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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Ludwig Passini: oder die alte und die moderne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0232

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Ludwig passini oder die alte und die rnoderne Aunst.


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muß, so genügt ein Gang durch die besseren Sammlnngen moderner Kunstwerke, um sie unbedingt bejahen zu
können. Freilich muß man auch bei ihnen mindestens die Hälfte jetzt schon preisgeben. Noch mehr aber mnß
man sich hüten, von den Neuen das verlangen zu wollen, was die Alten schon unübertrefflich gemacht haben.
Phidias'sche Götterbilder, Rafael'sche Madonnen zn erreichen, das wird uns Ungläubigen nicht gelingen, darum
läßt man besser die Finger davon. Aber so gut Michel Angelos Tageszeiten auch nach Phidias bestehen
bleiben, weil fie etwas ganz andereS anstreben, so gnt wird auch jetzt manches gemacht, was Aussicht auf
unvergüngliche Dauer hat, eben weil es Neues versucht. Wer könnte leugnen, daß z. B. Menzels verschiedene
Bilder, vorab das Ballsouper, die modernen Cyklopen, das Flötenkonzert, die Abreise des Äönigs zur Armee
1870 und so noch eine nicht geringe Zahl anderer Bilder alle mögliche Anssicht haben fortzuleben'? Ja selbst
die Krüger'fche Wachtparade betrachtet man heute, nach einem halben Jahrhundert bereits, mit nicht geringerem
Jnteresse als des Peter Heß Bilder aus den Kriegen von 1809—14 und seinen Einzug des Königs Otto in
Nauplia. Ebenso haben Enhubers Bilder des oberbayerischen Volkslebens, wie die des Knaus und Vautier
noch gar nichts von ihrem Jnteresse verlorcn. Sie, wie die des Defregger, bleiben bestehen neben allem, was
die Alten derartiges gemacht. Denn wie technisch überlegen die Niederländer ihnen auch seien, so stehen sie
doch in Bezng ans feine Charakteristik, auf Seele, ganz besonders aber in Mannigsaltigkeit der Charaktere,
Liebenswürdigkeit in Tarstellung der Kindcr nnd Frauen, ebenso weit hinter jenen zurück.
Dasselbe nun kann man vielleicht noch in höherem Grade von den Volksschilderungen Ludwig
Passinis sagen, wie wir heute eine der neuesten und besten unsern Lesern vorzusühren das Glück haben.
Tas Bild giebt nichts als eine kleine Ansammlnng der in Venedig immer vorhandenen neugicrigen
Menge, um in Ermanglung von Besserem sich aus einer Brücke die Zeit mit dem Begaffen einer durchpassieren-
den Gondel zu vertreiben, in der möglicherweise ein paar koresrisri sitzen. So wenig das nun ist, so ward
es doch vom Künstler unvergleichlich geschickt-benntzt, um uns daS heutige venetianische Volk so vortrefslich, mil
solcher Mannigsaltigkeit der Persönlichkeiten, solcher Feinheit in Wiedergabe ihres Charakters, ihrer Art sich
zu bewegen, darzustellen, daß es die derartigen Schilderungen Gentile Bellinis, Carpaccios u. a. alter Meister
an srappanter Wahrheit weit übertrifft. Nnr Paolo Veronese giebt in seinen Szenen aus dem Leben der vor-
nehmen Venetianer etwas Ähnliches. Aber selbst abgesehen von der ganz konventionellen Anordnung seiner
Bilder, wie weit blcibt er in seiner ewig dasselbe Modell wiederholenden Darstellung der Franen hinter seinen
Männern znrück! Ja, sie sind, wie schön auch immer, doch an Wahrheit und Unmittelbarkeit gar nicht mit
diesen Passini'schen Müdchen aus dem Volke zn vergleichen, die sich da neugierig über das Brückengeländer
legen oder mit dem Fächer kokettieren. Noch weniger mit den beiden Wasserträgerinnen, die hinter ihnen
stehen. Von den Fischern nnd Barkarolen neben ihnen, dem salbnngsvollen prete, dem Kneipwirt und anderen
köstlich getrofsenen Tagedieben wollcn wir gar nicht sprechen. — Man glaubt hier das Völkchen dnrcheinander
schreien zn hören, wie sein Gezappel zu sehen. Tenn gerade die Tarstellung des Menschenknäuels als Ganzes
in seinem geschüstigen Müßiggang ist hier unübertresslich beobachtet. Man vergleiche doch damit einmal die
ähnlichcn Volksschilderungen eines Bassano, ja selbst die, welche Tintoretto in seinem weltberühmten Mirakel
des St. Markus von einer solchen Menge, odcr die, welche Titian in seinem ersten Tempelgang der kleinen
Maria giebt, nnd man wird sofort gestehen müssen, daß sie, wie überlegen, ja unübertrefflich auch nach anderen Seiten
hin, doch gerade nach jener der Wahrheit in der Bewegnng ihrer Figuren, ihrer Schilderung des ganz be-
sonderen Wesens jedes einzclnen, immer noch konventionell neben Passinis Menschen erscheinen. — Schon
weil der religiöse oder mythische Vorgang solche Unmittelbarkeit der Tarstellnng völlig ausschloß. Tas Volk,
das uns Passini so interessant zu machen wciß, wo wir jeden einzelnen persönlich zu kennen glauben, es war
diesen alten Meistern offenbar eine ziemlich gleichgültige Masse, die man nnr obenhin abmachte, um die Ans
merksamkeit, wie Paolo, ganz den Nobili, oder wie Carpaccio, den Heiligen zuzuwenden. — Das Jndividuum
spielt überhaupt in der altcn Kunst meist nnr eine nntergeordnete Rolle, es wäre denn, daß es sich malen
ließ nnd gut dafür bezahlte. Dazn kommt noch, daß die ganze alte Malerei sich wesentlich im geschlossenen
Raume bewegt, der Künstler seine Menschen nur in der Ätelierbelenchtung, sast nie im Freien studiert und
noch viel seltener die Art belauscht, wie sie sich bei dieser oder jener Gelegenheit bewegen, da er sie ja nur
als achtungsvolle Zuschauer oder Mitwirkende bei religiös-mythischen Vorgängen giebt. Hier ist also sast alles
konventionell salbungsvoll, während man Temperament, Charakter, das Eigenartige in dem Benehmen und den
Gewohnheiten der Einzelnen bei Passini, Knaus, Menzel, Tesrcgger mit einer Genauigkeit geschildert ffndet,
von der man bei den alten Jtalienern sast nichts, bei den Niederländern erst den Anfang sindet, da selbst sie
von der Modellmalerei im Atelier und von der Beschrünkung anf ein halb Dutzend Typen sast nic loskommen.
Hier in ihrer Demokratisierung, in der unendlich größeren Ausbildung des Jndividuellen, liegt also
die Zukunst der modernen Kunst. — Nächst Menzel ist aber niemand geeigneter, dabei den Weg zu zeigen,
als unser Passini, welcher der Schärse seiner Beobachtung zugleich eine Heiterkeit des Humors, ein warmes
Herz und ein Wohlwollen hinzugesellt, die außer ihm nur sehr wenigen, vielleicht nur noch Desregger, ver-
liehen sind.
 
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