge-
wässer aber recht trübe daherkommen. Reißt seine Dämme
ein und er wird mit seinen trüben wassern das Land
überschwemmen. Gut und Schlecht ist ohne Jury gleich
viel wert, denn auch „Schlecht" beansprucht seinen Platz
und macht ihn „Gut" streitig. Ja, „Schlecht" schreit
manchmal so laut, daß „Gut" daneben nicht mehr zu Worte
kommen kann. Und eine wohlgesichtete, Auge und Herz
erfreuende Ausstellung ist dann nicht mehr möglich. Was
ist es für ein Genuß, in einer Ausstellung herumzugehen,
in der man jeden Augenblick durch dilettantische, zeichne-
risch und malerisch ungenügende Werke gestört wird? Man
läßt doch in der Kirche auch keinen Schuster klopfen und
Scherenschleifer hantieren. Man scheidet doch in einem
Thor diejenigen aus, welche weder Gehör noch Stimme
haben, denn sonst gibt es Mißklänge anstatt Harmonie,
wie kann man in Stimmung kommen, wenn man sich
jeden Augenblick ärgern muß? Diejenigen, die Kunst
suchen und Kunstgenuß, werden endlich solche Räume
meiden und die Ausstellungen werden veröden, wie die
Ding in unserer gesamten Kultur und Kunst, daß für weite
Kreise der Mensch erst da interessant wird, wo er anfängt
an irgend etwas krank zu sein. In der Literatur scheinen
mehr und mehr die ungesunden und verschobenen Verhält-
nisse zu reizen und in der Kunst diejenigen Naler, die aus
irgendeinem Grund auf exzentrische und krankhafte Be-
strebungen verfallen sind. Und je weniger etwas noch ver-
standen werden kann, desto mehr wird es angestaunt und
als neuester Fortschritt in den Himmel gehoben. Und
unsere presse tut das ihrige dazu. So werden viele ge-
blendet und leben nun in der merkwürdigen Täuschung,
daß sie etwas Neues bringen, wenn sie das Neueste nach-
ahmen. So wird das liebevolle und allein erzieherische
Studium der Natur wieder verlassen, um einer falschen und
verzerrten Genialität Platz zu machen; so wird die Kunst
von hinten angepackt statt von vorne und eine gesunde
Entwicklung des einzelnen von innen heraus unmöglich
gemacht. Hier liegt entschieden eine Erkrankung unserer
Zustände und die günstigste Annahme führt noch dahin,
daß eben die jugendlichen Gärungen in der deutschen
Malerei noch nicht zu Ende sind. Freilich vieles läßt sich
auch damit nicht entschuldigen, weil es den Stempel be-
wußter Absichtlichkeit zu deutlich an der Stirne trägt.
Gleichwohl wollen alle diese Dinge ans Licht und an
die Geffentlichkeit, denn sie sind ja dazu geschaffen worden,
um der Geffentlichkeit recht schnell zu imponieren. Ls mag
ja auch ganz interessant sein, solch Gärendes und Unreifes
sich entwickeln zu sehen, wenn nicht unter dieser Firma gar
so vieles segelte, das in seinem innersten Grunde auf Talent-
losigkeit und mangelndem Berufe zur Kunst beruht. Malen,
bildhauern, zeichnen kann jeder, der will. Muß auch jeder
ausstellen können, der will?
vorerst wollen wir noch daran festhalten, daß es in
der Kunst Unterschiede im Niveau gibt und daß nicht eines
so gut ist als das andere. So ist es bei allen menschlichen
Dingen, so auch in der Kunst. Und solange die Begabung
ungleich verteilt ist und solange das künstlerische wollen
auf verschiedener Höhe steht, solange muß da, wo man
Kunst sehen will, das Minderwertige ausgeschieden werden.
Das Streben nach künstlerischen Zwecken muß mit gewissen
Garantien umgeben sein, und die liegen eben in einem
aus Künstlern gebildeten Richterkollegium. Ueberall unter-
liegt die Prüfung der Leistungsfähigkeit des einzelnen der
Prüfung durch andere, und zwar durch Fachmänner. Sie
bilden den festgefügten Zaun, der den Einbruch unberufener
Elemente abhält.
Nun trifft man da und dort auf die Ansicht, die öffent-
liche Meinung sei ein besserer Juror als alle Künstlerjurys
oder man solle geradezu Jurys aus Laien bilden. Der
Künstler und die öffentliche Meinung, das wäre nun ein
Kapitel für sich, über das sich unendlich viel sagen ließe.
Nur einige Worte, um ihr Wesen und ihre Bedeutung der
öffentlichen Meinung in der Kunst zu charakterisieren, was
ist sie? Sie ist ein unfaßbares Fluidum, eine Art Luft-
strömung, die heute von Westen und morgen von Gsten
kommen kann, die heute das trägt, was sie morgen fallen
läßt. Sie hat kein Herz und keine Seele, keine Tiefe und
keine Gerechtigkeit, sie ist grausam und oberflächlich zu-
gleich. Sie ist befangen von tausend Vorurteilen, sie hängt
am Alten und Hergebrachten oder sie ist sensationslüstern
bis zum Uebermaß. Dabei unterliegt sie von heute auf
morgen dem Einfluß irgendeines, der den Mund recht voll
nimmt oder ihr schön zu tun weiß. Sie ist außerdem nur
der Ausdruck des Kultur- und Geschmackniveaus, auf dem
die große Menge steht. Kann ihr Urteil also von irgend-
welcher Bedeutung für den Künstler sein, der weiß, wie
häufig sie schon vollständig unfähig war, das Große und
Bedeutende zu sehen und zu erkennen? Sind nicht eine
Reihe epochemachender Künstler lange Zeit nur von Künst-
lern als das erkannt worden, was sie waren? Lin Beweis,
daß diese Leute eben tiefer sehen und wärmer fühlen als
die große Menge, die dem eigentlichen Wesen der Kunst
doch recht fremd gegenüber steht. Die Künstler aber haben
künstlerische Entwicklung und Selbsterziehung hinter sich,
arbeiten noch täglich an ihrer Vervollkommnung und haben
ihr Urteil durch eingehendes Studium der verschiedensten
Kunstwerke gebildet und geläutert. Menn wir die große
Menge hätten entscheiden lassen, wäre wohl die neuere
deutsche Malerei in ihren Anfängen erstickt, denn wir er-
innern uns wohl, mit welcher Entrüstung der deutsche
Philister diesen revolutionären Bestrebungen gegenüber
stand.*) Da begann ein wahrer Krieg zwischen Künstlern
und Publikum, das letztere sah seine altgewohnten und
auswendig gelernten Ideale in Gefahr, denn die Anschau-
ungen, die ihm lieb und teuer waren, erlitten gewaltige
Stöße. Daß die Künstler sagten: wir wollen nun etwas
anderes machen, war eine persönliche Beleidigung für das
Publikum, das sich nun im Besitzstand seiner Ideale oder,
sagen wir lieber, Gewohnheiten bedroht sah. Ls ist eben,
was das bequemste ist, konservativ und will seine Ruhe
haben. Also mit ihm war nichts zu machen, wenn die
Kunst vorwärts wollte.
Die öffentliche Meinung ist demnach ein schlechter
Wertmesser in Kunstdingen und wenn ich ein junger
Künstler wäre, würde ich es vorziehen, von tüchtigen
Künstlern gelobt zu werden statt von Hinz und Kunz.
Bleibt nichts anderes, als eben die Künstler mit der Auf-
gabe zu betrauen, das Gute vom Schlechten zu scheiden.
Und zwar haben die Jurys eine doppelte Aufgabe, eine
zurückweisende und eine fördernde, eine negative, aber auch
eine positive. Sie müssen einen Damm bauen gegen das
Unzulängliche, Unverstandene, Unweise, Ungesunde und
Unselbständige, aber sie müssen auch ihren Schild halten
über alles wahrhaft Künstlerische, das nicht in hergebrachten
Bahnen wandelt. Sie haben sorgsam darauf zu achten,
das alles Keimende, Werdende, soweit es Kunst verspricht,
zu seinem Recht und zur Geltung komme. Sie haben die
Aufgabe und das Recht, der öffentlichen Meinung gegen-
überzutreten und zu sagen: Auch das ist Kunst! Das
Zurückweisen ist aber wohl die mißlichere und schwierigere
Seite der Iurytätigkeit, aber auch die allernotwendigste.
Jede Jury kommt am Ende ihrer Tätigkeit auf eine An-
zahl von Werken, über die man sehr verschiedener Meinung
sein kann, ob sie ins Niveau der Ausstellung passen oder
nicht. Hier bringt nun oft eine Stimme mehr oder weniger
die Entscheidung. Es ist aber nicht anders zu machen.
Daher auch die häufig vorkommende Tatsache, die so sehr
gegen die Jurys überhaupt ins Feld geführt wird, daß
ein Werk von der einen Jury angenommen, von der anderen
zurückgewiesen wird. Kann das aber oder so manches
andere, das den Jurys anhaftet, ein Grund sein, die
Jurys überhaupt abzuschaffen?
Denn machen wir uns ein Bild davon, wie es in
diesem Falle werden würde. Die moderne Produktion läßt
sich einem hochgeschwollenen Strom vergleichen, dessen Ge-
wässer aber recht trübe daherkommen. Reißt seine Dämme
ein und er wird mit seinen trüben wassern das Land
überschwemmen. Gut und Schlecht ist ohne Jury gleich
viel wert, denn auch „Schlecht" beansprucht seinen Platz
und macht ihn „Gut" streitig. Ja, „Schlecht" schreit
manchmal so laut, daß „Gut" daneben nicht mehr zu Worte
kommen kann. Und eine wohlgesichtete, Auge und Herz
erfreuende Ausstellung ist dann nicht mehr möglich. Was
ist es für ein Genuß, in einer Ausstellung herumzugehen,
in der man jeden Augenblick durch dilettantische, zeichne-
risch und malerisch ungenügende Werke gestört wird? Man
läßt doch in der Kirche auch keinen Schuster klopfen und
Scherenschleifer hantieren. Man scheidet doch in einem
Thor diejenigen aus, welche weder Gehör noch Stimme
haben, denn sonst gibt es Mißklänge anstatt Harmonie,
wie kann man in Stimmung kommen, wenn man sich
jeden Augenblick ärgern muß? Diejenigen, die Kunst
suchen und Kunstgenuß, werden endlich solche Räume
meiden und die Ausstellungen werden veröden, wie die