Anton von Wcrner und das Ialir ^870. Oon Fr. Pecht
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gesehen haben müsse, und das ist doch wohl der größte Triumph der Kunst. Denn welche Weisheit brauchte
der Künstler, wie viel mußte er entfernen, zurechtrücken, abwägen, um uns diesen Eindruck zu machen! Von
wahl- und stillosem Naturalismus ist hier gar keine Rede! Auch in dieser Beziehung sind beide Bilder
Meisterstücke. Wie trefflich sind z. B. nur die beiden gemeinen Soldaten erfunden, welche in der Morgen-
frühe fouragierend, etwas Hen und Stroh für ihre Pserdc erwischt haben, um uns durch den Vergleich die
Überlegenheit des in den Frühnebel hineinreitenden Kanzlers erst recht fühlbar zn machen. — Jeder schwächere
Künstler hätte, gleich den Malern des ersten Empire, seine Helden schön pathetisch herausgeputzt, richtige Komö-
dianten aus ihnen gemacht, wie es David, Gerard oder Girodet regelmüßig begegnete. Daß Werner dem so
fern bleibt, daß er fast nüchtern erscheint, darin liegt seine ächte Genialität, die ja gerade darin besteht, daß
man Dinge und Menschen sieht wie sie sind und sie auch so wiederzugeben vermag. Tarum ist er wie kein
zweiter berufen, der Geschichtsmaler unseres neuen Kaiserreichs zn sein.
Aus A. v. werners Lkizzenbuch. Kapitulationsvrrhaiwlungrn bei Srdan
am Miend drs 1. Vovrinbrr 1870
Die Gtiminungslandschaft.
„Ein stimmungsvolles Bild!"
Wie oft hört man das — und wie wenige sind, die
sich Rechenschaft davon ablegen, was sie damit ausdrücken
wollen! Frägt man jemanden, was er sich unter einem
stimmungsvollen Bilde denke, so gibt er im besten Falle
zur Antwort, die Stimmnng sei eben etwas Unbeschreib-
liches, das bei gewissen Einorücken den Menschen über-
kommt, und in dieser Unbeschreiblichkeit liege der Zauber
der Stimmung.
Es gibt aber nichts Unbeschreibliches — mit Ans-
nahme dessen, was überhaupt nie ein Mensch wahr-
genommen, empfunden oder gedacht hat. Und auch die
Stimmung ist nichts Unbeschreibliches. Paul Heyse sagt
irgendwo in seinen Kindern der Welt: „Tie ganze Luft-
und Steinsarbe, was wir Maler Stimmung zu nennen
pslegen". Tamit ist schvn einiges zur Erklärung der
Stimmung gesagt; freilich noch lange nicht genug; denn
die Landschaft besteht nicht nnr aus Luft und Stein; und
die Farbe ist es anch nicht allein, was die Stimmung
macht.
Stinimiing nennt man jene, zum Gemüt sprechenden
Grundzüge der Natur und des Menschen, welche von Zeit
zu Zeit Veründerungen unterworfen sind. Es gibt auch
Grundzüge der Natnr und des Menschen, welche unver-
änderlich sind; sie bezeichnct man als Stil und Charakter.
Stimmungen kann also die Natur haben und der Mensch;
aber es gibt Stimmungcn, welche nur dem Menschen
angehören, wie etwa eine lächerliche oder eine barmherzige
Stimmung, und es gibt Stimmungeu, welche der Natur
angehören: eine Nebelstimmnng, eine Gewitterstimmung.
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gesehen haben müsse, und das ist doch wohl der größte Triumph der Kunst. Denn welche Weisheit brauchte
der Künstler, wie viel mußte er entfernen, zurechtrücken, abwägen, um uns diesen Eindruck zu machen! Von
wahl- und stillosem Naturalismus ist hier gar keine Rede! Auch in dieser Beziehung sind beide Bilder
Meisterstücke. Wie trefflich sind z. B. nur die beiden gemeinen Soldaten erfunden, welche in der Morgen-
frühe fouragierend, etwas Hen und Stroh für ihre Pserdc erwischt haben, um uns durch den Vergleich die
Überlegenheit des in den Frühnebel hineinreitenden Kanzlers erst recht fühlbar zn machen. — Jeder schwächere
Künstler hätte, gleich den Malern des ersten Empire, seine Helden schön pathetisch herausgeputzt, richtige Komö-
dianten aus ihnen gemacht, wie es David, Gerard oder Girodet regelmüßig begegnete. Daß Werner dem so
fern bleibt, daß er fast nüchtern erscheint, darin liegt seine ächte Genialität, die ja gerade darin besteht, daß
man Dinge und Menschen sieht wie sie sind und sie auch so wiederzugeben vermag. Tarum ist er wie kein
zweiter berufen, der Geschichtsmaler unseres neuen Kaiserreichs zn sein.
Aus A. v. werners Lkizzenbuch. Kapitulationsvrrhaiwlungrn bei Srdan
am Miend drs 1. Vovrinbrr 1870
Die Gtiminungslandschaft.
„Ein stimmungsvolles Bild!"
Wie oft hört man das — und wie wenige sind, die
sich Rechenschaft davon ablegen, was sie damit ausdrücken
wollen! Frägt man jemanden, was er sich unter einem
stimmungsvollen Bilde denke, so gibt er im besten Falle
zur Antwort, die Stimmnng sei eben etwas Unbeschreib-
liches, das bei gewissen Einorücken den Menschen über-
kommt, und in dieser Unbeschreiblichkeit liege der Zauber
der Stimmung.
Es gibt aber nichts Unbeschreibliches — mit Ans-
nahme dessen, was überhaupt nie ein Mensch wahr-
genommen, empfunden oder gedacht hat. Und auch die
Stimmung ist nichts Unbeschreibliches. Paul Heyse sagt
irgendwo in seinen Kindern der Welt: „Tie ganze Luft-
und Steinsarbe, was wir Maler Stimmung zu nennen
pslegen". Tamit ist schvn einiges zur Erklärung der
Stimmung gesagt; freilich noch lange nicht genug; denn
die Landschaft besteht nicht nnr aus Luft und Stein; und
die Farbe ist es anch nicht allein, was die Stimmung
macht.
Stinimiing nennt man jene, zum Gemüt sprechenden
Grundzüge der Natur und des Menschen, welche von Zeit
zu Zeit Veründerungen unterworfen sind. Es gibt auch
Grundzüge der Natnr und des Menschen, welche unver-
änderlich sind; sie bezeichnct man als Stil und Charakter.
Stimmungen kann also die Natur haben und der Mensch;
aber es gibt Stimmungcn, welche nur dem Menschen
angehören, wie etwa eine lächerliche oder eine barmherzige
Stimmung, und es gibt Stimmungeu, welche der Natur
angehören: eine Nebelstimmnng, eine Gewitterstimmung.