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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Zum Zentenarium König Ludwig I.: geb. 25. August 1786, gest. 29. Febr. 1868
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0390

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Z06 Zum Zentenarium Aömg Ludwlg I. von Fr. Oecbt

Mittelpunkt gewonnen, die einst so dnmpfe Stadt an der
Jsar, die weit hinter Angsbnrg und Nürnberg znrückstand,
war jetzt wirklich das Herz dieses Staatswesens gewor-
den, nach dem sich alle Blicke richteten, das zufolge der
reichen geistigen Kräfte, die sich da angesammelt, dem
übrigen Lande noch nnendlich niehr gab, als es von ihm
cmpsing, Und das hatte alles die Knnst bewirkt, denn
der Einfluß der Wissenschaft war ziemlich gering, der Wert
der gleichzeitigen schönen Litteratnr vollends mehr als
problematisch in dieser Periode der Romantik, — Während
diese die Sitten eher zu verderben als zn hebcn, mehr zn
zerstören als aufzubauen geeignet war, ist der Einfluß
der Kunst durchaus ein wohlthätiger, nie ein nachteiliger,
verderblicher nnd erschlaffender geivesen. Ja gerade der
durchans männliche, edlc und eher dnrch Herbigkeit und
Strenge abstoßende als jemals entnervende und abschwä-
chende Geist der Cornelianischen Schule stand sogar im
stärksten Gegensatz zur gleichzeitigen, bald süßlichen, bald
lüstcrnen und später mit Heine durchaus vom Geiste der
Verneinnng getragenen Litteratur, in welcher bloß Uhland
ganz allein jener verwandt ist.
Dieses Stahlbad der Cornelianischen Kunst war aber
eine wahre Wohlthat sür den dnrch die Goethe'schen
Epigonen abschenlich verweichlichten dentschen Geist. Wie
Schiller und Uhland die Kämpfer von 1813 nnd 70
erzogen, die ein Heine bloß demoralisieren konnte, so
haben Cornelius und Führich wie ihre Genossen ohne allen
Zweifel den Ernst und die Hohcit der Gesinnnng, die
ganze Schule hat die Selbsterkenntnis und die Freude an
dem eigenen Wesen bei der gesamten Nation ungeheuer
gehoben, hat ihre Begriffe über sich und die Welt er-
höht nnd gereinigt. Daß die Kunst vor allem ein un-
vergleichliches Bildungsmittel sei, das hat sie gerade in
dem München des Königs Ludwig und der ersten Hälfte
dieses Fahrhunderts in der glänzendsten Weise bewiesen.
Sie kann daher trotz ihrer technischen Unvollkommenheit
auch der Nachwelt noch als leuchtendes Beispiel aufge-
stellt werden, so gut als die des Dürer, Giotto und
Mantegna, des Signorelli oder Michelangelo, die ihre
Väter waren, die technische Bravour aber, die nach ihnen
so oft die Hoheit der Gesinnung ersetzen mußte, sie kann
gerade der Nachwelt so wenig nützen, als die pergame-
nischen Virtuosenstücke je an den Adel eines Phidias
lnnanreichen. Es war aber nicht nur ihre Wiederer-
weckung und Vertieiung der religiösen Jdeen, ihre Wieder-
belebnng des Sinnes für die eigene nationale Geschichte,
welche das Verdienst der Münchener Schule ansmacht.
Während in Düsseldorf gleichzeitig eine ziemlich süßliche
und widerlich sentimentale Romantik die Geister erschlaffte,
ohne daß Lessing und Rethel dem hätten steuern können,
während in Berlin und Wien die vollständigste Gesinnungs-
losigkeit in der Knnst herrschte und man in letzterem
Führich, wie in Berlin Menzel verkümmern ließ, nm
französische Frivolitäten zu bewnndern und nachzuahmen,
erwarb sich auch die in Biünchen fröhlich neben der
Cornelianischen Schule aufblühende realistische Kunst schon
in dieser Periode die größten Verdienste. Sicherlich nicht
ohne dnrch den strengen Geist der Cornelianischen Schnle
beeinflußt zn werden, da ein Peter Heß nicht weniger an
Dürer anknüpfte als der Meister des jüngsten Gerichts
und der Nibelungen.
Diese damaligen Realisten aber haben das außer-
ordentliche Verdienst, die Kunst erst volkstümlich gemacht

zu haben in Bayern wie Deutschland, weil sie der Nation
erst wieder die Schönheit ihres bürgerlichen und Familien-
lebens, die kerngesunde Poesie ihres Bauernstandes zeigten,
wie ihr die Landschafter endlich den Sinn für die ilieize
ihrer eigenen Natur, die Herrlichkeit ihrer Alpen, die
Poesie ihrer Wälder und Seen, die Ehrwürdigkeit ihrer
Städte aufgeschlossen, was alles, weder die Historien-
malerei noch die damalige Dichtkunst vcrmocht hatten.
Wenigstens ganz entschieden nicht für die Masse der lliation,
für das eigentliche Volk, für die, „welche nicht lesen
können", bei denen die bcldende Kunst nngleich wirksamerc
Mittel besitzt, „um ihnen die Kenntiiis der göttlichen Dingc
zu verschafsen", wie die Sieneser Malcrziinst es so schvn
als ihren Wahlsprnch aufstellte. — Tadnrch wnrde aber
die Heimatliebe in der Nation erst recht erweckt, nachdem
ihr die Kunst die Schönheit des Vaterlandes so über-
raschend gezeigt.
Wie aber die großen Dome im Mittelalter vor allem
die Anhänglichkeit an die Heiniat steigerten, wie sie der
Stolz der Bürgerschasten waren, die sie errichteten, so
hatten die großen Bauten des Königs Ludwig unzweifel-
haft dieselbe Wirkung. Der nmsichtigste Staatsmann hätte
nichts besseres ersinnen können, um die neue Dynastie
mit dem Lande innig zn verbinden und die kanm er-
worbenen Teile desselben, die noch durch kein Band der
Erinnernng oder der Gleichheit der Abstammung mit den
übrigen verknüpft waren, mit denselben zu einem orga-
nischen Ganzen zu verbinden nnd zugleich das politische
Gewicht Bayerns in Deutschland, ja der ganzen Welt
mächtig zu steigern. Denn aus Böotien, das es vorher
war, hat der Kvnig wirklich ein Athen gemacht, das alle
Blicke mit magischer Geivalt auf sich zog. Wie er es
war, der das ganz verkommene und isolierte Bayern in
die gesamte Kulturbeweguiig der Nation erst hineinzog
und sein München zu einem der wichtigsten Teilnehmer
derselben machte, so hat er durch seine Schöpfungen auch
das tief gesnnkene Ansehen der Kunst in Deutschland
mächtig gehoben, sie zum gleichberechtigten Organ des
nationalen Lebens neben der Wissenschaft erst wieder ge-
macht und der deutschen Knltnr, die ohne seine Thätigkeit
ihren ziemlich gelehrt-barbarischen Anstrich nie verloren
hätte, damit einen nnvergleichlichen Dienst geleistet.
Ebenso war es sein Beispiel, das bei allen deutschen
Herrschern einen Wetteifer erzeugte, es ihm gleichzuthim,
während ihn dvch keiner entfernt erreichte. Selbst das
seit seiner Regierung verflossene Menschenalter hat, trotz
der Gleichgültigkeit der regierenden Büreaukratie nicht ver-
mocht, München seine Stelle als erste Kunststadt Deutsch-
lands zu ranbcn. Denn so gesund waren die Keime, die
er gepflanzt, daß seine Saat nur immer glänzender auf-
geblüht ist, und die Anziehungskraft wüe Bedeutung
Münchens, seinen Wohlstand wic seine politische nnd
kulturelle Wichtigkeit ums Zehnfache gesteigert haben.
Denn nunmehr ging jene Verbindung der Kunst mit den
Gewerben, ja mit der gesamten Produktion erst vor sich,
die König Ludwig nur anbahnen konnte. So dars man
denn wohl sagen, daß niemals die edelmütige Aufopseriing
eines Fürsten glänzender belohnt worden ist, da sie mit
ebensoviel Regentenweisheit als richtiger Einsicht in den
Volkscharakter gepaart war. Fr. Pecht

1^6. Die Lortsetzung des Grünewald'schen Artikels betr. Llrheberrecht geben
wir wegen Raummangel in nächfter Nummer.
 
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