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Die Meresch agin - Aur ste llun g in Ivien.
Hkudie. von W. M. Mereschagin.
Die Wekeschagin-Ausstellung in wien.
Von
L. von vincenti.
das ein lauter Erfolg in Wien, die erste Wereschagin-
Ausstellung vor vier Jahren! Schrecken, Jammer,
Kriegselend, unsäglichesLeiden brachtejener gemalteTotentanz
auf den bulgarischen Schlachtfeldern. Man schauderte, aber
man vermochte sich der unerbittlichen Beredtsamkeit dieser
gemalten Wahrheit nicht zu entziehen. „So ist der Krieg"
— sagten jene Bilder, „nun gehet und liebet den Frieden".
Wenige Bilder abgerechnet, ift die vor Kurzem im Wiener
Künstlerhanse eröffnete zweite Wereschagin-Ausstellung
milder, frendiger, sonniger. Zwei Bilder ausgenommen, eine
Kreml-Vedute nnd eine Nihilisten-Hinrichtung, führte
der Künstler nns diesmal die malerische Ausbeute vor,
die er sich teils allein, teils mit seiner kleinen, resoluten
r>ran in Käschmir, im Himalaya, und im heiligen
Lande erwandert hat: Repräsentationsbilder, Architek-
tnren, biblisches Genre, Landschast, Stimmungsskizze,
Charakterköpfe und Bildnisstudie — das Tierstück nicht
zu vergessen, womit ich das weitläusige Bild mit dem Aufzug
lebensgroßer Elephanten gemeint haben will, aus welchein
sich unter anderem auch der „künftige Kaiser von Jndien"
mit dem betreffenden Maharadscha als Staffage befindet.
Tie Herren von der Palette selbst
können der stupenden Technik des findigen
Russen manchen Kunstgriff, mauchen kolori-
stischen Witz ablernen und auch im Vorbei-
gehen kennen lernen, wie man als Akade-
miker anfängt und als Wereschagin endet:
von Aktstudie zu Mtstudie, von Skizze zu
läßt sich dieser Prozeß verfolgen,
>venn man die Zeichnungen des Künstlers
von 1853 bis 1884 sorgfältig studiert.
Hinaus mit der Staffelei aus dem kränk-
lichen Atelierlicht unter dns freie Himmels-
zelt! Wahrheit um jeden Preis! Bei der
Naturstudie fängt der Maler der Wahrheit
an. Jn Licht und Luft gedeiht die chische,
gesunde Malerei. So ist Wereschagin ge-
worden, was er ist: der große Maler der
augenblicklichen Naturstimmungen, der gegen-
ständlichsten Wirklichkeiten.
Unter den Sensationsbildern der Aus-
stellung ist zweifelsohne das künstlerisch wert-
vollste „die Hinrichtung der Nihilisten" auf
dem Petersburger Semenow-Platze. Es ist
ein echter Wereschagin —- wahr bis zur
Verzweiflnng, im wahren Sinne des Wortes
im Schneegestöber gemalt — so sieht es
aus. Ein richtiger, wolorganisierter Eng-
länder, der dieses Bild sieht, bekommt den
Spleen und hängt sich aus, so entsetzlich,
schauerlich lebensverdrossenmutenan dieseam
schmutzigen Nelielhorizonte verdämmernden
Galgen, dies leichenstille Herabgleiten der
schweren Schneeflocken, dieser russische Mili-
tär-Cordon und diese barbarische Schaulust
des berehruugswürdigen Publiknms, das
sich hinter die berittenen Gendarmen drängt. Da — so
meint Wereschagin — sei es vorzuziehen, rasch und schmerz-
los durch die Känone „in die Luft geblasen" zu werden,
wie dies die indischen Meuterer beim großen Ausstande ge-
nossen haben, und um uns zn überzeugen, führt nns der
Künstler vor sein indisches Hinrichtungsbild, aus welches die
indische Sonne aus vollem Himmel herablacht. Aber hier
überzeugt er uns nicht. Die angebliche Humanität dieser
Todesart beiseite, das Bild ist langwellig' und wird auch
bei elektrischer Beleuchtung nicht kurzweiliger. Schade für
das große technische Geschick, das da an eine malerisch un-
dankbare Aufgabe verwendet worden!
Beim großen, dekorativen „Elephanten-"Bilde, zollen
wir volle Anerkennnng der virtuosen Beherrschung des
figurenreichen Vorganges im Gesamtton wie Tetail; die
roten Wedelträger und die weißen Trabanten, die Lanzen-
und Bannerträger wandeln mit orientalischer Grandezza
daher, die Reiter mit ihren dichtmaschigen Stahlschleiern
sind interessante mongolisch-persische Kriegsfigurinen aus
verschollener großer Zeit, die Elephanten ninstergeschirrte
Musterkolosse, der duftig-rosige Architektur-Hindergrund eine
meisterhafte Folie für diese ganze lichffatte, von energischen
Pastosen strotzende Pracht — aber das alles ist doch kein
Makart. Da sind mir die so plastischen, farbenstrahlenden
Architekturen und Jnterieus lieber und ani liebsten die
kleinen, intimen, vom Zauber des feinsten Stimmungs-
reizes geadelten Bilder, an denen gerade die indische Ab-
teilung verhältnismäßig reich ist. Tie großen Architekturen