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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Kober, Leo: Bilanz!
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0458

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H52
zückung und Tadel, zu denen sie Anlaß gegeben,
verstummt, vergessen und begraben. Wer's tun kann,
verläßt die Stadt, ruht aus ein wenig und wartet,
bis neue Hoffnungen zu neuer Arbeit treiben, das
Bestehende zu festigen, oder dem Erstrebten, noch
nicht Erreichten nachzusagen. Das künstlerische Ge-
schäftsjahr ist um, und es ist Zeit, Bilanz zu machen.
„Bilanz" ist ein scheußliches Wort, denn es
riecht nach Geschäft. Und die Kunst soll nichts zu
schaffen haben mit dem Geschäft. Dieser wunder-
volle Grundsatz hat jedoch die Butter nicht gehindert,
teurer zu werden. Und mag der Künstler noch so
grundverschieden sein von den übrigen Menschen, er
gleicht ihnen in diesem einen Punkte: die Butter und
alles Uebrige ist für ihn nicht billiger als für alle
anderen. Und läuft sein Leben auch auf Ausnahms-
wegen, und anerkennt er als Lebensgesetze nur
solche, die ihm passen, mögen sie von anderen ver-
worfen und verlacht werden, — mit strenger, fester
Hand weist ihn der Daseinskampf mit seinen er-
höhten Butterpreisen zurück auf das harte Pflaster
der Heerstraße, auf der die anderen einhergehen.
Wollen wir uns daher nicht scheuen, Bilanz zu
machen.
Von künstlerischer Bilanz mag hier eingehend
die Rede nicht sein. Die künstlerische Ausbeute des
vergangenen Winters war nicht ärmer, als die,
anderer Jahre, vielleicht reichlicher. Die Franzosen
des XVIII. Jahrhunderts, Amerikaner, die Ungarn
in der Sezession, Manet und Tözanne, zum Schluß
die beiden Zahresausstellungen der wichtigsten
Künstlervereinigungen Berlins, von der Wenge
kleineren Ausstellungen abgesehen, — das alles ist
ein stattliches (Quantum Kunstfutter für den über-
anstrengten Klagen der Berliner. Es ist auch nicht
zu leugnen, daß von seiten der berufensten Fak-
toren alles unternommen wird, das zur künstlerischen
Erziehung des Großstadtmenschen erwünscht ist. Za
es ist als übergenug zu bezeichnen, wenn man be-
denkt, wie viele andere Dinge diesen Großstadt-
mcnschen noch beschäftigen und beschäftigen müssen. Zn
den Eröffnungsreden der beiden Ausstellungen ist
manches richtige Wort gefallen, und mag man auf dieser
oder jener Seite stehen, an den ehrlichen Bestrebungen
ihrer Führer für das, was für sie „Kunst" bedeutet,
kann nicht gezweifelt werden. Seien die Wege, die
sie gehen, auch grundverschieden, sie gehen sie dennoch
mit der Ueberzeugung im Znnern, daß sie zum Besten
führen. Das Wohl der Kunst liegt ihnen sicherlich
auf dem Herzen.
Aber da wir nun einmal von den erhöhten
Butterpreisen gesprochen haben, mag uns das Wohl
der Kunst diesmal nebensächlich bleiben, dieses Wohl
der Kunst, das mit dem Wohl des Künstlers so
wenig, so bettelwenig zu tun hat. Und hat unser
künstlerisches Gewissen die künstlerische Bilanz des
verflossenen Winters befriedigt, — unser zweites Ge-
wissen, das menschliche, dieses Produkt von Verant-
wortlichkeit den: wirklichen Leben, den Menschen,

heft ZZ.

Familie und sich selbst gegenüber, jenes Gewissen,
das stumm bleibt vor Manets Frauenbildnissen und
sich regt, wenn die Butterpreise steigen, es fordert eine
wirtschaftliche Bilanz des Zahres, und wollen
wir diese ziehen, so werden wir, sie mit diesem
zweiten Gewissen zu vereinigen, wohl kaum in der Lage
sein. Lin paar Artikel über Künstlerproletariat, Ueber-
produktion, schließlich in den Kunstzentren Deutsch-
lands etwa fOOOO refüsierte Bilder — das ist die
wirtschaftliche Bilanz des Winters ^909/^9^0.
So unglaublich traurig das Letztere ist, liegt es
mir hier ferne, das alte Lied von fOOOO „ge-
täuschten Hoffnungen, zerstörten Möglichkeiten" usw.
wieder anzustimmen, dieses alte, gute, dumme Lied.
Zch erklärte hier aus bester Ueberzeugung heraus,
daß aus den: Umstande dieser sOOOO refüsierten
Kunstobjekte den in Frage stehenden Zurys auch nicht
der geringste Vorwurf zu machen sei. Zch halte
es für unmöglich, für ganz ausgeschlossen, daß
bei dem System der Ausstellungsjurys, wie es heute
(mit Recht oder mit Unrecht) besteht, unbedingt
gerecht vorgegangen werden kann. Das ist
nicht zu verlangen. Und umso unmöglicher ist dies
bei den vorhandenen, ganz unerhört beschränkten
Raumverhältnissen, diesem Uebermaß von Produktion
gegenüber. Von der heute geradezu ins Erstaunliche
angewachsenen Grundverschiedenheit künstlerischer An-
schauungen, die sicher und mit Recht bei Aufnahme
in die Ausstellungen mit —, wenn auch nicht allein,
ausschlaggebend sind, sei hier abgesehen. Die Herren
nehmen eben nur so viel und das, was sich mit den
(Huadratklaftern ihrer Räume und mit ihrer künst-
lerischen Gesinnung vereinbaren läßt. Auch ist, würden
selbst alle oder die große Mehrzahl der eingelieferten
Kunstwerke zur Ausstellung gelangt sein, damit noch
lange nicht gesagt, daß Alles verkauft und sich dadurch
die wirtschaftliche Lage vieler Künstler bessern würde.
„Ausgestellt" bedeutet noch lange nicht „bemerkt",
und „bemerkt" noch lange nicht „verkauft". Es ist
ganz müßig, sich in Vorwürfen gegen Zurys und
Systeme zu ergehen, und in den fOOOO refüsierten
Werker: den Born des Unheils zu suchen, vielleicht
gar von Härte und Mißgunst zu faseln. Man be-
gehe doch das Wagnis, juryfreie Ausstellungen ins
Leben zu rufen, — die Unheilsucher werden alsbald
von der Unhaltbarkeit ihrer Vorwürfe durchdrungen
sein. Nicht hier liegt das Uebel, das die Lähmung
der wirtschaftlichen Seite unseres Kunstlebens ver-
schuldet.
Zn uns, in uns selbst liegt der Kern des Uebels.
Und wird so lange liegen, so lange wir den Unsinn
nicht ausgemerzt haben, uns für Ausnahmsmenschen
zu halten und für unsere Leistungen mit Ausnahms-
preisen entlohnt werden zu wollen.
Zch zähle eine Menge braver, anständiger
Familienväter zu meinen Bekannten, die von einem
monatlichen Einkommen von HOO—500 Mark gut
und beschaulich existieren, gut essen, sich und ihre
Familie ganz gut kleiden, passabel wohnen und sich

Die Werkstatt der Kunst.
 
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