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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Ludwig Richters Selbstbiographie, [2]
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Ludwig Richters Lelbstbiograpbie

Nach Rom zurückgekehrt, macht ihm das Götterbacchanal des Gian-Bellin mit der herrlichen Landschaft
des Titian, damals in der Galerie Camnccini, von allen klassischen Kunstwerken den größten Eindruck. —
Am Neujahrsabend kommt es dann auf einmal über ihn wie eine Erleuchtung und er wird religiös,
wohl durch den beständigen Einflnß schwärmerischer nazarenischer Freunde, doch ist er niemals ein Orthodoxer
geworden, hat sich bei allem Glanbensbedürfnis immer die Freiheit des Geistes erhalten. — Man könnte ihn
eher zu den „Stillen" rcchnen.
Mit nnd ohne Glauben hatte er aber von dem dreijährigen italienischen Aufenthalte nicht viel Ge-
sundes zurückgebracht, da er nur immer erst snchte. Dagegen machte der Zweinndzwanzigjährige in Briefen und
Tagebüchern eine Reihe Bemerkungen, die von der Schärfe seines Geistes ein um so merkwürdigeres Zeugnis
ablegen, als man Richter bisher doch unter die naiven Künstler zu rechnen gewöhnt war. Ohne Zweifel war
er auch einer, aber das Genie vereinigt eben sehr verschiedene Eigenschaften. So sagt er unter anderm:
„Ter Geist mus; die Technik bilden oder oielmehr die Technik muß sich noch und nach aus dem Geiste bilden und ihm
entspringen. Wer eine fremde, angenommene Technik seinem Geist anpassen will, hat sich verrechnet; beide werden schwerlich harmonieren.
Hier steckt die Originalität des Bvrtrags".
„Es bleibt fest in mir, im Sommer je eher je lieber zurückzukehren, ich werde in Deutschland leben, so will ich mich auch in
und für Deutschland ausbilden: eine sichere Richtung meiner Kunst war es, was ich suchte, ich habe den Weg gefunden, aber er weist
mich eben nach dem Vaterlande, weil dort die Natur liegt, die mit mir, mit meinen innigsten Gefühlen, mit meinem Leben und
Seiu verwachsen ist und durch welche ich auf meine Landsleute am mächtigsten wirken kann."
Richter fährt nun fort:
„Jch will künftig immer arm und einfach leben, ich mag müssen oder nicht. Jn der Natur und meiner Kunst will ich
meiue höchsten Freuden suchen."
Das hat er nnn später selbst als hochberühmter Künstler merkwürdig festgehalten, jman konnte nichts
einfacheres sehen als seinen Hanshalt und seine Werkstatt.
„Nur zu leicht nimmt man eine stilisierte Art zu zeichnen und zu malen in Rom an, welche, obgleich kunstreicher in
Linien und schöner in den Formen, was man so schön zu nennen beliebt, doch bei weitem nicht jene naive Unbefangenheit ersetzen
kann, mit welcher mau iu srüheren Jahren rein und natürlich die Natur wiederzugeben trachtet, und Naivität, schöne reine Natürlichkeit
wirkt immer viel stärker auf das Gemüt des Beschauers, als die feinste Kunst."
„Bissen sder bekannte dänische Bildhauer) tvill uichts von Stil und Stilisieren wissen. Er ahmt nicht die Antike nach,
obivohl er sie genug schätzt. Die Gründe, die er angab, stimmen ziemlich mit meinen Ansichten überein. Jeder soll sich seinen Stil
selbst schaffen, dann wird sich jeder originell (eigentümlich) ausdriicken, jo wie es seiner Natur und seinen vorgestellten Gedanken
genehm ist. Warum soll ich die Regeln dieses oder jenes alten Meisters nachahmen? Jch kann und soll nur mick geben und nicht
einen Anderen, in dessen Geist ich mich doch nie einsttrdieren kann."
„Es ist gewist recht gut für den Landschafter, wenn er die Volkssagen, Lieder und Mttrchen seiner Nation studiert. Er
sieht darin den Geist des Volkes. ivelcher mii seinen Sagen seine Umgebungen belebt."
„Jch möchte ein tüchtiger, ein grotzer Künstler werden, aber ich kanu nicht leugnen, dast Eitelkeit und Ruhmsucht dabei ist,
es ist mir nicht rein um die Kuust zu thun, obwohl man sichs oft genug vorlügt. Es würde wohl wenig Gutes gethan werden,
wenn Eitelkeit nicht wäre, das Böse muß das Gute wirken, ich will aber trachten, mich frei und los davon zu machen." —
Welche Ehrlichkeit und Schärfe der Selbsterforschung spricht aus diesen Worten!
„Ein Gedanke, krästig, tief, umfassend ausgedrückt, mit möglichst wenigen Mitteln.Wird die deutsche Natur so
behandelt, so kann sie ebenso edel wirken als die italienische und ihr ernsterer, gemütvollerer Charakter, ihre Fülle und ihr Reichtum
werden sie noch darüber stellen."
„Nein! so hohe Reize auch das hiesige Leben bieten mag, es hat nichts sür den Verlust unserer alten heiligen, herrlichen
Gebräuche zu bieten und überhaupt schon die Entbehrung deutscher Sitten und Gebräuche mutz den Deutscken kalt und endlich schlecht
machen; ich fühle recht, wie alle fremden Sitten schädlich wirken. Jedes Volk muß Sitte, Gebrauch und Geietz aus sick ielbit ent-
stehen lassen es wird immer das Beste und Passendste bleiben."
„Jene unbefangene Grazie, die wir in der Natur finden, ist allein die wahre echte Kuustschönheit; da wo sich die Grazie
zeigt, mit Bewußtsein zeigt, hört sie auf Grazie, Schönheit zu sein und wird dlffektation."
„Jch bin immer uoch nicht ganz einig über das wahre höchste Ziel in der Landschastmalerei, doch ist mir eines klar: sie
sei volkstümlich; was niitzt ihr das Fremde?"
„Jedes Streben aus unserer Jndividualität heraus zerflietzt in Nichtigkeit."
„Die italienische Natur hat doch bei aller ihrer Schönheit etwas totes; ich finde in ihr nicht diese ergreifende Sprache, sie
sieht nicht aus als hätte sie der liebe Gott gemacht, sondern als könnten sie Menschen auch so erfinden."
„Jn dem letzten Jahrhundert wurden alle Zweige der Kunst und Wissenschaft so ganz von einander getrennt und so ans
allem Bezug und Verhältnis zum Leben geriffen, und als ein für sich und durch sich selbst bestehendes Ganze angesehen, datz wohl
mancher gescheute Mann nicht mehr wutzte, was er aus der Kunst eigentlich machen sollte, und diese selbst nlles innere Leben verwr,
weil sie keinen Zusammenhang und Bezug zu dem sie umgebenden Leben hatte, nämlich zum Leben des Volkes, welches freilich auch
kein eigenes Leben mehr war, weil alle Poesie swie noch jetzt) daraus verschwunden ist" . . .
„Nachahmung war alles, was man beabsichtigte und manchmal erreichte, und so koimten die Deutschen, da sie Nationalität
und cigentümliches Bolksleben verloren hatten, auf deu tollen Einfall geraten, in Nachahmung griechischer Werke, deren
Geist und Leben sie doch nicht erkannten, sonst hätten sie das eigene erkannt, ihr höchstes Ziel zu finden."
Und das schrieb ein zweiundzwanzigjähriger junger Mensch schon 1825, während wir uns, Dank dem
Einfluß der Kunstgelehrten seit Winkelmann, hente noch nicht von diesen Jrrtümern befreit haben ü
„Es kann keiner den Homer verstehen, der nicht von den Herrlichkeiten seiner eigenen vaterländischen Natur und
Geschichte recht herzinniglich durchdrungcn ist und wer das ist, dem wird gewiß niemals einsallen, sein Vaterland zu gräzisieren
oder die Gegenstände seiner Darstellungeu aus einem so ganz von dem seinigen verschiedenen Lande herzu-
nehmen. wobei er nur aus der staubigen Bücherquelle und nicht zugleich vom frischen Born des Lebens schöpfen kann."
„Diese Schule, dies angelernte Wesen in meinen jetzigen Bildern stört mich immer. Jch wünschte, ich wäre im Stande,
die Natur mit einem recht einfältigen ftommen Kindersinn zu erfassen und sie ebenso anspruchslos und einsach wie ein liebes Spiel
darzustellen und zu behandeln."
„Deuts ch l and! Das Wort mit all seinen großen Erwartungen war es, welches vor zehn bis zwölf Jahren (1813—15)
Kunst und Wissenschaften emporhob. Der Geist des Volkes rauschte aus wie eine Welle. Die schöne Welle brandete und verlor sich.
 
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