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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pietsch, Ludwig: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0037

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22

Berliner Brief.

Jndes, ganz ohne Ersatz sür jenen Aussall sollen die
Künstler und das knnstliebende Publikum nicht bleiben.
Der Verein der Berliner Künstler hat in seinen
Lokalitäten, Kommandantenstraße 77/79, für die Dauer der
nächsten Monate eine Ausstellung veranstaltet, welche nach
Umfang und Inhalt über das in dcn „Permanenten"
Vereinsausstellungen Gebotene hinausgehcn soll. Jmmer
nach vier Wochen wcrdcn die darin zur Schau gebrachten
Kunstwerke durch andere crsetzt werden. Am 23. September
hat dic Eröffnnng stattgefundcn. Leider liegt das gcmictete
Lokal des Vereins in einer wenig dafür gceignctcn Stadt-
gegcnd und in eincm cben so wenig einladenden unsanbcren
Geschäftshause. Es bedarf der Anmesenheit ganz bcsonders
eindrucksvoller Kunstwcrke, um die durch jcne Umstände
crweckte Unlust zu eineni Besuche bei der besseren Gesell-
schaft zu überwinden. Jch will dem Verein vom Herzen
wünschen, daß den nun hier ausgestellten Arbeiten eine


Studir ;unr Hrrrgottsffändler. von Mathlas Schmid.

solche siegreichc Anzichungskraft gegeben sein möge. Kunsi-
wcrke von Allcs nberragender künstlerischer Bedcutung und
von der sogenanntcn „sensationellen" Gattung aber hat
meines Erachtens diese Ausstellung kauni aufzuweisen. Wohl
aber heben sich aus der Gesammtmasse von 200 Stücken,
bcsonders so manche Gemälde von ungcwöhnlichcn Vorzügen
tcils dcr Ersindung, teils dcr Behandlung und Durch-
führung heraus. Von allen deutschen Schulen haben sich
die Münchener und die Berliner am stärksten beteiligt.
Aus München kamen mehrere meisterliche Bilder. So
Mathias Schmid's „Vcrlassen", cine mit ergrcisender
Macht dargestellte hochdramatische Szene aus einer tyroler
bäuerlichen Tragödie: ein vermähltes junges Paar sindet
am Bergwege beim Heimgange am Fuße eines Madonncn-
bildstockes ein nnglückliches, verratcnes nnd verlassencs jungcs
Weib mit seinem Kinde in Verzweiflung übcr die Steine
des Bodens hingestreckt, die einstige Geliebte dcs mit der

rcichcn Bauernlochter Vcrmählten, dcr ncben diescr daher
schrcitend, schen und in Gewissensangst daraus hinblickt.
Eine gelungene Wiedergabe des Blattes finden unsere Lescr
als Bcilage diescs Heftcs. So Elaus Meyer's Gruppc
von klatschend bei einandcr sitzcnden Gcvattcrinncn, Ma-
tronen aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, ein Wcrk
von außerordentlicher Feinheit dcr Eharakteristik und dcs
Tones; Harbnrger von München hat den Studienkopf
cines Bauern und cin köstliches kleincs Gcnrebild: zwci wohl-
genährte Bräugäste bei den vollen Maßkrügen, gesendct;
Hellqvist, cine klösterlichc Jdylle: zwci Mönche imblumcn-
reichenKlostergarten; Laupheimer: eine Bauernsamilie in
eincr Bildergallerie, das Trinkgeld sür den Diener zusammen-
schießeud; Rau: das Prächtig lebendige Brustbild eincr
lachcndcn Scnnerin; Schuch: cin Paar größere historischc
Genrebilder, Rittcrfehde gegcn Nürnberg im 16. Jahrhundcrt
und Mannsseldische Schaaren auf dem Marsch im 17. Jahr-
hundcrt; dazu cin, diese Werkc weit überragendes klcincrcs
Bild: „Seydlitz aus Rckognoszierung," wclchcs wir dicscni
Heft als besondcres Bild beigeben ; Pfcrd und Rcitcr iu
vorzüglich getroffeucr feuriger Bcwegung. F. v. Uhdc, eincn
„Christus in Emaus"' zwischen den beiden Jüngern bci
Tisch, in dcr bckanntcn Ausfassung und Manicr, in wclchc
sich der talentvolle Künstler verrannt hat; Heft 1 unsercr
Zeitschrift brachte cine Abbildung diescs Bildcs. Will-
roider, ein Paar groß und poetisch konzipicrte Land-
schastcn. Von dem Wiener Probst ist ein mit großcr
Elcganz dnrchgeführtcs Kabinettstück „Nach schwcrcn Tagcn"
(im Kostüm von 1650); von Liczen-Maycr cine Gruppc
lcbensgroßer Halbfiguren, Gretcheu und Frau Martha, aus-
gcstcllt. Brütt in Düsseldorf wagte sich an eine scincm
Talent sehr sern liegende symbolische Jdealdarstellung des
mit seineui Gesolge von Genienbübchen die Lüfte durch-
schwcbendcn Frühlings. C. Müller sandte einen großen
zart und weich in schwarzer Kreide ausgeführten Karton:
„Anbctung der Hirten", von gar zu süßer Anniut und
Hvldseligkeit in allen Gestalten; Dahl, ein kleines Bild voll
k'östlichcr Frische, Krast und Wahrheit der Empfindung wie
der Farbe: ein unter blühenden Obstbäumen strickend, im
hohcn Grase des Gartens sitzcndes Dorfmädchcn; Erdmann
eine ziemlich slau gemalte Rokokoszene seiner bekannteu Art,
„Verwickelte Verhältnisse"; Deiters eine sehr ansprcchendc
Waldlandschast; Nikutowsky zwei kleine Winterbildcr von
großer Feinhcit; Oedcr eine vorzüglich gestimmte Frühlings-
landschast, in welcher sich blütenbedeckte Bäume zart lcuchtcnd
von dem dunkeln Ton des grau vcrhangenen Hiinmels ab-
heben. Dresden ist durch Schuster vertreten, der eine
Landschaft von rcizcnder Vollendung „das Ricscngcbirgc
im Winter" ausstcllt. Weimar durch Zimmers und
Hascmanns kleine Bildcr, dörfliche Genrescenen in
sonniger Landschast und ein Dorsbild von Tübbeckc.
Hamburg durch C. Ocstcrleys großartige Landschast,
„ein norwegischer Fjord in Mittagsbelenchtung" und
Bartels' Strandbild von Mönkgnt im warmen Licht
des Sonnenunterganges.
Am stärkstcn haben fich selbstvcrständlich die Bcrlincr
beteiligt. Freilich fehlen manche dcr ersten Namen. Sehr
Bedeutendes ist von hiesigen Künstlern im Bildnis gcleistct:
Graf Harrach, M. Koncr, Nils Gude, Hans
Fechncr häben männliche Porträts von ganz ungewöhn-
licher Vortrcfflichkeit ausgestellt; Amberg und seine dem
Vater so geistesverwandte Tochter Julie, Genrebilder von
der liebcnswürdigsten Erfindung und hcrzerquickender Anmut;
 
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