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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Voss, Georg: Ein Raphael ohne Arme
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Pecht, Friedrich: Ch. Dennerlein's Pallas Athene
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0024

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Lin Raphael ohne Arme — Th. Deimerleiii's pallas Atheiie

Lin üaphael ohne Armc
Aäine der intercsMtesten Sehenswürdigkeiten der Welt-
nnsstellung in Antwcrpcn ist das Parträt des Ncgerkönigs
Massala, der nüt cincm Tcile seiner Unterlhanen twm Kongo
;um Besnche der Ausstellung dort eingetrofsen ist. Aller-
dings kennt die Kunstgeschichte Negerbildnisse schon seit der
Entstehung der Ölmalerei und noch früher. Die farbcn-
schöne Erscheinung dcr braunen und schwarzcn Menschenrassen,
die reiche Abstusung der Töne und der metallische Glanz
dcr bronzefarbcncn Haut haben schon Jahrhunderte hindnrch
immer wieder von Neuem ihren mächtigen Rciz auf die
Künstler ausgeübt und die koloristisch anziehendsten Werke ent-
stchen lassen. Am srühesten wohl in den Gemälden dcr
heiligcn drci Könige, von dcneu wenigstens der Eine als cchlcr
König aus dem Mohrcnlande schwarz erscheinen mußte. Sodann
in dcn Gemälden des jüngsten Gerichts. auf denen mau bei dcr
Darstellung der Auferstehung des Fleisches gcrn auch einen
Mohreu sich aus seiuem Grabe crhcbcu ließ. DerKoutrast zn dcn
weißen Leiberu der Übrigen. dic zn den Gefilden des Paradieses
cmporschweben. war zu verlockend. als daß die großeu Kolo-
risten des 16. und 17. Jahrhuuderts sich diese Wirkung
hüttcn entgeheu lassen. Was dagegen das in Autwcrpen aus-
gestcllte Portrüt des Ncgerkönigs Massala so interessaut macht.
ist die stolze Künstlerinschrift des Bildes: Lliarlss b'olrr xsäö
piuxib. Charles Felu hat das Porträt mit dem Fuße
gemalt uud damit den Bcweis geliefert, daß der Maler auch
ohne die in den Liedern aller Völker besungene Hand des
Künstlers eiu tüchtiger Meister in seinem Fache sein kann.
Charles Felu ist im Jahre 1830 iu Wacrmaerde, cincr
kleineu Stadt Belgiens, ohne Arme geboren. Anfangs gelehrten
Studien auf dem Gebiete der klassischen Sprachen ergeben. lernte
er die Füße. wie ein Anderer seine Hände gebrauchen. Dann
widmete er sich der Malerei. Seit einigen Jührzehnteu ist
er in Antwerpen als geachteter Porträtmaler ansässig und als
solcher von der Kongogesellschaft mit der Anfertigung dcs
Bildnisses des Negerkönigs Massala beauftragt worden- Das-
sclbe ist ein gutes Portrüt vou sehr sorgfültiger Ausführuug.
Von irgend einem Hindernis, das die Natur dem Maler in
der Handhabung oder vielmehr in dem Gebrauch des Pinsels
aufcrlegt hätte, ist weder in dicsem uoch in eincm andercn seiner
Werke, die ich hicr sah, cine Spnr zu fiudcn. Jch wohnte bei
meinem letzten Besuche in Antwerpen seinem Hause gegenüber
und hatte oft die schlanke. elcgante Figur des Mannes an
meineu Fensteru vorübergchen sehen. Vor seiner Hausthüre
angelangt, zog cr den Fuß aus dcm Schüh und schloß sicher
und gewandt die Hausthüre auf, fuhr wieder in seinen Schuh
und war ebenso schnell wieder verschwunden. Eines Tages
machte mich meiu Wirt, bei dem Feln öfter vorsprach. mit
dem seltsamen Manne bekannt. und wir gingen zusammen in
scin Atelier, wo er mir einige seiner Arbeiten. namentlich recht
gute Kopien nach Gcmälden alter Meister aus dem Antwerpener
Museum zeigte. Beim Akalcn hockt Felu auf cinem Lehnstuhl.
iu dem eincn Fuß hält er die Palette. in dem anderen. zwischen
der großen Zche, die er als Daumen und der nächsten Zehe.
die er als Zeigcfinger gebraucht. den Pinsel. Zuletzt trat er
an den Schreibtisch. nahm seine Photographie heraus, schrieb
mit starkem. festen Fuße seinen Namen darunter und übcr-
rcichte mir das Bild mit einer Sicherheit und weltmännischen
Eleganz. daß ich das Komische der Erscheinung oald vergaß.
Jn der darauf folgenden Plauderei sprach er mit eincr
Heiterkeit von sich und seincm Beruf, aus der der volle
Sonnenscheiii einer echten Künstlernatur hervorlachte. Zum

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Abschied reichte er mir den feiuen kühlen Fuß und drückte
meine Hand mit einem herzlichcn Lachen. aus dem ich sah,
daß sich die Seele dieses Mannes ausgesöhnt hatte mit dem,
was ihm ein herbes Schicksal versagt hat. Ja es schien
ihm Freude zu machen. der Welt bewiesen zu haben. daß
Energie und Talent selbst die herbste Mißgunst dcr Natur zu
überwiuden vcrmag. Unwillkürlich rief mir seine Erscheinung
die Worte dcs Malcrs in Lessings Emilia Galotti in
die Erinuerung: „Meinen Sie, Prinz. daß Raphael uicht
das größte mnlerische Genie gewesen würe. wcnn er unglück-
licher Weisc ohne Hünde wäre geborcn worden?" Wcnn
auch Felu kein Raphael gewordeu ist. so licfert seiue Per-
sönlichkeit dennoch eine schöne Bestütigung des Lessing'schen
Gedankens. Und wenn sich uicht alle Gemälde Felu's iu
ihrer Bolleuduug so zeigen. wie sie vor dem geistigen Auge
dcs Künstlers gestanden haben. so sei hier noch an cin
anderes Wort Lessings erinnert: „Auf dem laugen Wegc
aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel. wieviel gcht
da verloren!" Bei Felu ist dieser Weg noch länger. und
der unerschütterliche Mut, mit dem Felu auch die Schwierig-
keiten dieses Weges zu besiegen vermochte. so daß der Fuß
sich ganz in den Dienst seiner schönen Seele stellen konute.
muß dcm merkwürdigen Manne uusere Achtuug uud unsere
Liebe sichern. _ Georg Vosi

Öli. ^ennertein's pall.isi Atlscne
)Ä>erade vor dcm Schlusse unsercr Numincr erhicltcn wir
„och das Bild sciner bald dic ncue Münchcncr Akademie
kröncndcu Kolossalfigur der „Pallas-Athene". Wie man
sieht, ist sie als Beschützcrin dcr Künste gcdacht; die Göttin
lüdt mit freundlichem Ernst die Schüler zum Bctreten dicser
Halleu cin, die sic ihneu gastlich geöffuet. Nicmand wird
verkenncn. wie die Hoheit und Würdc, das Unnahbare der
Göttin iu diescr stolzeu Gestalt vortrefflich ausgesprocheu sei.
Selbst in ihrer Freundlichkcit liegt ctwas Drohendes, das
den Uuwürdigen zurückschcncht, deu Frcchcn nicdcrschmettcrt.
Hat sich der Künstler sclbstveistündlich au die antiken Vor-
bilder gchalten bei dicser müchtigcn Gestalt, so ist doch der
Gcist. mit dem cr sie belebte. unzwcifelhaft ein moderuerer
im besten Sinue. Scinc Göttin der Knnst gehört dem
nennzchntcu Jahrhundert nach Christo. uicht dcm vicrten vor
dcmselben an; ihr Vater ist deutscher, nicht hellenischcr Ab-
kunft. Eben darum ist sie auch so überzeugcnd, keine lecre
antike Maske ohne Blut und inneres Leben. Denn der
Künstler hat sie sich vollkommen durchgedacht, ehe er daran
ging. sie zu machen; diese Pallas ist offenbar die Ver-
körperung des Geistes. den er in der Akademie herrschend
zu sehen wünscht. — Die Strenge des Cornelius alhmet
noch mehr aus ihr. als die heitere Majestät des Phidias;
sie steht da um den Jünglingcn. die unter ihr aus- und
eingehen. das Gewissen zu schärfen, sie anzutrciben. nach
dem Höchstcn zu streben. Und „hinter ihr in wesenloscm
Scheine liegt. was uns alle fesselt. das Gemcine". kanu
man wohl mit Goethe von ihr sagen. Tarum trägt sie
anch Helm mnd Speer nicht zum Putz, sondern ist jeden
Augenbtick zum Kampfe gerüstet. und dec großartige rhyth-
mische Fluß der reichen Gewänder ist nur das Bild der
iuneren Harmonie und Ruhe des von keinem Zweifel an-
gekränkelten Wesens. — Je seltener also derartige nach allen
Seiten durchgesühlte und gcarbeitete Gestalten sind. um
so freudiger dars man diese begrüßen. — Wenn aber
das innerlich Fertige und Abgeschlossene die klassische von
 
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