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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Mühling, C.: Aus römischen Ateliers
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Daelen, Eduard: Ein trauriges Zeichen der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0202

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Aus römischen Ateliers — Cin trauriges Seichen dcr Zeit


Las Auge des Beschauers immer wieder mühelos zu der
Hauptsigur des Bildes, der Braut, leiten. Das Absteigen
der Landungsbrücke, die beiden Reihen der jungen Mädchen,
zwischen denen die leuchtende Person der Braut hinschreitet,
die erwartungsvollen Gesichter der Männer, die deu Dogen
begleiten, die lüsternen Blicke der Pagen, alles sührt auch
die Gedanken des Beschauers immer wieder zu der Figur
zurück, um derentwillensamtliche Personen des Gemäldes hier
versammelt sind, nnd man glaubt schließlich, selbst zu denen
zu gehören, die sie erwarten.
Ein großes Aussehen hat endlich ein kürzlich vollendetes
Gemälde des jungen spanischen Malers Benllinre erregt.
Es ist die Darstellnng eines Traumes oder einer Vision,
zu welcher die Geschichte der Christenmorde, deren Zeuge
das Kolvsseum war, die Anregung gab. Der Künstler
sagte mir, daß der Keim zur Jdee dieses Bildes durch
eine Stelle aus der Kirchengeschichte des Castellare in
ihm erweckt worden sei, vor dessen Phantasie die Mär-
tyrer, die dort ihren Tod fanden, aus den Höhlen
des Kolosseums emporstiegen. Jn unabsehbarem Zuge
schweben über die im Mondlicht schwimmenden Rninen
des Kolosseums die Geister der Opser heidnischer Grau-
samkeit zu der Arena des Amphitheaters, von deren
Boden sich die dort begrabenen Genossen geisterhaft auf-
richten. Jungfrauen, Kinder, Greise und Männer in
langer Prozession! Sie tragen brennende Kerzen in den
Händen. Jn der Mitte aber schwebt — und dies ist die

bedeutendste Gruppe des Bildes — eine Schar von
Mönchen, versammelt um eineu fanatischen Greis in brauner
Kulte. Dieser hält iu weitausgestreckter Hand denkommenden
Scharen ein Kruzisir entgegen, das in bleudendem Glanze
strahlt. An diesen Möuchen ist jeds Bewegung fanatisch.
Der eine geißelt sich verhüllten Haupts, der andere singt
niit iveitgeöffnetem Mund und man sieht in seinem Antlitz
die Glanbenswut leuchten. Jn jenem Führer, der mit
ausgebreiteten Armen in der Mitte der Gruppe schwebt,
wollte der Künstler den letzten Märtyrer darstellen, der
im Kolosseum im Jahre 404 seinen Tod fand, den heiligen
Telemach. Vom Morgenlande war er nach Rom ge-
pilgert, um den grausamen Gladiatorenspieleu ein Ende zu
machen, und er war nütten in die Arena getreten,' als
der Kaiser in seiner Loge und das Volk auf den Stufen
des Amphitheaters dem mörderischen Kampfe zuschauten,
hatte die Kämpfenden zu trennen versucht und durch ihre
Schwerter seinen Tod gefunden. Auf dem Bilde ist er in
derselben Bewegung dargestellt, in der ihn der Tod ereilte.
Von wunderbarer Feinheit ist die Mischung des
Lichtes auf diesem Gemälde. Der weiche Mondschein, das
gelbliche Kerzenlicht und das von dem Kreuz des Telemach
ausgehende Strahleubündel von elektrischer Leuchtkraft, mit
ihren Reflexen aus den geisterhaften Gesichtern der schweben-
den Versammlnng, sind Meisterstücke der Farbengebung.
Benlliure beabsichtigt, das Bild in den Hauptstädten
Europas ausznstellen.

Lin trauriges Zeichen der Zeit

on dem Berwaltungsrat des Kunstvereins sür Rheinland
nnd Westfalen ist vor einiger Zeit ein seltsamer
Beschlnß gefaßt worden. Als Nietenblatt für dieses Jahr
war der bekannte Früchtekranz von Rubens bestimmt, der
Stich desselben bereits sertig. Nun wurde in einer ziem-
lich erregten Sitzung beschlossen, diesen vorläusig zurück-
zustellen und statt dessen ein Genrebild aus der Düssel-
dorser Schule stechen zu lassen und als Nietenblatt zu
geben.
„Weshalb denn das'?" — wird da wohl jeder ver-
wnndert fragen. Jch wenigstens frug so und erhielt zur
Antwort etwa folgendes: Der Verwaltungsrat habe in erster
Linie das Jnteresse des Vereins zu wahren und in Er-
tvägung dessen hätte er nicht riskieren dürfen, im nächsten
Jahre so ziemlich alle Mitglieder dem Vereine verloren
gehen zu sehen, was nach den Erfahrungen, die mit dem
letzten Nietenblatt gemacht worden seien, entschieden zu be-
sürchten gewesen würe. Aus dem Früchtekranz von Rubens
seien mehrere Kinder, die Träger des Kranzes, ganz in
paradiesischer Nacktheit sichtbar; — nun, auf dem letzten
Nietenblatt („Das widerspenstige Modell" von L. Knaus)
sei nur ein einziger halbnackter Bengel gezeigt und der
schon habe einen ganzen Sturm der „sittlichen" Ent-
rüstung hervorgerufen. Der Rubens'sche Stich müsse da-
mach ja das reine Erdbeben verursachen. Fast zwei volle
Stunden habe in der erwähnten Verwaltungsratssitzung
das Vorlesen all der Protestschreiben in Anspruch genommen,
mit welchen von den Mitgliedern der Stich an den Verein
zurückgeschickt worden sei, verschiedentlich mitten durch-
geriffen oder mindestens das „Schandobjekt" durchstochen,

Der Kern des deutschen Bolkes ist ein gesunder,
aber die geistigen Nagetiere treiben ihn zur F-äulnis.
Max Kretzer
um recht deutlich die tiefe Jndignation ack oculos zu
demonstriereu, die man ob der nnbegreislichen Zumntung
empfinde, ein solches „höchst unanständiges Bild, das man
nicht ansehen könne, nun gar als Eigentum anzunehmen".
— Über hundert Mitglieder hätten deshalb — da bei
solch ofsenbaren Attentaten auf das Schamgefühl die Ge-
fahr eine zu große sei — ihren Austritt angezeigt.
Eine recht erquickliche Lektüre muß das allerdings
gewesen sein! — Es läßt sich denken, welch' eine trübe
Flut von scheinheiliger Prüderie dabei zum Vorschein ge-
kommen sein mag. Welche ungesunde Geistesverwirrung
gehört nicht dazu, um in einem so hohen, unschuldig
reinen Kunstwerk, das als eines der liebenswürdigsten
Produkte unseres größten Genremalers durch seinen köst-
lichen, der Natur abgelauschten Humor jedes unbefangen
harmlose Gemüt entzückt, etwas Anstößiges zu finden! —
Das ist die philisterhafte Beschränktheit, welche sich bei
jeder Äußerung des Humors, selbst des kindlichsten, auf
die metaphysischen Hühneraugen getreten fühlt. Das ist
ein bedenkliches Armutszeugnis speziell für Rheinland und
seine Kunstmetropole Düsseldorf, wo früher der Humor in
erfreulichster Blüte stand, während man jetzt leider oft
genug konstatieren hört, daß die Münchener Kunst einen
„viel frischeren Humor, eine viel ursprünglichere dar-
stellerische Kraft" bekundet, „als man sie in Düsseldorf
im allgemeinen zu entwickeln und darzureicheu gewohnt
ist". (Kunstbericht des Düsseldorfer Anzeigers über die
gegenwärtig bei Bismeyer und Kraus zur Ausstellung ge-
brachte Kollektion von Werken Münchener Künstler.) Das
ist schließlich durch die Massenhaftigkeit des Auftretens ein
 
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