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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Schmidkunz, Hans: Die Schutzfrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0416

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410 Die Werkstatt der Kunst. Heft zo.

für alle jGeistesxrodukte und auch für den „parsifal" in
Deutschland usw. bleibt.
Die Sache kann aber doch nicht als auf absehbare Zeit
erledigt betrachtet werden. Man hat einiges Recht, wenn
inan sowohl das Fortdauern des Schutzes lang über den
Tod des Urhebers hinaus wie auch das Aufhören dieses
Schutzes nach einer bestimmten Zahl von Jahren als ein
geradezu himmelschreiendes Unrecht betrachtet und schließ-
lich nicht weiß, was vorschlagen.
Einerseits. Wenn mein Spazierstock 3 t Jahre nach
meinem Tod in der Hand meines Enkels ist, und jemand
will ihm diesen Stock unter Berufung auf irgendein Ideal
wegnehmen, so wird mein Enkel den Angreifer entweder
tüchtig verbläuen oder ihn vor Gericht zitieren. Wenn ich
aber meinen Rindern und Enkeln meine Geisteswerke
hinterlasse, dann müssen sie nach 3 t Jahren sich schlechtweg
eine Enteignung gefallen lassen. Und zwar weil, wie es
so schön heißt, die Nation einen Anspruch darauf hat.
(Andere Nationen bekommen den Vorteil von dem einen
Nationsmann ebenso — also wozu die Nation anrufen?!)
wer meinem Enkel den Stock wegnehmen will, beruft
sich vielleicht darauf, daß der Stock eine künstlerisch wert-
volle Schnitzerei trage und möglicherweise bei irgendeinem
Stückchen Nationalgeschichte eine Rolle gespielt habe. Je
wertvoller nun der Stock durch eine solche Eigentümlichkeit
oder Beziehung wird, desto eher kann ein „nationaler"
Kopf herausfinden, daß die Erben 30 Jahre nach dem Tode
des Erblassers eigentlich kein Recht mehr darauf haben.
So scheint denn das Aufhören der Schutzfrist einer der
schlimmsten Eingriffe in das persönliche Eigentum zu sein,
den man sich denken kann; und wie sehr der Fall „Parsi-
fal" dies bestätigt, hat man ebensowenig gemerkt, wie das
Unrecht unbemerkt geblieben ist, das darin liegt, daß gerade
dem „parsifal" ganz eigens etwas zugute kommen soll,
was zahlreichen oder eigentlich allen übrigen Kunstwerken
ebenfalls gebührt: Schutz vor Verunehrung.
Andererseits, wenn ich Lichtbildvorträge halte, und
ich suche Material dazu, so darf ich natürlich von Künstlern,
die noch keine 30 Jahre tot sind, keine Bilder ohne Erlaub-
nis der Erben zeigen. Bei Abbildungen im Druck ebenso.
Vor allem muß ich also wissen, wer die Erben sind. Viel-
leicht ist es die Witwe, vielleicht ein Sohn, vielleicht eine
mit anderem Namen verheiratete Tochter, vielleicht Enkel-
kinder oder Neffen — in Kamtschatka oder auf Kap Horn.
Vielleicht ist es auch ein Verleger; und möglicherweise teilen
sich mehrere Verleger mit den Verwandten in das Anrecht
auf das Gesamtwerk des Künstlers nach seinen verschiedenen
Partien. Diesen Verzweigungen soll ich also nachspüren.
Bin ich endlich durch dieses Gestrüpp durch, so fragt es sich
nun, ob mir der betreffende Inhaber des Urheberrechtes die
Erlaubnis ohne weiteres gibt, oder ob er mir Geld dafür
abnimmt, oder ob er sie mir gänzlich verweigert. Unter
Umständen kann damit eine tolle Willkür getrieben werden
(gewiß kennen auch einige Leser Beispiele dafür); anderen-
falls ist vielleicht die Zahlung leicht zu ertragen, weil sie
kaum in einem Verhältnis steht zu den Mühen und Kosten,
die mich bereits das Recherchieren nach der verlängerten
Paternität gekostet hat.
Was also soll getan werden? Verlängerung der Schutz-
frist empört; und Verkürzung der Schutzfrist empört auch.
Rein prinzipiell genommen, ist die Lösung sehr einfach: die
Schutzfrist darf überhaupt niemals enden; und ebenso prin-
zipiell sehe ich vorerst absolut nicht ein, warum ich nicht,
wenn ich heut' ein Drama von Aeschylus genießen will, den
Erben des Dichters eine Gebühr dafür zu zahlen ver-
pflichtet bin.
Aber wo sind die Erben? Die Frage allein führt die
Konsequenz ucl absurclurn. Nach einer solangen Zeit
hört ja Erbschaft überhaupt auf, nach einer kürzeren
Zeit jedoch hört schon der normale Verkehr mit der Erb-
schaft auf.
Jene Konsequenz läßt sich etwas weniger kraß ziehen.
Wenn heut' ein Erbe des Aeschylus oder Phidias aufsteht
und sagt: Ich bin nachweislich der Erbe jenes Großen und

dulde keine Verletzung meines Erbes, so wird die Sache
schon etwas plausibler. Wenn andererseits ein vor kurzem
verstorbener Künstler nur irgendeinen verwilderten Nach-
kommen als Erben zurückgelassen hat, und wenn dieser
vielleicht gar kein Interesse an der Festhaltung des urheber-
rechtlichen Schutzes besitzt: soll ich dann gezwungen sein,
mit langen Korrespondenzen oder Reisen den Mann auf-
zusuchen, um von ihm zu hören, daß ich ihn höflichst in
Ruhe lassen möge?!
Sonach kommt alles darauf hinaus, daß man wissen
muß, wer jeweils die Erben sind, und daß diese ihren
willen kundgeben müssen. Der Ausweg, der sich dadurch
auftut, sei im folgenden als kurzer Vorschlag dargelegt.
Ein oder wenige Jahre nach dem Tode des Künstlers
soll die Schutzfrist genau so bestehen wie bisher; denn in
dieser kurzen Zeit ist der Rechtsnachfolger verhältnismäßig
arn leichtesten zu finden und ist noch sozusagen mitten im
Einkassieren.
Nach Ablaus von einem oder wenigen Jahren
müssen die berechtigten Erben sich entscheiden, was sie
wollen. Tun sie dann nichts, so werden die Werke des ver-
storbenen ohne weiteres „frei", und die Nationsgenoffen
haben das „nationale Gut". Wollen hingegen die Erben
ihr Eigentum wahren, dann müssen sie sich an eine Zentral-
stelle wenden, welche in dem betreffenden Staat oder Reich
eigens zu diesem Zweck errichtet wird und vielleicht irgend-
einem Ministerium des Innern oder Justizministerium an-
gegliedert sein kann.
In dieser Zentralstelle erklären die Erben oder der
Erbe kurzweg, daß sie unter ihrer Adresse den vollen (oder
vielleicht irgendwie modifizierten) Anspruch auf das ihnen
zustehende Urheberrecht erheben. Diese Erklärung wird mit
aller bureaumäßigen Sorgfalt eingetragen, und die Sache
ist für's nächste so wie bisher. Nur hat jemand, der das
fragliche Werk irgendwie vervielfältigen will oder dgl., den
ganz bequemen weg, sich bei der Zentralstelle nach den
Erben zu erkundigen. Vielleicht kann ihnen jene noch
irgendwie die weiteren Verhandlungen abnehmen. Vielleicht
gibt es da auch irgendwelche Möglichkeit, das betreffende
Recht ein für allemal zu verkaufen oder dgl.
Diese Feststellungen sollen für eine ganz bestimmte
Reihe von Jahren gelten, sagen wir für 5 oder meinetwegen
für ;o Jahre. Rühren sich nach Ablauf dieser Frist die
jeweiligen Erben nicht, dann sind die fraglichen Werke
schlechterdings frei und sogenanntes Nationsgut. wollen
die Erben hingegen wiederum ihre Rechte geltend machen,
so wiederholt sich die Prozedur der Anmeldung auf die
nächsten 5 oder ;o Jahre. Und so geht es weiter — aber
keineswegs in inllniturn.
Schon die erste Anmeldung ein oder wenige Jahre nach
dem Tode des Urhebers wird keineswegs von sämtlichen
Erbschaften gemacht werden. Bei der zweiten Anmeldung
werden wieder zahlreiche Fälle schwinden; für die dritte und
die nächstfolgenden Anmeldungen wird die Zahl wahr-
scheinlich so rapide zurückgehen, daß auch die Befürchtungen
einer Ueberlastung der Zentralstelle, des „Schutzamtes",
lächelnd beiseite gelegt werden können.
Vielleicht „erben sich Gesetz und Rechte" in einem oder
dem anderen Falle durch Jahrhunderte hindurch fort. Na-
mentlich Familien, wie besonders adelige, welche viel auf
Kontinuität halten, werden dafür eher ein Interesse haben
als sonstige. Allein dies schafft kaum andere Verhältnisse als
das weitererben eines Kunstwerkes durch die Jahrhunderte
hindurch, das ja die jeweiligen Eigentümer immer wieder
beliebig hinter Schloß und Riegel halten und so der All-
gemeinheit und der Nation entziehen können. Recht muß
Recht bleiben, Eigentum muß Eigentum bleiben. Und die
wenigen Fälle, in denen unsere Nachkommen mit einer
Wiederholung des Anmeldens auf so lange Zeit beglückt
werden, wie seit Phidias bis auf uns vergangen ist, dürften
allein schon durch ihr historisches Interesse das lohnen, was
der Nation und etwa einem Bureau an Bequemlichkeit
entgeht.
In welche juristisch fachgerechten Formen der Vorschlag,
 
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