Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

DOI article:
Fitger, Arthur: Aus meinem Leben, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0179

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Aus Arthur Fitgers Skizzenbuch

Aus meinem Leben.
iVon Arthur Litger
(Fortsetzung aus Hest 7)
n Antwerpen drang die Welt der Farbe mit unwider-
stehlicher Gewalt auf mich ein, und je verzweifelter
ich mit der Technik kämpfte, um fo klarer wurde mein
Auge. Die Akademie von Antwerpen in ihrer unmittel-
baren Verbindung mit der herrlichen Galerie, zu welcher
man oft in den Pausen des Modells auf zehn Minuten
hinauflaufen konnte, scheint mir in gewissem Sinne das
Jdeal einer Akademie zu sein; die großen Meister stehen
noch in freundlicher Nähe zur Schule und geben jedem,
der sie sucht, einen fteilich oft schwer zu verstehenden
orakelhaften Rat mit in die Malklasse hinunter. Hier
hingen an den Wänden als leichter faßbare Vorbilder für
die Anfänger Aktstudien der fortgeschrittneren Schüler; eine
derfelben, der Torso eines alten Mannes von Verlaet,
steht mir noch heute als ein Werk, das dem Jordaens
zur Ehre gereicht haben würde, in lebhafter Erinnerung.
Man lernte überhaupt eigentlich mehr von den Mit-
schülern als den Profesforen; De Keyser und van Lerius
stehen mir aber dennoch fest in dankbarstem Angedenken;
die wenigen Worte, die fie bei der Korrektur zu sagen
pflegten, wiesen immer auf den rechten Weg und das
wenige, was meine linke Hand trotz ihrer angeborenen
technischen Ungeschicklichkeit gelernt hat, das hat sie diesen
beiden Männern zuzuschreiben. Jch verfiel in Antwerpen

alsbald der Sünde aller Neubekehrten; ich hielt die jüngste
Offenbarung für die einzig richtige und verachtete alles
andere mit einem maßlosen Hochmut. „Zeichnung?" Auf
Zeichnung kam ja gar nichts an und zudem, ich, ein
deutscher Cornelianer, der jahrelang mit Faber Nr. 4 ge-
zeichnet hatte, war ich diesen Belgiern in der Zeichnung
nicht Lo ipsc> hoch überlegen? Diese verhängnisvolle
Thorheit ist mir ein Pfahl im Fleisch geworden. Bei der
Kontursimpelei, wie ich sie in München dem Professor
und der ganzen Klasse zum Trotz getrieben hatte, war
natürlich ein wirkliches Zeichnenlernen unmöglich gewesen;
und anstatt nunmehr in Sack und Asche Buße zu thun,
ritt ich mich in lächerlicher Anmaßung immer tiefer ins
Verderben hinein, so tief, daß ich bis an mein Lebensende
nicht ganz wieder herauskommen werde. Das Leben in
Antwerpen war nicht sonderlich behaglich, mit den Mit-
schülern ein Privatverkehr fast unmöglich; nur ein paar
Deutsche, unter denen Leon Pohle schon damals sich durch
außerordentliches Talent hervorthat, hielten ein bischen
fester zusammen. Originell war die Familie, in der ich
hauste; ein ganzes Nest von Geschwistern, lauter alte Jung-
gesellen und Jungfern, nur eine verwittwete Schwester mit
ein paar stupiden Söhnen war dabei, und diese war die
Tischnachbarin eines geistlichen Herrn, der ebenfalls im
Hause wohnte, und dessen Zimmerthür oft des Nachts sehr
bedenklich knarrte, nachdem kurz zuvor von dem Zimmer
der schönen Wittwe ein leiser ahnungsvoller Tritt über
die Treppe geschlurft war. Es ist eigentlich abscheulich
von mir, daß ich so etwas erzähle; der alte Herr war
ein gar fideles Haus und als ich abreisen wollte, gab
er den Abend zuvor ein solennes Souper auf seinem
Zimmer, mit warmen Cotelettes und sogar Champagner,
und weil Mynheer die Frühmesse lesen sollte, sollte die
Sitzung um Mitternacht geschlossen werden; aber alle die
alten Jungfern, die schöne Wittwe inklusive, stellten fort-
während die Uhr rückwärts und brachten zwischen Myn-
heers Champagner gelegentlich eine Bowle Punsch als
Beisteuer ihrerseits zu der allgemeinen Heiterkeit, his es
etwa fünf Uhr wurde und icb, so gut es ging, zum Bahn-
hof wandern mußte; hat der geistliche Herr seine Messe
gelesen oder einen Substituten gerufen, ich habe es nie
erfahren.
Ob die vielen Jtaliener, die ich an den Bassins
und der Schelde sah, meine Phantasie so anregten, ob die
Apfelsinen, die massenhaft verladen wurden, im Gegensatz
zu Häuten und Guano so bezaubernd rochen, oder ob der
Trieb in die Ferne mich erfaßt hatte, der sich jedem
scheidenden Segel zugesellt und deshalb in großen See-
städten immer besonders mächtig wirkt — ich weiß es
nicht: anstatt in Antwerpen noch mindestens zwei Jahre
mit aller Energie weiter zu studieren, wie ich bitter nötig
gehabt hätte, erlag ich einer unbezwinglichen Sehnsucht
nach Jtalien. Schon hatte ich in den großen Ferien einen
Abstecher nach Paris gemacht und dort, weil mein Reise-
geld sehr knapp war und ich jedem kostspieligen Pläsir
aus dem Wege gehen mußte, Louvre und Lurembourg mit -
Eifer betrachtet; aber ich glaubte vergehen zu müssen, wenn
ich jetzt nicht auch Jtalien sähe. Jch brach also, als ob
ich mit Blindheit geschlagen wäre, den Antwerpener Auf-
enthalt nach anderthalb Jahren Plötzlich ab und kehrte
nach Hause zurück, dort meine italienische Reise zu betreihen.
Es war mir unzweifelhaft, daß die Mittel, die mein Vater
füglich an meine Ausbildung wenden kannte, erschöpft seien.
is«
 
Annotationen