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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Ludwig Richters Selbstbiographie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0070

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Ludwig Richtcrs Lelbstbiograpbie.

weiter zu eröneru. — Jm Augeublicke, in welchem man für die Kiinstler eiue solche besondere Moral vindiziert,
belrachtet sie die Gesellschasr dann nicht mehr als gleichberechtigte Glieder, sondern als ein Spielzeug, das man
heute verhätschelt und morgen in die Ecke wirft, wie man das mit den Spielleuten und anderem fahrenden
Volke im Mittelalter osfen that und thatsächlich heute osk uicht anders macht. Tenn der seidene Strick, durch
den die Sänger und Virtnosen in der englischen Gesellschaft von den übrigen Güsten gcschieden waren, existiert
unsichtbar heute noch für alle die, welche sich den bürgerlichen Moralgesetzen nicht fügen wollen. Mit vollem
Recht, denn wehe dem, der Ärgernis gibt, sagt das Evangelium. Wir protestieren also auf's entschiedenste
gleich nnseren Berliner Kollegcn, gegen die mit unerhörter Frivolität geltend gemachte Ansicht, als wenn für
die Künstler ein anderes Sittengesetz gelte, als das Allen gemeinsame.
Das Buch, wie das Leben Richter's gebcn aber auch noch zn anderen Betrachtungen reiche Veran-
lassung, die überaus belehrend sind.
Wie so viele nnserer bedeutendsteu Meister, stammte Richter aus einer alten Künstlerfamilie; sein
Vater, eiu Schüler des im vorigen Jahrhundert vielgenannten Zingg in Dresden, war wie dieser Landschafts-
zeichner daselbst und wurde später dessen Nachfolger als Lehrer an der Akademie. Es fand also auch hier jene
Vererbung und dadurch Steigerung des Talentes statt, wie man sie bei unzähligen Künstlern und Gelehrten
oder Handwerkern beobachtet und wie sie ohne Zweifel einst die Hauptursache der Gliederung der Gesellschaft in
Kasteu war, die, weun nicht rechtlich, doch thatsächlich noch heute stattfindet uud der Gesellschaft jedenfalls
Stetigkeit und Festigkeit giebt. Der kleine Ludwig wutzte es denn auch gar nicht anders, als daß er wieder
Landschaftsmaler und Kupferstecher werde. Tie Schilderung des eng beschränkten, aber durch die innigste Liebe
der zahlreichen Familienglieder unter sich verklärten Lebens dieses Künstlerhauses ist eine der reizendsten, die
es gibt. Sie bildet in ihrer unendlichen Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit den seltsamsten Gegensatz zu der
nicht weniger interessanteu Jugend Feuerbachs oder des Cornelius, die beide gleich so hochfliegend mit Welt-
eroberungSplänen anstngen. Ta man das halbe Bnch ausschreiben müßte, wenn man alle interessanten Stellen
wiedergeben wollte, so beschränke ich mich nur auf deu Hinweis, wie in diesem engen Leben unter blutarmen,
aber braven und immerhin einer gewissen Bildung genießenden Leuten in der entlegensten Dresdener Vorstadt,
Richter einen großeu Teil der originellen Figureu und tiefgemütlichen Szenen kennen lernte, die er später so
unvergleichlich geschildert hat.
Als der am 28. September 1803 geborene Junge die Schule mit sehr wenig Erfolg besuchte, da ihn
die Schiefertafel beständig zum Malen statt znm Rechnen verführte und er dabei eines Tages, eiue Schlacht
schildernd, eben ausrief: „Aber jetzt muß die Kavallerie einhauen", schlug das Rohrstöckchen des Lehrers ganz
unbarniherzig auf ihu los und er wurde an den Lhren bis zur Thüre geführt, um dort kniend das Verbrechen
zu büßen, die Malerei der Mathematik vorgezogen zu haben. Ebenso mangelhaft wie alles übrige war auch
der Religionsunterricht; „Trockene Definitionen, die ich nicht verstand, Alles wnrde dürr abgeleiert, nichts warm
ans Herz gelegt". Da der Vater Freigeist war, so wnchs der protestantisch getaufte, katholisch erzogene Junge
eigentlich ganz religionslos anf und es ist sehr interessant, zu hören, wie ihm das eine tiefe Lücke im Gemüt
ließ. Jm Jahre 1812 ging dann die Kriegszeit an und er sah Napoleon einziehen, um nach Rußland zu
gehen. „Der Kaiser saß iu eiuem Wagen mit seiner Gemalin, Trompelen schmetterten, Trommeln rasselten
und dazwischen ertönte das Läuten aller Glocken, Kanonendonner und das Vivatrufen der Volksmenge."
Er sah den Kaiser dann noch einmal 1813, unmittelbar vor der Schlacht von Dresden. „Plötzlich sah ich
einen Trupp gläuzender Generale und höherer Offiziere und ihnen voran, ruhig vor sich hinsehend, wie ein
Bild von Erz — der Kaiser, ganz so, wie sein Bild typisch geworden ist: der kleiue dreieckige Hut, der graue
Überrock, der Schiininel. Ein unbewegliches und unbewegtes Gesicht, ernst, fest und in sich gesammelt. Schon
donnerten die Kanonen, denn mau stürmte die Schauze vor dem Ziegelschlage."
Halte nun unser Lndwig dem Vater schon iinmer bei der Fabrikation seiner nach damaliger Art sehr
maniriert kalligraphierten Prospekte geholfen, so besuchte er jetzr uebenher anch die freilich gänzlich verzopfte
Akademie. „Taß es sich um den Gewinn einer gründlichsten Kenntnis des menschlichen Körpers und um ein
feines Nachempfinden der Schönheit dieser Formeu handle und deshalb um eiue möglichst strenge, genaue Nach-
bildung zu thun sei, das wurde mir nicht und wohl den Wenigsten klar. Es war mehr eine mechanische
Kopistenarbeit und die Antike wie daS Modell wurden von dem Lehrer in konventionelle Formen gebracht,
ziemlich ebenso, wie es Zingg mit den landschaftlichen Gegenständen machte".
Jndes lernte er jetzt bereits junge Leute kennen, die, von Wien komineud, sich der dort durch Overbeck,
Schnorr und Olivier eingeführten neuen Richtung angeschlossen hatten nnd die Natur wenigstens im Umriß
streuger wiederzugeben suchten. Er aber erhielt nun auch selbständige Prospekte durch den Kunsthändler Arnold
bestellt. Da sie ihn sehr langweilten, so verzierte er die Ränder der Platten oft mit Gruppen von Figuren,
die er gerade im Leben beobachtet hatte. Das Talent, das er dabei zeigte, erregte Aufmerksamkeit und einige
Maler von des Vaters Bekanntschaft lehrten ihn jetzt malen. Eineu ungeheuren Eindruck machte es ihm, als
der hochbegabte Norweger Dahl nach Dresden kam und ganz realistisch gemalte Landschaften da ausstellte.
 
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