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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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An unsere Freunde
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An unsere ^rennde

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brmgen suchen soll. — Nicht minder wünschen wir aber aus ihm doch vorzugsweise ein Organ der Jugend
zu machen. Schon darnm, weil ihr die Zukunst gehört. Wo liegt nun aber diese in der Kunst, wie sieht sie
aus, diese Jugend? Denn nicht Jeder, der grün ist, hat Aussicht zu blühen und noch viel weniger Früchte
zu zeitigen. Da wird man also doch znerst die Stellung betrachten müssen, welche die Kunst inmitten unserer
gesamten hentigen Kulturbewcgung cinnimmt, nnd in welcher Linie sie sich selber seit ihrem Wiederausteben in
Deutschland zn Ansang des Jahrhunderts fortbewegt hat. Man wird dabei ferner im Auge behalten müssen,
daß die Kunst die Jdeale einer Nation ja nicht macht, sondern ihnen blos Gestalt leiht. Die Kunst des
vorigen Jahrhunderts nun war wesentlich kosmopolitisch nnd im vollsten Gegensatz zu der des fünfzehnten und
sechzehnten aristokratisch. Ein Volksleben giebt es kaum in ihr bis zur französischen Revolution, sie hat es
nur mit antikisierenden Göttern und ihren gepuderten Vertretern auf Erden zu thun. Da weder die himmlischen
und bekanntlich noch viel weniger die Erdengötter Fehler haben dürfen, so verzichtet die Kunst auch völlig auf
jede indiskrete Charakteristik, sie giebt höchstens Typen nicht Jndividuen. Selbst die Romantik, welche
zu Anfang unseres Säkulums die herrschende antikisierende Richtung ablöste, änderte daran nicht allzuviel,
wenigstens in Deutschland nicht, wenn sie auch die „Heiligen nnd die Ritter" an die Stelle bezopfter Olympier
setzte. Erst mit den heftigen, ein halbes Jahrhundert ausfüllenden Kämpfen, welche zur Errichtung des deutschen
Reiches sührten, löst nach und nach immer entschiedener die Schilderung des Volkes, seines Lebens und seiner
Jdeale, die seiner himmlischen und irdischen Gebieter ab. Taß aber fast alle großen Talente der zweiten
Hälfte nnseres Jahrhundcrts sich dieser Schilderung dcs Volkes oder seiner Helden widmeten, ist sicherlich kein
Zufall, sondern eine tiefe innere Notwendigkeit, weil dieses lang ganz übersehene Volk sich jetzt erst die ihm
gebührende Geltung wenigstens halbwegs errang.
Gipfelt nun die ganze Entwickelung, welche wir hier berührt, in der Errichtung des deutschen Reiches
auf durchaus volkstümlicher Grundlage, so wäre es cine unbegreifliche Blindheit zu glauben, daß eine solche
welterschütternde Begebenheit wie diese, nicht die tiesste Wirkung auf die Kunst haben müßte, während doch
schon der Kampf um dies Reich sie, wie wir gezeigt, ganz umgewandelt hat.
Es muß das umsomehr der Fall sein, als die großen Entdeckungen der Wissenschast gleichzeitig die
ganze moderne Weltanschauung umzugestalten anfingen, indem sie uns zeigten, daß alle Entwickelung in der
Natur nur ein beständiger Fortschritt von den einsachsten zu immer ausgebildeteren und vor allen Dingen
individuelleren Formen sei. Daß also wie die Bildung von Arten, so auch die festere Abgrenzung der Nationen
nur ein notwendiger Naturprozeß sei, bei dem der Stärkere und den vorhandenen lokalen Bedingungen besser
angepaßte an die Stelle des Schwächeren tritt.
Was also das Schicksal auch in seinem Schoße noch tragen mag, so viel scheint sicher, daß noch für
lange Zeit die individualisierenden nnd nationalen Richlungen in der Kunst die Oberhand über die kosmopoli-
tischen und idealisierenden behalten, ja sich immer noch weiter vervollkommnen werden. Oder wäre es denn
etwa bloßer Zufall, daß wir überall, nicht nur in Deutschland, sondern ganz eben so gut in Jtalien, Spanien,
Ungarn, Nordamerika, ja selbst in Polen sich nationale Richtungen bilden, den Trieb mächtiger als je zuvor
auftreten sehen, in den Schöpfungen der Kunst das eigene Wesen nicht weniger ansznprägen, als in den poli-
tischen Jnstitutionen?
Unsere Aufgabe ist damit fest vorgezeichnet, wir haben der Nation alles das vorznführen, wo es gelang,
ihr eigenes Leben oder das Wesen eines einzelnen Künstlers in besonders charakteristischen Formen auszusprechen.
Nicht minder, wo das bei anderen Nationen etwa geschieht. Die Künstler sind ja die eigentlichen Propheten,
sie zeigen uns znerst, was Kraft nnd Leben gewinnt, wie das, was abstirbt und vergeht.
Das aber kann keinem Zweifel unterliegen, daß gerade durch diese schärfere Abgrenzung der Nationali-
täten von einander, wie sie unsere Zeit bezeichnet, und durch die ihr entsprechende stärkere Betonung des
Charakteristischen und Jndividuellen in der Kunst, derselben ein wahrhaft nnermeßliches neues Feld geöffnet
wird. Daher kann es denn auch keinen Augenblick unsicher sein, wo ihre Zukunft liege, auch wenn es nns
die Menzel, Knans, v. Werner, Janssen, Defregger, Passini nicht längst gezeigt hätten, wie es die Delaroche,
Delacroix, Meissonier, Bonnat, llHermitte, Nochegrosse in Frankreich, die Fortuny und Pradilla in Spanien,
die Toby Rosenthal, Neal und Chase in Nordamerika, die Jsraels in Hvlland, die Munkacsy, Benczur in
Ungarn, Matejko in Polen, Wereschagin in Rußland, die Hellquist in Schweden, die Conti, Chierico, Nono,
Joris in Jtalien thun, die sich alle durch die starke Betonung des Volkstümlichen nnd Jndividuellen an die
Spitze der Kunst ihrer Nationen gestellt.
Wenn übrigens unser Blatt irgend etwas vor anderen voraus hat, so ist es das, daß es weltweit von
der Anmaßung entfernt ist, der Kunst die Wege vorschreiben zu wollen, die sie gehen soll, sondern sich damit
begnügt, den zu zeigen, welchen fast alle heutigen großen Künstler gegangen sind.
Es wird aber selbst in ganz realistischer Zeit immer einzelne Geister geben, deren Neigung der Welt
des Jdeals gehört, sei es nun, daß sie ihre Gedanken in großartigen allegorischen Gestalten verkörpern, sei es,
daß sie dem Beschaner die alte Mvthe nnd Geschichte vorsühren, so wie sie sich in ihrem Geiste spiegeln. Wer
 
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