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IHresausstelluny lm Dirurc tiüuftiertiuuse.
Von Larl v. vincenti
Fiaggen wehen wieder in der Lothringer-Straße:
die Jahresausstelliiiig im Kiiiistlerhause ist erossnet. Es
ist die sechzehnte seit Bestand des Hauses. Sechshundert-
achtunddreißig Nuiiimern! Sv viel Angebvt sür so wenig
Nachtrage! Das heißt der schlechten Zeit mutig ins Auge
schauen und verdieut eiu gutes Wort. Wohl haben wir
weil bessere üluSstellungen in der Lothriuger-Straße erlebt,
doch muß inan sich eben bescheiden lernen. Vieles hat
sich seit den leyten Jahren in Wien geändcrt nnd ist damit
nicht besser geworden. Unser »uustklima sicherlich nicht.
Wenns nicht unsere Schuld ist, daß der Tod zwei bernhmte
Malerheims in Wien innerhalb Jahressrist verödet hat,
so vermögen wir es leider auch nicht zn verhinderu, daß
die Künstler dorthin auswandern, wo die Bewegnng des
Kunstmarktes ihre Schassenslust anspornt. Bei uns stagniert
der Markt. Daraus erklärt sich, daß wir mit jeder Jalres-
ausstellung mehr und mehr unter uns sind. Man beschickt
uns nicht, weil wir das Angebot nicht heraussordern.
Selbst viele Landsleute von unserem Fleisch und Blut, die
draußen zu'Ruhni und Behaglichkeit gekommen sind, bleiben
aus; was sollen da erst die Fremden thun? Tas spürt
sich in den Bildersälen, mag die Genossenschaft noch so
tüchtig am Werke sein. München, die Kunstkapitale, hat
nicht 70 Nummern geliefert, Tefregger, Gabriel Mar,
Lenbach, Fritz August Kaulbach, Mathias Schmid, Gabl:c.
fehlen; die Düsseldorfer sind kaum mit eiuigen zwanzig,
die Berliner mit nur acht Nummern verircten; die Jtaliener
weisen deren sünsunddreißig aus, Paris ist jedoch so gut wie
ausgeblieben. Wir begreifen, daß man sich in den Ateliers
draußen auf den großen Berliner Wettkamps rüstet, dies
ist aber ein magerer Trost für Wien, und rechnen wir
noch dazu, daß auch mehrere erste Namen von der Wiener
Akademie diesesmal im Jahreskataloge sehlen, dann darf es
billig Wuuder nehmen, wie die Ausstellung noch so aus-
fallen konnte, daß sie ein gutes Wort verdient. Sollen
wir nun das Werk der Maler nach dessen Wert aus den
einzelnen Gebieten abschätzen, dann möchten wir die Historie
als ungenügend, Bildnis und Landschaft als hervorragend,
das Genre als ziemlich besriedigend, Tierbitd und Still-
leben als genügend bezeichnen. Die Bildhauer haben diesmal
ihre Sache im Porträt und im Kleingenre besser, als in
der Monumentalplastik gemacht, nachdem die letztere wieder-
holt in imposantester Weise auf der Jahresausstellung
erschienen war. Die Medailleure sind gut vertreten,
während die Graphiker, mit Hinblick auf die im Spät-
herbst hier bevorstehende große graphische Ausstellnng, sich
eine begreisliche Reserve auferlegt haben. Und nun gehen
wir etwas ins Detail.
Tie Hänge-Kommission hat keines der Historienbilder
für würdig erachtet, in den oberen Ausstellungsräumen
Platz zu sinden. Liegt darin eine stillschweigende Kritik
oder ist die Weitläufigkeit der betresfenden Gemälde Schuld
daran? Vielleicht beides. L. von Langenmantel
sMünchen), der in München lebende Wiener Golz und
der junge Wiener Reiffenstein kommen in Betracht;
der erstere aus der Piloty-Schule, der zweite ein Schüler
Feuerbachs, des Vielbetrauerten, der dritte ein noch ziem-
lich unreifer, aber nicht unbegabter Makartianer. Langen-
mantels gegen den Luxus fulminierender „ Savonarola" ist
ein bekanntes Bild, bereits sieben Jahre alt. ?Nan darf
die Tüchtigkeit des Kolorits und der Komposition loben,
wird aber an der stellenweise gespreizten, theatralischen
Darstellungsweise keine Freude haben. Desselben Künstlers
„Verhaftung Lavoisiers" war künstlerisch entschieden be-
deutender. Golz hat in der Galerie Schack den Hafis
und die römischen Frauen Meister Anselms mit pietät-
vollem Auge studiert; ein Blick auf das große Bild
„Christus und die Frauen" läßt darüber keinen Zweisel,
Feuerbach'sche Anklänge in Liuienführung und Bewegung
der Gestalten sind unverkennbar, die Silhouetten ziemlich
gelungen, aber das Ganze bleibt uoch im akademischen
Fleiße befangen. Reifienstein endlich ist mit seiner „Braut-
fahrt Marimilians" um ein Haar ein Makart-Parodist
geworden: man vermag diese Becegnung Maries von
Burgnnd mit dem „letzten Ritter" nicht ernst zu nehmen
und ist versucht an einen Mummenschanz zn glauben. Von
Etikette keine Spur, keine Schöne aus der Vorstadt kann
ihren Herzliebsten ungebundener, lustiger empsangen. Ein
vortresfliches Bild finden wir dagegen auf dem Gebiete des
historischen Genres, nämlich einDragonerbild L'Allemands.
welches auf Bestellnug des Kaisers als modernes Seiten-
stück zu einem auf der Wiener internationalen Ausstellung
von demselben Künstler erschieuenen Kürassierbilde gemalt
wurde. Die Graf Sternberg-Tragouer jfriiher Dampierre-
Kürassiere) sind nämlich, von einem alten Privileg des
Regiments Gebrauch machend, aus deni Durchmarsch durch
die Hofburg begriffen, welchem der Kaiser mit seiner Suite
beiwohnt. Ter Künstler hat diese materisch nicht gerade
sehr dankbare Ausgabe mit unbestrittener Meisterschast
gelöst. Tie Massen der blauen Reiter sind mit Geschick
bewegt, die Köpse auf dem ganzen Bilde bildnismäßig und
charakteristisch gehalten, der architektonische Hintergrund
(Trakt der Reichskanzlei) prächtig gelungen, Linien- und
Lichtperspektive glücklich behandelt —- mit einem Worte in
seiner Art ein Kabinettstück. Ein Porträt (Kniestück) des
Lberstkämmerers Grafen Trautmannsdorsf ist minder ge-
lungen, insbesondere was Kolorit und Bildniswirkung
anbelangt, möge uns jedoch auf das Bildnis überleiten.
Auf diesem Gebiete hat ein in München wohlbekannter
Ungar, Julius Benczur, seit zweiJahren Direktor der
Meisterschule in Budapest. mit drei Nummern den Vogel
abgeschossen. So große unläugbare Vorzüge nämlich das
sür das neue Rathaus bestimmte Kaiserbildnis (ini Vließ-
ornate) Angelis aufzuweisen haben mag, Benczurs
Porträt des Grasen Kärolyi (Kniestück im Jagdkostüm)
steht künstlerisch unbedmgt höher, ja, man kann es das beste
Bild der ganzen Ausstellung nenuen. Bornehme Auf-
fassung, geistige und technische Durchbildung erregen in
gleichem Maße Bewunderung. Wir haben lange kein
Bildnis gesehen, bei welchem der Künstler die kleinen
Mittel so ganz verschmäht, um nur schlicht, wahr und ge-
sund lebensvoll zu sein. Beim Porträt des Grafen
Szapary (in Magnatengala) entwickelt Benczur alle Vorzüge
seiner koloristischen Meisterschaft, die ihn allerdings bei
Andrassy etwas im Stiche läßt: doch welcher Maler ver-
möchte dem koloristischen Probleme der scharlach-goldenen,
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