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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Carl Spitzweg: geb. 5. Februar 1808, gest. 23. September 1885
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Pecht, Friedrich: Zu Marr's "Episode aus dem Befreiungskriege von 1813"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0041

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Larl ?pitzweg. Ven ,fr. pecht — Zu Narrs „Epissde ans dem Befreinngskriege van zizs.



ihrer Liebe und Treue haben sie es gar nicht bemerkt, daß
sie beide alt geworden, ihre Herzen sind noch immer jung,
sie sind also auch heute wieder hinansgezogen und er bliist
noch immer die Flöte im blauen Frack wie damals nnd sie
trägt noch immer ihr viel zu weit gewordenes Rosakleid und
setzt ihm auch hcute einen Blumcnkranz auf den kahl ge-
wordeneu Schädel. Das ist so riihrend und komisch zuglcich,
daß man wirklich lachcn nud weincn miteinander könnte,
wenn man's gemalt sicht.
Stak Spitzweg mit seiuem Herzcn ganz in dieser Zeit
vom Anfang unscres Jahrhundcrts, wo unser gelicbtes
Deutschland noch einen so langcn Zopf und so hohe Rock-
kragcn trug und ein Paradies mchr oder wcniger gcmütlichcn
Philistertums war, sind Duintus Fixlein und der Schul-
meister Wuz seine Jdeale, Doktor Katzenberger scin Pate, so
unterschied er sich doch von andereu Lobpreisern vergangener
Zciten griindlich dadurch, daß er auch der heutigen Welt
vollcs Verstündnis, ja trotz seiuer 78 Jahre die warmste
Begcisteruug eutgegenbrachte, uud dcshalb auch ihre künst-
lerischen Seiten mit raschem Blick zu erfasjen wußte. Jch
glaube, Fürst Bismarck und Moltke haben keinen wärmeren
Verehrer gehabt, und, obwohl er ein Altmüuchencr war durch
nnd durch, so hatte er die größte Freude an Pferde- und
Eisenbahn. Ja die erstere war das einzige Band, das
ihn in den letzten Jahren, wo er nur mehr schwer gehen
konnte, mit der Außenwelt noch verknüpste. Da setzte er
sich fast alle schönen Tage, wenn er die vier Teller Suppe
bei Tisch verzehrt hatte, aus dencn sein Mittagsmahl bestand,
in den Waggon und suhr nach Giesing, um dort auf den
Balken eincs Zimmcrplatzes sitzeud sich an dcu Gesprächen
der wüschetrocknenden Bürgerinnen und dem Treiben der
Kinder zu ergötzen. Oder er suhr mit der Tramway
auf deu Bahnhof, um dort in der großcn Halle die Zu-
uud Abreisenden zu betrachten. Wic oft hat cr seine
alteu Freunde ergötzt, durch die Erzählung der Szenen,
die er da mitangesehen! Da fiihrte er dann die Parteien,
regelmüßig redend ein und gab ihre Sprechweise so urkomisch
wieder, daß wir uns alle ausschütteten vor Lachen. Wie
hat er das Gesehene aber auch auf seine Bilder überzutragcn
gewnßt! Wer erinnerte sich nicht noch seiner aus dem Tele-
graphendraht sitzeuden Spatzen, oder der Dachauer Bauern.
die unter Anführung des dicken Herrn Pfarrers keuchend
den Abhang zum Eisenbahudamm hinanklimmen im Abendrot,
während der letzte Zug schon naht und sie zweifellos sitzen
lassen wird, wenn sie das Stationsgebüude nicht bald er-
reichen. Wie drollig ist vollends jenes reizende, im Besitz dcs
Malers Grützner befindliche Bildchen, wo auf grüner Wiese
ein halb Dutzend kleiner Mädchen den hochoben in blauer
Lust dahinfliegenden Storch anschreieu, das Wickelkind, das
er im Schnabel trägt, doch ihnen in die aufgehobenen
Schürzen salleu zu lassen.
Jetzt deckt der grüue Rasen auch ihn, der Aller Liebling
war und es ist unser einziger Trost, daß ihm selbst der
Tvd wenigstens wie ein guter Freund uahte, um ihn rasch
nnd schmerzlos zu entsühren! —
Ziehen wir nun zum Schlusse die Summe desscn was
der Entschlafcuc der deutscheu Kunst gelcistet, so ist sie über-
raschend groß. Nur seine Zurückhaltung und liebcnswürdigc
Bescheidenheit haben es verschuldet, wcnn cr erst in den
letzten Jahren so allgemein bekannt und geschätzt geworden
als er verdient. Hat er doch fast vierzig Jahre lang seine
Werke nie mehr im Miinchener Kunstverein ausgestellt, weil
ihn die Kritiken in den Zeitungen beunruhigten! —

Die Aunst für Alle I.

Tennoch wird man sagen miissen, daß Nicmand den
süddeutschen, besonders bayerischen Bürgcrstand der ersteu
Hülfte dieses Jahrhunderts so erschöpfend geschildert habe,
in all seinen komischen Typen und Charaktersiguren, wie in
seiner Existenz daheim uud auf der Straße, in Amt und
bei dcr Erholung, als er. Hier hat er sich dasselbe Ver-
dienst erworben, wie Ludwig Richter nm den sächsischen.
Vielleicht noch bedeutender ist sein Talent als Kolorist und
Lnndschaftmaler. Niemand war sich besser dcr Bedingungen
zur Herstellung eines wirksamen Bildes bewußt, seine Sicher-
heit ist da geradezu erstaunlich, wie sich aus den Hunderten
von augefangcnen und fcrtigen Bildern und Skizzen bewcist,
die er Hinterlassen. Das „Bild" ist da immer vollständig
vorhanden, auch wenn er die Skizze nur in ciucr Stunde
slüchtig hingeworfen hatte. — Seine licbenswürdig humor-
volle Art, die Dinge der Welt zu sehen, spricht sich hier
in seinen stimmungsvollen Landschaften nnd besonders in den
das Lebeu der Kleinstädter darstcllcnden Architekturcn um so ^
interessanter aus, als er sie alle fast ohne jede Benutzung
von Studien oder Photographien crsand und unerschöpflich
darin schien. Neben Bürkel ist er jedenfalls cincr unsercr
sruchtbarstcn Küustler gewesen und unterscheidet sich auch darin
von den meistcn, daß bis zum letzteu Moment kaum cine
Abnahme seiner produktiven Kraft bemerkbar ward. Alle
seine besten Arbeiten datieren denn auch aus der Zeit da
er das erste Halbe Jahrhundert schon überschritten hattc.
Seine Herzenswürme blieb eben immer dieselbe, ja
schien mit der Zeit eher zuzunchnien, seine künstlerische Krast
aber wurzelte ganz in diesem tiefen Geniüt. —

Ou Marr's „iLxlisode aus dem Vefreiuugs-
üriege von
ZWkcnn es noch eincs neuen Beweises für die Wahrheit
des hundertfach erprobten Satzcs bedürfte, daß der
Künstler nur das überzeugend darstellen kann, was cr selber
genan versteht, und daher am bcsten thut, sich seine Stosse
in der eigenen Nation oder Heimat zu suchen, so würde
ihn dies Erstlingsbild cines noch gau; jungen Künstlcrs
unzweiselhast liefern. — Denn es ist dank dieser weisen
Beschränkung eines der liebenswürdigsten, ergreisendsten und
überzengendsten Kunstwerke gewordcn, die unsere Historieu-
malerei seit langer Zeit hervorgebracht. Ohnc Zweifel ge-
hörte dazu noch das ausgesprochene Talent, das gründliche
Stndinm und die tiefe Empfindung, welche Marr bci der
Lösung dieser Ausgabc bethätigt hat, wie ost sieht man aber,
daß alle diese schönen Gaben absolut nichts helsen, wenu
sich der Kiinstler wie so oft darauf kaprizierte, Tinge und
Menschen zu schildern, von denen er gar keine oder nur eine
höchst oberflächliche Vorstellung hatte, und vergaß, daß man
nun einmal das Kamel nicht aus der Tiese des eigenen Gemüts
schöpfen kann, sondern es notwendig gesehen haben muß,
wie das Heine so vollkommen wahr ats witzig ausdrückte.
Hier also gab der Künstler einen schönen Zng seiner
Landsleute in der schlesischen Stadt Bunzlau wieder, den
er Gustav Freitags köstlichen „Bildern aus der deutschen Ver-
gangenheit" entnahm. — Nach der Schlacht bei Bauzen kam
nümlich cin Transport gesangener Franzoscn, durch Kosakcn
'cskortiert, an Bunzlau vorbei, um sich dort aus einem Anger
zu lagern, denn die Armen waren so erschöpst von Hunger
und Durst, daß sie nicht mehr weiter konnten. Das rührte
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