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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Mühling, C.: Aus römischen Ateliers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0200

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,52

Aus römisäien Ateliers

Rom. —I. Es hat einen eigenen Reiz, die Kunst
in ihren Werkstätten anfznsnchen, den Genius des Künstlers,
still betrachtend, bei seiner Arbeit zu belauschen nnd mit
ihm gleichsam jenen seltsamsten nnd unerklärlichsten aller
Wege, den Weg vom Kopf bis zur Hand, zuriickznlegen.
Jn Rom aber, wo durch die Eindrücke einer alten Kultur und
einer unvergleichlichen landschaftlichen Schönheit und Farben-
pracht die Phantasie des Künstlers reicher befruchtet wird, nls
irgendwo, da gewährt es einen ganz besonderen Genuß, den
Wirknngen dieser gewaltigen Vergangenheit und dieser herrlichen
Natur in den Ateliers der Maler und Bildhauer nachzuspüren.
Da, wo im neuen Rom die Straßen breit und ge-
rade sind, und große Mietkasernen das Ange langweilen,
hat Siemiradzki sich ein Haus gebaut, das sich von
den andern durch seine pompejanische Bemalung vorteilhafl
nnterscheidet. Hier arbeitet der Künstler in seinem luxuri-
ösen und praktischen Atelier augenblicklich an zwei Bildern,
von denen das eine den Kaiser Nero an der Leiche einer
an die Hörner eines Stiers gebnndenen und zu Tode ge-
schleisten Märtyrerin datstellt und nns wieder in die Zeit
sührt, deren Charakter uns Siemwadzki in seinen Fackeln des
Nero veranschaulicht hat. Das andere Bild stellt eine
reizende biblische Szene dar: Chrisllis in seinem häuslichen
Verkehr mit Martha und Maria. Losgelöst von der kon-
ventionellen Anffassung, welche die zahlreichen malerischen
Jllustrationen dieses Jdylls beherrschte, spielt sich die Szene
nach Siemiradzkis Bild im Freien vor dem Hause des
Lazarus ab. Christns sitzt auf einer kleinen Mauer, die
einen Garten einschließt und zu seinen Füßen lauscht, ganz
versunken in des Heilands Gedanken, die Welt und sich
selbst vergessend, die eine der Schwestern, während die
andere, ein Gefäß am Arme tragend, durch einen
von wildem Wein überrankten Gaug schreitet, auf dem
die durch das Lanb sallenden Sonnenstrahlen mit solcher
Natürlichkeit spielen, daß man glaubt, diese Lichter werden
verschwinden, wenn man die Vorhänge schließt. Den Hinter-
grund füllt eine sonnenbeglänzte Landschaft mis, deren
Motiv vielleicht im Sabinergebirge zu suchen ist, dessen
Charakter ja sehr an die Berge um Jerusalem erinnert.
Der Gegensatz zwischen der wirtschaftlichen und der in
Christi Gedanken versunkenen Schwester ist in unnachahm-
licher Schönheit zur Anschauung gebracht, und die Gestalt
des Heilands ist keine Nachahmung hergebrachter Typen.
Dieser Stirne sieht man an, daß sie gewaltige heilige
Gedanken birgt, ohne daß uns ein Heiligenschein erst
darauf aufmerksam macht. Das Bild ist für die Ber-
liner Jubilänmsausstellnng bestimmt.
Wendet sich Siemiradzki mit diesem Bilde von den
traurigen Gräueln der Christenverfolguugen ab, die ihn bis-
her zu seinen größten Schöpfungen angeregt haben, so
führt uns die reiche Phantasie seines jüngeren und weniger
bekannten Landsmannes Kortabinski jene Znstände vor
Augen, welche durch die überreife Kultur des greisen, an
seinen Lastern zu Grunde gehenden Roms den sittlichen
Jdeen des Christentums den Boden bereitet haben.
Er ist augenblicklich an einem Bilde beschästigt,
welches vor unseren Augen ein Stück Kulturgeschichte ans
der Zeit des sittlichen Verfalls des römischen Kaiserreichs
entrollt. Auf einer Steinterrasse am Meeresufer wird eine

Orgie gefeiert, wie sie nur das verlebte Gemüt eines alt-
römischen Roues ersinnen konnte. Nackte Frauengestalten
auf üppigen Blumenpolstern lüstern ausgestreckt, erwarten
die Freuden der Liebe. Jn den Armen eines halbbe-
rauschten Senators, der die purpurverbrämte Toga hin-
abgleiten ließ, schmilzt ein Weib hin in langem leiden-
schaftlichem Kuß. Jene andere Gruppe bejahrter Zecher
schlürft noch, halb bewnßtlos, aus goldenen Schalen deu
Wein, ein blumengeschmückter Kahn legt an und bringt
neue Zufuhr, der Nachen des Charon, wie mir der Künstler
geistreich bemerkte. Jm Hintergrunde erhebt sich die edle
Architektur eines alten Römerpalastes. Über das Ganze
ist eine Glut und Farbenprcscht ausgebreitet, wie Makarts
Pinsel sie schuf. Schon in früher Zeit hat sich der
Künstler solchen Sujets zugewendet, und ich will nicht ver-
säumen, hier eines Bildes zu gedenken, welches vom Maler
selbst fast vergessen, aus einer römischen Kunsthandlung
kürzlich in Privatbesitz übergegangen und mir dadurch zu
Gesicht gekommen ist. Auf einer halbkreisförmigen Marmor-
bank sitzt Messalina und blickt träumerisch und ermattet
hinaus in die regenschwere Landschaft, neben ihr hinge-
gossen, leicht auf den entblößten Arm gestützt, ruht ihr
Geliebter, wie versunken in eine süße nachwirkende Er-
innernng. Hinter ihnen breitet sich eine Landschast aus,
deren Charakter der Stimmung der Personen ivunderbar
angepaßt ist. Das sind nicht die heiteren lenchtenden
Farben des blauen italienischen Himmels, das sind jene
Töne, die auch nur die italienische Sonne der Landschaft
verleiht, wenn sie durch Regenwolken bricht.
Haben die polnischen Meister in Rom ihr Augenmerk
auf jene Zeit gerichtet, in der das Christentum sich unter
Verfolgungen emporrang, 'so haben die spanischen Mater
das Mittelalter zum Gegenstande ihrer historischen Malerei
gemacht. Fn Pradillas Atelier fand ich leider nur einige
Skizzen und Studien zu bekannten Kompositionen. Eine lange
Krankheit hat ihn verhindert, eine große Arbeit, den Triumph
der Liebe darstellend, der für einen Palast in Madrid be-
stimmt ist, bisher in Angriff zu nehmen.
Vor der korta. ctel popolo arbeitet sein Landsmann
Villegas an einem Riesengemälde, welches die Hochzeit des
Dogen Foscari darstellt. Hier wird uns der Doge in der
Blüte seines Lebens, auf der Höhe seiner Macht dargestellt.
Jm Hintergrnnde erhebt sich die herrliche der Phantasie des
Malers entsprosseneArchitektur eines Palazzo, aus welchem die
Braut in leuchtendem Seidengewande hervortritt, nm sich auf
die Landungsbrücke zu begeben. Jhre Person bildet den per-
spektivischen Mittelpunkt des ganzen Gemäldes. Zwei lange
Reihen von Brautjungfern — eine wahre Auslese weib-
licher Schönheiten — sind ihr bereits vorangegangen und
schreiten auf der langsam absteigenden Landungsbrücke dem
Dogen entgegen, der die Braut mit seinem Gefolge auf
der Plattsorm, in die die Brücke endet, erwartet; dem
Dogen gegenüber befindet sich eine Schar von Pagen,
die durch verliebte Blicke und heimliche Zeichen mit den
Brautjungfern in Beziehung gesetzt sind, und von denen
der erste auf einem roten Kissen das Diadem trägt, das
die Stirn der neuen Dogin zieren soll.
Es ist an diesem Bilde vvr alleuff die Perspektive
und die Geschicklichkeit der Komposition zu bewundern, die
 
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