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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Die Volksschilderung
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Unsere Bilder, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0305

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228

Die volksschilderung. — Uuserc Bilder.

herrlich wiedergibt, das beweist eine so große Vielseitigkeit des Talents, wie sie kein anderer Volksschilderer
bis jetzt entwickelt hat. Um so mehr, als er sich auch den Darstellnngen der religiösen Jdeale seines Volkcs
in geradezu wunderbarer Weise gewachsen zeigt, wie das schon seine vor zwölf Jahren gemalte Madonna, noch
viel mehr aber die eben jetzt der Vollendung entgegengehende beweist, wo er statt der liebenswürdig-jungfräu-
lich bescheidenen Mutter von ehedem die Himmelskönigin in einer Weise gibt, daß sich selbst Rafael ihrer'nicht zu
schämen brauchte und wie sie jedensalls in München gleich eigenartig, seelenvoll und mächtig ergreifend kaum
je gemalt worden ist. — Aber auch diese hehre Gestalt gehört wie die srühere durchaus dem Volke an, genau
wie Rafaels Sisto, die sich darin ganz von seiner Barbara wie der Cäcilia unterscheidet.
Es ist immerhin sehr charakteristisch, daß sich gerade dieser weitaus bedeutendste Teil unserer Knnst:
die Vo lksschilderung, ganz wie vor einem Jahrhundert die nationale Dichtung, völlig frei nnd unbeschützt, ja
lange Zeit fast vollständig ignoriert von den Regierungen und nur getragen von dem leidenschaftlichen Beifall
der Nation entwickelt hat. Sie freilich hat die Träger dieser Blüte dermaßen mit Gold und Lorbeeren über-
fchüttet, daß jede offizielle Protektion bald sehr überflüsfig ward. Ja man kanu wohl sagen, daß nie, so lange es
eine Kunstgeschichte gibt, Künstler in einem lebendigeren Zusammenhange mit ihrer Nation standen, mehr von
ihr geliebt gewesen seien, als unsere Meister von Menzel bis zu Defregger es sind.


Unsrre Vildrr
Von Lr. pecht


Salrniin Rnths.

aß wir in München eine Schule der entschlossensten
Naturalisten unter den Malern besitzen, das ist mohl
allgemein bekannt, aber weniger, daß sich ihnen auch eine
solche unter den Bildhauern zuzugeselleu angefangen hat.
Als hervorrageudsten Vertreter dieser habeu wir nun
Rudols Maison zu betrachten. Er ist der Schöpser
der heute von uns gebrachten, in lebensgroßen Figuren
mit nicht geringer Energie ausgeführten Kreuzigungs-
gruppe. Muß man ihr eine packende Lebendigkeit und
große dramatische Wirkung unbedingt zuerkennen, wie
nicht minder eine weit über das Gewöhnliche hinausgehende
Feinheit des Studiums bei den nackten Körpern, so ist zu-

gleich der natiouale, überall an die Altdeutschen erinnernde
Zug des Ganzen durchaus sympathisch. Leider ist ein sich
an das Kreuz hinten anstemmender römischer Soldat auf
unserer Ansicht nicht sichtbar, er würde aber die Stufen-
leiter der Charaktere vom stupiden Neger, dem häßlichen
jüdischen Büttel bis zu dem, menngleich nicht idealen, so doch
immerhin menschlich edeln Wesen des Christus durch seine
stramme soldatische Männlichkeit erst vervollständigt haben.
Auch die jammernde Mutter gehört dazu, um uns den
Eindruck voll zu machen, daß wir hier schon der bedeuten-
den und hochachtungswerten Arbeit eines begabten Mannes
gegenüberstehen, der das volle Recht hat, seine eigene Auf-
fassung von den Tingen auch energisch geltend zu machen,
eben weil sich die Welt in seinen Augen anders spiegelt.
Mit der konventionellen, sast sabrikationsmäßigen Auffassung
dieses Gegenstandes, wie man sie gewöhnlich sieht, hat die
seiuige allerdings gar nichts gemein. Tiese will ossenbar
unser Gefühl empören gegen die rohe Grausamkeit, die
Verhöhnung aller Menschlichkeit, die hier im Namen des
Rechts begangen wird. Von frivol salbungsvoller Gleich-
gültigkeit ist Maison allerdings ganz frei, weun er auch
vielleicht das Bkaterielle des Vorganges zu sehr betont.
Aber niemand wird sein Werk ansehen können, ohne Acht-
ung vor demselben und zugleich vor dem Künstler zu cm-
psinden, welcher den Mut hatte, rücksichtslos alle Fesseln
der Tradition von sich zu werfen — weil das nicht aus
frechem Übermut, sondern aus Gewissenhaftigkeit und Respekt
vor der Kunst geschah. — An Ernst und Liebe gebricht
es seinem Werke sicherlich nicht.
Ganz anderer Art ist freilich der Naturalismus des
Florentiners Gelli beschaffen, der jetzt in Wien wohnend
uud dort Aufsehen machend, uns nach dem Vorbilde
Vineas mit unbestrittenem Talent eine luftige Kneipszene
gibt, wo die italienischen Banditen des siebzehnten Jahr-
hunderts ziemlich genau so geschildert werden, wie ihre
allen Hühnerställen gefährliche Erscheinung dem tapferen
Don Äbondio in Manzonis Verlobten schon von weitem
Herzklopfen vernrsachte. Tiese ewig wiederkehrenden, bloß
für den Kitzel der durchreisenden Fremden berechneten Bilder,
 
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