Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Zum 70. Geburtstag Adolf Menzels
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0087

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

62

Zuin 70. Geburtstage Adolf Menzels.


instinkrmäßig den Weg, anf dem Andere ihnen folgen sollen, um eine neue Welt zu crobern. — So ist es
denn auch unendlich fesfelnd, zu sehen, wie der jugendliche Menzel, der ein großer Maler ward, ohne je eine
Akademie besucht, einen Lehrer gehabt zu haben, erst nach allen Seiten herumtastet, sich in allem versucht, sich
zunächst cinen selbständigen geistigen Jnhalt erobert, dann auch eine Form für ihn findet, sich eine ganz
individuelle Technik dazu schafft, endlich, was vielleicht am schwersten war, die gründlich verbildete, der Geltend-
machung ihres eigenen Wesens in der Äunst ganz cntwöhnte Nation zum Verständnisse seiner Kunst unter dem
erbittertsten Widerstand langsam heranzieht, ja zuletzt selbst die in Deutschland allmächtigen Schulmeister, die
geschwornen Verteidiger alles Toten oder Absterbenden zu gewinnen weiß, um die Erlanbnis zu erhalten, dem
deutschen Volk cine wahrhaft eigenartige und lebensprühende Knnst zu schenken.
Ohne die glühende Vaterlandsliebe,
die trotzige Männlichkeit, welche Seele
und Leitstern seincs Strebens siud, wie
sie den idealen Gehalt seiner Werke
bilden, hätte Menzel unstreitig niemals
das erreichen können, was er mit seiner
wahrhast eisernen Willenskraft nach und
nach gewonnen hat. Man darf den Gra-
nitblock dieser Stirne, den trotzigen
Mund, das entschlossene Kinn, den durch-
dringenden Blick nur sehen, um alsbald
zu ahnen, daß man hier einem Manne
gegenübersteht, der von demselben Zcug
gemacht ist, wie die Bismarcks und
Moltkes, einem gebornen Eroberer, der
die Waffen des Geistes mit unwider-
stehlicher Energie handhabe. Kaun man
es vielleicht bedauern, daß man diese
Kraft so lange nicht zu würdigen und
ihr zu rechter Zeit die richtigeu Anfgaben
zu stellen verstund, so brachte anderseits
diese Vernachlässignng Menzeln wenig-
stens eineu ganz unbestreitbaren Nutzen
sür die Entwickelung seiner Originalität.
Denn sie machte ihn vollkommen srei
und unbeeinflußt durch Andere, nötigte
ihn vor allem, sich genau, wie seiner
Zeit Dürer, mit seinen Arbeiten direkt
an die Nation zu wenden, zu suchen,
ihr innerstes Empfindcn zu treffeu, um
sich eincn Boden zn erobern.
Findeu wir die durchaus eigenartige,
humorvolle Weltbetrachtung wie den
Reichtum sciner echt küustlerisch Tichtung
b chulr. von Adolf iNenzel. und Wahrheit beständig mischenden Phan-
Aus dem CyNur ..Künstlers Er°enw°llen". 1834. tnsie schon in dei' ftühesten größeren
Arbeit des jungen Menzel in „Küustlers
Erdenwallen", so zeigt sich schon hier der Grundzug seines Künstlercharakters: alles in die unmittelbare Ge-
genwart, in die uächste Nähe zn verlegeu. Sein Maler wohnt nicht in Rom oder Wolkenkuknkshcim, sonderu
in Berlin uud malt dicke Jüdinnen, nicht Katharinen von Medicis oder Kleopatra. Aber noch fehlt seiuem
schlagendwitzigen wie von baroken Einfällen überströmenden Geiste die entsprechende Form, er mischt da noch
Reminiszenzen aller Art, Klassisches, Französischös und Altdeutsches, Poesie und Prosa höchst wnnderlich
und ungelenk durcheinander. Während er sich schon über die akademische lKnnst lustig macht, dic ihre ganze
ideale Welt im Gipssaal konzentriert, zeigt er selber noch zahlreiche Rcminiszenzen an densclben. Dies
fühlend, überdies mit der Maltechnik ringend, machte er sich jetzt an ein wahrhaft unermeßliches Naturstudium,
schärft durch unaufhörliche Beobachtung auf der Straße sein malerisches Gedächtnis für alles Charakteristische
so ungeheuer, wie wir es jetzt an ihm bewundern. Er thut das, ohne doch je ein plattcr Abschreiber der
Natur oder gar ein Modellmaler zu werden. Was er mit seinem unermeßlichen Gedächtnis aber schon alles
 
Annotationen