Von Friedrich pecht.
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Jn solcher Herausbildung einer eigenartigen Kunstrichtung steht aber Karlsruhe unter allen deutschen
Mittelstädten jetzt geradezu obenan nnt dem vielfach verwandten Frankfurt, kann doch selbst das achtmal
größere Hamburg sich kaum einer gleichen Anzahl bedeutcnder Künstler berühmen als Karlsruhe, von Stuttgart
und Straßburg, Bremen, Breslau, Köuigsberg, Mainz, Köln gar nicht zu sprechen. Daß das aber mit der
alten Kunstliebe wie der glücklichen Begabung und dem Naturell der rheinländischen Bevölkerung auf's innigste
zusammcnhänge, wer möchte das bestreiten?
Mcrkur an drr Villa Schmiedrr. von Prof. Ad. ^eer.
Die Lntwürfc ZUIII Verliner Tlitljer-Denliinul.
ZMkie sehr in Berlin alle Fragen von kirchlichem Charakter
gegen andere geistige Jnteressen zurücktreten, zeigt sich
wiederum recht dentlich bei dem endlich in's Leben gerufenen
Plan des Lutherdenkmals. Jn Berlin, wo die Summen so
reichlich sließen, wenn es künstlerische Unternehmungen zn
fördern gilt, hat man Mühe, den sür das Denkmal des
Reformators angesetzten Betrag von 200,000 Mark aufzu-
bringen. Dazu kam, daß das Denkmal für den Neuen
Markt bestimmt ist, einen stillen Krämerwinkel, den Niemand
bisher kannte und für dessen künstlerische Zukunft sich kaum
Jemand interessierte. Um so überraschender ist die Thatsache,
daß das Preisausschreiben für die Erlangung von Entwürfen
zum Lutherdeukmal dennoch in der Künstlerwelt Berlins und
der übrigen deutschen Kunststädte von überwiegend protestan-
tischer Bevölkerung einen lebhaften Wiederhall gefunden hat.
Ebenso deutlich hat sich äber auch bei dieser Gelegcnheit
wiederum gezeigt, wie wenig sich die Anschauungen darüber
bisher geklärt haben, welche Denkmalsformen den ästhetischen
Bedingungen eines auf einem städtischen Platze von allen
Seiten sichtbaren Monuments am glücklichsten entsprechen.
Gerade die schöpferischsten Talente haben in dieser Bezieh-
ung die unglücklichsten Lösungen gefunden. Ein Teil der
Entwürfe zeigt massige Terrassenbauten, welche die Statue
des Resormators so hoch emporheben, daß der Ausdruck
der Züge unkenntlich wird und nicht mehr zum Herzen der
Menge zu sprechen vermag. Zugleich verbauen diese Stufen-
bauten den Überblick über den Platz und machen es un-
mvglich, daß man von einer Seite des Platzes bis zur
anderen die volle Architektur der Häuser übersehen kann.
Das Sockelgeschoß der Häuser würde durch diese Stufenbauten
zum größten Teil verdeckt. Ein anderer Teil der Entwürfe
läßt es gänzlich außer Acht, daß das Denkmal in der Mitte
des Platzes von allen Seiten gesehen werden soll, und bc-
gnügt sich mit einer möglichst imposanten Frontansicht, als
ob der Blick von der Seite und von hinten gar nicht vor-
handen wäre. Die letztere Gruppe von Entwürfen stellt den
Reformator mit seinen Nebenfiguren auf eine lange Mauer,
die in einigen Fällen eine prächtige halbkreisförmige Nische
mit Bänken bildet. Am Rande eines Bergabhanges oder
eines Parkes würde sich diese Anordnung vortrcfstich aus-
nehmen, aber nicht in der Mitte eines Platzes. Dem an
der Rückseite vorüberschreitenden Beschauer würde die Mehr-
zahl der iu dieser Weise entworfenen Denkmäler nichts ats
die kahlen Mauern und den Anblick der eintönigen und
schwerfälligen Faltenmassen der Talare und Fürstenmäntel
auf dem Rücken der großen Repräsentationsfiguren darbieten.
Das in den letzten Jahrzehnten namentlich in den
Kriegerdenkmälern oft erprobte Mittel, alle diese Übelstände
zu vermeiden, indem man die Hauptfignr des Denkmals auf
einen mäßig hohcu Sockel stellt, um den sich die Neben-
ftguren, mit dem Rücken hart an den Sockel gestellt, zentral
gruppieren, ist den meisten Bildhauern nicht originell genug
erschienen. Jn der Geschichte des Geschmackes hat jedes
schöue Muster seine Zeit, und die Kunstgeschichte ist darau
gewöhnt, zu sehen, daß man sich selbst von den geseiertsten
Vorbildern abwendet. Nicht weil man dieselben mit einem
Male für unschön hält. Man hat sich satt daran gesehen.
Wie König Heinrich IV. nicht alle Tage Rebhuhn essen
mochte, so will auch das Auge der Menge die klassischen
Muster auf die Dauer nirgends recht vertragen. Zudem
glaubt nur zu häufig der moderne Kiinstlergenius beim An-
schluß an große Vorbilder die eigene Schöpferkraft gefesselt
und sinnt auf neue Formen, nicht weil diese schöner sind,
sondern weil ihm naturgemäß ein Kind des eigenen Geistes
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Jn solcher Herausbildung einer eigenartigen Kunstrichtung steht aber Karlsruhe unter allen deutschen
Mittelstädten jetzt geradezu obenan nnt dem vielfach verwandten Frankfurt, kann doch selbst das achtmal
größere Hamburg sich kaum einer gleichen Anzahl bedeutcnder Künstler berühmen als Karlsruhe, von Stuttgart
und Straßburg, Bremen, Breslau, Köuigsberg, Mainz, Köln gar nicht zu sprechen. Daß das aber mit der
alten Kunstliebe wie der glücklichen Begabung und dem Naturell der rheinländischen Bevölkerung auf's innigste
zusammcnhänge, wer möchte das bestreiten?
Mcrkur an drr Villa Schmiedrr. von Prof. Ad. ^eer.
Die Lntwürfc ZUIII Verliner Tlitljer-Denliinul.
ZMkie sehr in Berlin alle Fragen von kirchlichem Charakter
gegen andere geistige Jnteressen zurücktreten, zeigt sich
wiederum recht dentlich bei dem endlich in's Leben gerufenen
Plan des Lutherdenkmals. Jn Berlin, wo die Summen so
reichlich sließen, wenn es künstlerische Unternehmungen zn
fördern gilt, hat man Mühe, den sür das Denkmal des
Reformators angesetzten Betrag von 200,000 Mark aufzu-
bringen. Dazu kam, daß das Denkmal für den Neuen
Markt bestimmt ist, einen stillen Krämerwinkel, den Niemand
bisher kannte und für dessen künstlerische Zukunft sich kaum
Jemand interessierte. Um so überraschender ist die Thatsache,
daß das Preisausschreiben für die Erlangung von Entwürfen
zum Lutherdeukmal dennoch in der Künstlerwelt Berlins und
der übrigen deutschen Kunststädte von überwiegend protestan-
tischer Bevölkerung einen lebhaften Wiederhall gefunden hat.
Ebenso deutlich hat sich äber auch bei dieser Gelegcnheit
wiederum gezeigt, wie wenig sich die Anschauungen darüber
bisher geklärt haben, welche Denkmalsformen den ästhetischen
Bedingungen eines auf einem städtischen Platze von allen
Seiten sichtbaren Monuments am glücklichsten entsprechen.
Gerade die schöpferischsten Talente haben in dieser Bezieh-
ung die unglücklichsten Lösungen gefunden. Ein Teil der
Entwürfe zeigt massige Terrassenbauten, welche die Statue
des Resormators so hoch emporheben, daß der Ausdruck
der Züge unkenntlich wird und nicht mehr zum Herzen der
Menge zu sprechen vermag. Zugleich verbauen diese Stufen-
bauten den Überblick über den Platz und machen es un-
mvglich, daß man von einer Seite des Platzes bis zur
anderen die volle Architektur der Häuser übersehen kann.
Das Sockelgeschoß der Häuser würde durch diese Stufenbauten
zum größten Teil verdeckt. Ein anderer Teil der Entwürfe
läßt es gänzlich außer Acht, daß das Denkmal in der Mitte
des Platzes von allen Seiten gesehen werden soll, und bc-
gnügt sich mit einer möglichst imposanten Frontansicht, als
ob der Blick von der Seite und von hinten gar nicht vor-
handen wäre. Die letztere Gruppe von Entwürfen stellt den
Reformator mit seinen Nebenfiguren auf eine lange Mauer,
die in einigen Fällen eine prächtige halbkreisförmige Nische
mit Bänken bildet. Am Rande eines Bergabhanges oder
eines Parkes würde sich diese Anordnung vortrcfstich aus-
nehmen, aber nicht in der Mitte eines Platzes. Dem an
der Rückseite vorüberschreitenden Beschauer würde die Mehr-
zahl der iu dieser Weise entworfenen Denkmäler nichts ats
die kahlen Mauern und den Anblick der eintönigen und
schwerfälligen Faltenmassen der Talare und Fürstenmäntel
auf dem Rücken der großen Repräsentationsfiguren darbieten.
Das in den letzten Jahrzehnten namentlich in den
Kriegerdenkmälern oft erprobte Mittel, alle diese Übelstände
zu vermeiden, indem man die Hauptfignr des Denkmals auf
einen mäßig hohcu Sockel stellt, um den sich die Neben-
ftguren, mit dem Rücken hart an den Sockel gestellt, zentral
gruppieren, ist den meisten Bildhauern nicht originell genug
erschienen. Jn der Geschichte des Geschmackes hat jedes
schöue Muster seine Zeit, und die Kunstgeschichte ist darau
gewöhnt, zu sehen, daß man sich selbst von den geseiertsten
Vorbildern abwendet. Nicht weil man dieselben mit einem
Male für unschön hält. Man hat sich satt daran gesehen.
Wie König Heinrich IV. nicht alle Tage Rebhuhn essen
mochte, so will auch das Auge der Menge die klassischen
Muster auf die Dauer nirgends recht vertragen. Zudem
glaubt nur zu häufig der moderne Kiinstlergenius beim An-
schluß an große Vorbilder die eigene Schöpferkraft gefesselt
und sinnt auf neue Formen, nicht weil diese schöner sind,
sondern weil ihm naturgemäß ein Kind des eigenen Geistes