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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Voss, Georg: Gurlitts Kunstsalon in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0081

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Gurlitts Kunstsalon in Berlin.

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um über dem Mutlergottesbilde einen Kranz zu befestigen.
Ein mnnterer Banernbursche schwingt sich oben auf die
Marplatte. Ein Mädchen windet Rosen zum Strauß.
Der Mesner hält das Silbergerät bereit. Die Farben-
wirkung ist von der größten Schönheit.
Carl Gußow, von dem man in den letzten drei
Jahren hier nur recht selten etwas zu sehen bekam, hat
ein sehr sein gemaltes Modebildchen, eine junge Blondine
im Winterkostüm, ausgestellt, das von der Wandlung, die
sich in dem Schaffen des einst so kühnen Realisten vollzogen
hat, recht beredtes Zeugnis ablegt. Trefflich ist auch Carl
Beckers Genrebild einer jungen Venetianerin im Kostüm
aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts. Becker hat
uns denselben Mädchenkopf mit dem feinen runden Näschen,
den dunklen Augen und den braunen Locken schon oft in
seinen Bildern vorgeführt. Diesmal steht die Dame am
Balkon ihres Palastes, so daß das volle Morgenlicht auf
ihre Gestalt fällt. Das dunkelrote Seidenkleid mit den
großen Blumen und der Watteaufalte ist wiederum ein
recht charakteristisches Beispiel für die Stoffmalerei des
in der Darstellung des festlichen Glanzes der Lagunenstadt
so oft bewährten Meisters.
Zwei Damenbildnisse von Stauffer-Bern zeigen
das junge und kraftig entfaltete Talent des Künstlers auf
semer vollen Höhe.
Von den Berliner Bildhauern bringt Reinh old
Begas die Bronzestatuette einer Phryne, aufgesaßt in
dem Augenblick, wo sie vor ihren Richtern den Schleier
abwirft.
Bernhard Römer hat einige bemalte Terrakotta-
porträts ausgestellt, in deren leichter Färbung die Unter-
schiede im Haar, im Gesicht und in der Kleidung nur
eben hervorgehoben sind. Von Römers Arbeiten wird
bei der Ausstellung bemalter Skulpturen in der Berliner
Nationalgalerie noch mehrfach die Rede sein.
Unter den Düsseldorfern überrascht diesmal der
Heiligenmaler Eduard von Gebhardt mit einem schön
empfundenen Genrebilde — allerdings wie seine biblischen
Szenen, gehüllt in das Kostüm des Zeitalters der Re-
naiffance. Aus dem Gemälde sitzt ein junges Weib mit
zwei dem Kindesalter entwachsenen Mädchen bei der
Handarbeit. Die Frau hat mit der Arbeit inne gehalten.
Ein Schmerz scheint durch ihre Seele zu ziehen, und die
beiden Mädchen blicken überrascht und besorgt zu der Ge-
nossin aus. Der Titel des Bildes sagt nicht, was die
Brust des jungen Weibes bewegt, und doch glaubt man
in ihren Zügen zu lesen, was sie vor diesen klaren
Mädchenaugen verbergen möchte. — Ziemlich reichhaltig
sind die Düsselborfer Landschaftsmaler vertreten, so die
beiden Achenbachs, Gregor von Bochmann,
Georg Oeder und mit einer kleinen überaus eleganten
Arbeit auch der jüngere Bennewitz von Loefen.
Von den Münchener Malern, die in diesem Winter
in der Ausstellung des Vereins Berliner Künstler die
Hauptrolle spielen, ist diesmal mancher liebe Gast aus-
geblieben. Glänzend ist dagegen Karlsruhe durch eine
große Abendlandschaft von Hermann Baisch vertreten.
Berlin hatte in den letzten Jahren von Baisch stets nur
seine frischen, grünen holländischen Wiesen in kühlem,
klarem Tageslicht gesehen. Aus dem hier ausgestellten
Werke hat der Herbst die Blätter schon leicht gebräunt
und die Abendsonne hüllt die Bäume und Sträucher und
die großen bunten Kühe in leichten goldigen Duft. Das

Bild wird dein Karlsruher Meister, der sich erst im
vorigen Jahre die Berliner Nationalgalerie erobert hat,
hier sicher manchen neuen Freund gewinnen.
Von den in Jtalien schaffenden Deutschen sind zwei
Künstler bei Gurlitt ständige Gäste geworden. Ludwig
Passini, von dem sonst nur noch selten eine neue Arbeit
hervortritt, und Arnold Böcklin. Den Letzteren lernen
wir diesmal in einer Jugendarbeit, „Das Winzerfest", von
einer sehr anziehenden Seite kennen. Das Gemälde stellt
einen Weingarten vor den Thoren des alten Rom dar.
Vor einem kleinen korinthischen Rundtempel lagern und
stehen Männer und Frauen, die dem Tanz eines Müdchens
zuschauen. Eine ekwas derbere Sprache redet der Wein
aus zwei Münnern, die Arm in Arm in einer von Satyr-
statuen flankierten Mauernische stehen. Die frischen,
frohen Farben des Bildes, in welchem die antiken Kostüme
besonders hübsch hervortreten, zeigen nichts von den
scharfen Kontrasten in Böcklins späteren Werken, die ihm
so begeisterte Anhänger unter den Jüngeren, aber auch
ebensoviele unversöhnliche Feinde unter den Älteren er-
worben haben. Die Ausstellung bringt übrigens noch
zwei andere Arbeiten seiner Hand, einen „Pan im Schilfe"
und einen in mittelalterlicher Tracht dargestellten Reiter-
kampf vor der Burg. Jn dem letzteren Werke hat Böcklin
wieder einmal die ganze Leuchtkraft seiner Palette entfaltet
und einen phantastischen Farbentraum aus die Leinwand
gezaubert, der zu dem romantischen Stoffe vortrefflich
stimmt. Unsere Realisten freilich, die in jeder Landschaft
eine bestimmte Gegend wiedererkennen wollen, werden vor
diesen Felsen, die wie ein zu Farben gewordenes Märchen
aus dem Dunkel hervorragen, zweifelnd den Kopf schütteln.
Das große Prunkstück der Ausstellung ist A. Weiß'
„Berliebter Löwe" aus dem diesjährigen Salon in Paris.
Das Gemälde zeigt den Blick in einen Zwinger. Auf
einem massigen Quaderstein liegt ein Löwe, neben dem-
selben und zärtlich an sein Haupt geschniiegt steht die
Tierbändigerin. Das völlig unbekleidete nnd in den For-
men eines eben erblühten jugendlichen Körpers gezeichnete
Mädchen hält in der einen Hand die mächtige Scheere,
um dem Löwen die Krallen zu beschneiden. Mit der
anderen Hand lehnt das Müdchen auf der Tatze des
Löwen, und das Tier blickt verliebt, wie der Titel be-
hauptet, auf seine Herrin. Die Schönheit des Bildes be-
ruht in der eleganten, graziösen Zeichnung des Mädchens,
in dessen Gestalt man allerdings weniger von der Kraft
und Enffchlossenheit der Athletin als den Liebreiz der
weiblichen Erscheinung sinden wird. Ilnd auch dieses
Mädchen scheint heimischer auf den Polstern der Boudoirs
als im Käfig der Arena und vielleicht gewandter, irgend
einen Löwen der Börse zu zähmen, als den zottigen König
der Wüste. Nur die Korallenscheere dürfte in diesem
Falle ein wenig kleiner sein.
Den bevorzugtesten Platz hat in der Ausstelluug die
Nachbildung der bekannten Wachsbüste aus Lille erhalten,
von der das letzte Heft von Lützows Zeitschrift für
bildende Kunst bereits einen trefslichen Farbenlichtdruck
gebracht hat. Die Schönheit des leicht bemalten Mädchen-
köpfchens ist in dieser Nachbildung so wohl getroffen und
scheint dem überall hervortretenden Wunsche nach be-
malten Bildhauerarbeiten so glücklich zu entsprechen, daß
die Nachbildung voraussichtlich ein großes Publikum
finden wird.
Grorg Votz ,

 
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