Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Zum Zentenarium König Ludwig I.: geb. 25. August 1786, gest. 29. Febr. 1868
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0389

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Zvnig ludwig I. als Sammlrr vvn Knnstschäkrn. lvandgemälde von lv. v. Raulbach
an der neuen pinakothek zu München
Mit Genehmigung dcr k. b. priv. Kunstanstalt von Piloty L Löhle in München
Zum Zentenarium König Qldwig I.
Geb. 25. August js786, gest. 29. Zebr. td68

berschaut man die Wirkungen, mclche die in der Kunst
grundlegende Thcitigkeit der ersten Hälfte unjeres
Jahrhunderts wie insbesondere die des Königs Ludwig
gehabt, so ist das Ergebnis nach allen Seiten hin ein
außerordentliches. Es übertrifft unstreitig weit den Wert
der einzelnen Leistnngen, die sich ja in den seltensten Fällen
bis znr Klassizität, d. h. zur Mustergnltigkeit erhoben,
zu dauernder Bedeutung steigerten. Aber es ist ganz
falsch, die Wichtigkeit einer Kunstperiode nur nach dem
Wert zu bemessen, den ihre Erzengnisse für die Nach-
kommen oder vollends für die Gafser in den Museen
haben können. Jm Gegenteil bemißt sich diese Bedeutung
in erster Linie nach dem Einfluß, den sie anf die Zeitge-
nossen, vorab auf die Nation hat, in deren Schoße sie
entsteht. Es fragt sich zunächst, ob sie diese gehoben oder
herabgedrückt hat, von deren Ringen und deren Geist sie
ein Abbild gibt und erst in zweiter Linie, ob dies Abbild
auch unsere Nachkommen zu ergötzen oder zu entzücken im
stande sei, was schon darum nicht der Zweck der Kunst
sein kann, weil es unter allen lkmständen zweifelhaft
bleibt. Denn da der Geschmack einem beständigen Wechsel
unterworfen ist wie die Jdeale und Sitten der Nationen
selber, so können ihre Kunstwerke selbst im besten Falle
nach einem Jahrhundert nur mehr halb, nach Jahrtansen-
den fast gar nicht mehr verstanden werden, während die
der Malerei ohnehin dann längst untergegangen sind.
Jst doch selbst der Genuß, den nns die Schöpfnngen der
griechischen Kunst hente bereiten können, nnr ein sehr ge-
minderter, auf einen kleinen Kreis von Gebildeten be-
schränkter, läßt sich jedenfalls gar nicht mit dem ver-
gleichen, den die Griechen selbst davon gehabt haben, deren
religiösen Jdealen sie Gestalt lieh.
So kann man denn auch ganz rnhig zugeben, daß
die technische Fertigkeit der hier geschilderten Epoche tief
nnter der ihr voransgehenden bleibe und muß doch an-

erkennen, daß sie selber hoch über dieser Vorgängerin er-
haben dasteht. Denn das an dieselben verschwendete
technische Geschick bestimmt ganz und gar nicht allein oder
auch nur vorzugsweise den Wert oder vollends die Wir-
kung der Kunstwerke. — Wer zöge nicht die Schöpfungen
der oft noch so ungeschickten italienischen Früh-Renaissance
allen nachrassaelischen vor, obwohl diese letzteren von
ungleich höherem technischen Vermögen Zeugnis ablegen?
Jst doch selbst die stille Anmut der Madonna des Cimabue
noch weit der anspruchsvollen Leere derjenigen eines
Vasari vorzuziehen.
Betrachten wir nun die unmittelbaren Folgen dieser
in München so verheißend aufgeblühten nendeutschen Knnst,
so finden wir vor allem das dnrch sie mächtig gestärkte
Selbstbewußtsem der Nation, eine allgemeine Erhebnng
der herrschenden Jdeen. Große Siege auf dem geistigen
Gebiete, speziell die so in die Sinne eines jeden fallen-
den Schöpfungen der bildenden Künste haben dieselben
Folgen, wie die auf dem Felde der Ehre, sie erhöhen das
Selbstvertranen wie das Gewicht und Ansehen der Sieger.
Wer könnte behaupten, daß das deutsche Volk nach Lessing,
Schiller und Goethe dasselbe gewesen sei wie vor ihrer
Schaffung einer klassischen dentschen Litteratur? Hier m
München war aber eine Kunst entstanden, die, wenn nicht
gleichwertig, doch in der ersten Freude von aller Welt
dafür gehalten ward und die jedenfalls hochachtbar war,
ihresgleichen in der bisherigen Produktion nicht fand,
seit der Renaissance. Wesentlich durch den Einflnß dieser
Kunst, die es erst mit seiner Geschichte bekannt gemacht,
war speziell das bayrische Volk 1848 ein ganz anderes
geworden als es 1800 gewesen, besaß unendlich mehr
Gefühl der Zusammengehörigkeit, war ungleich aufgeklär-
ter, selbstbewußter, vaterlandsliebender. Seine religiösen
Jdeale waren vertiest und veredelt, es hatte in Mnnchen,
früher einem armseligen Pfassennest, eincn großen geistigen
 
Annotationen