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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Fitger, Arthur: Aus meinem Leben, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0235

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Aus meinem Leben. vcm Artbur Fitqer

geisterung und Klarheit cmschauen durfte. Wie duukel war
es nun geworden! Jch hatte freilich die kurze Freude,
meinen alten Camillo Genelli wieder zu degrüßen, der ein
Schüler Rahls gewesen und nach dessen Tod sich rasch
wieder in die Heimat begab. An Führich hatte ich eine
Empfehlung und der greise Künstler stieg auch freuudlich
in meine Folterkammer hinauf; ich bewahre noch dank-
baren Herzens eine Skizze, die er mir znr Berdeutlichung
seines Ratschlages aufs Papier warf; zwischen all' der
Laienmeinung, die ich täglich zu hvren bekam, eiumal
wieder ein scharfgeschlifsenes, künstlerisches Wort, das mich
wie ein Sonneustrahl für eine Zeitlaug belebte! Mit
meinem Landsmanne Griepeukerl wechselte ich auch ein
paar Visiten : sonst stand ich in der großen Stavt ganz
allein.
Jch sollte mich iu Salons bewegeu lerneu: ich war
genötigt, meinen Onkel aus mehrere hocharistokratische Zanber-
feste zu begleiten und immer und immer wieder die un-
vermeidliche Konversation über das Künstlerleben in Rom
zu führen : ich geriet in einen Kreis junger Offiziere, mit
denen ich die nächtlichen Mpsterien von Wien durchmachte,
ich mußte elegauten Tamen meine Auswartungmachenund das
alles mit dem Gefühl inder Seele, daßichnichtimstandesei, mir
auch nur die dazu nvligen Glacshaudschuhe selbst zuverdienen.
Es ivar ein Höllenseuer ganz eigener spitziger Art, und
wie eine Erlösung ergrisf mich ein großes, tiefes Herzeleid,
das über mich hereinbrach. Jm November 1865 starb
niein Vater. Jch hatte nun dvch ein Recht, mich mit
meiuem Schmerz in mich selbst zu vergraben, und mein
Onkel ließ nach in seinen pädagogischen Bemühungen, eiuen
Weltmann aus mir zu ziehen. Jch malte, so lange es
hell war nud abends las ich Thomas Buckte und Mommsen;
ich sprach fast mit keinem Meuscheu mehr, selbst die Verse,
die in Rom an eiusameu Abenden so leicht und tröstlich
geflossen, waren vertrocknet. Als meine drei Bacchantiunen
fertig waren, schickte ich sie in den Kunstverein, mußte aber
erfahren, daß ihnen die Ausstellung verweigert wurde: ich
war schou so tief niedergedrückt, daß diese Temütigung
mich nur noch halb schmerzte. Sehe ich jetzt jenes Bild
an, das sich noch im Besitz der Witwe meines Onkels
besindet, so sinde ich auch heute noch jene Ablehnnng nicht
gerechtfertigt, skeiuesfalls war es die Form derselben, denn
man ließ das Bild einfach wochenlaug iu der Toteukammer
ftehen, bis ich auf persöuliche Erkuudigung das Verfahren
erfuhr); es hat in der Turchführung, nameutlich in der
Zeichnnng feine großen Mängel, aber der allgemeine
Schwnng der Komposition und das koloriftische Problem,
das sich ein wenig an die „irdische und himmlische Liebe"
anzuschließen bemüht, würen imnierhin nicht ganz unwert
gewesen, in den Sälen unter den Tuchlauben, die wahr-
lich nicht von Meisterwerken strotzten, ein bescheidenes
Tageslicht zu erblicken. Jndessen wenu ich heute, nach
Verlaus vou 20 Jahreu, auch ziemlich objektiv jeueu Fall
zu beurteilen glaube, es sei fern von mir, über meine
Richter richten zu wollen. Diese Niederlage brachte außer
ihren moralischen Schmerzen auch finanzielle mit sich, denn ich
hatte gehofit, für das Bild mein Reisegeld in die Heimat
herauszuschlagen: Abreise von Wien war der Jnbegriff
aller meiner Wünsche gewordeu! Zum Glück gelaug es
mir, auf einer Auktion ein paar Stndienköpse los zu
werden; mein Onkel, der, wenn auch für den Augenblick
glänzeud gestellt, keineswegs ein reicher Mann war, schenkte
mir unter dem Vorwande, mir die Bacchantinnen abzukausen,

die fehlende Summe, uud gegen Osteru 1866 fuhr ich vom
Nordbahnhofe ab.
Jch bekiage es tief, von der schönsten deutschen Stadt
ein so garstiges Bild im Gedächtnis zu tragen: es kam
eben Alles zusamnien, mir die Welt und das Lebeu zu
verleideu. Aus dem italienischen Sommer in den deut-
schen Winter, aus römischem Leinwandkittel in den Wieuer
Frack, aus ungebundener Lebenslust in Sorgen und Rück-
sichten, aus Hoffnungen in Enttäuschungen! Nicht einmal
das hochgepriesene Burgtheater konnte mich entschädigen;
ich machte einen Bersuch, Wallenstein zu sehen, lief aber
bei dem dritten Akte hinaus; die Borstadttheater wirkteu
nicht besser. Jch verglich eben alles mit Jtalien, und das
leichtlebige Wien schien mir sowohl in Anmut wie in Ernst
der Lebensauffassung weit unter dcn Städten Jraliens zu
ftehen. Nur die Entführung aus dem Serail brachte mir
zwei Stunden, die es mit aller Herrlichkeit Jtaliens auf-
nehmen konnten. Ganz feltfam kani es mir vor, daß man
den eben verstorbenen Rahl beständig mit Tizian in einem
Athem nannte und ihn womöglich als desseu Erben und
Nachfolger verehrte. Geradeswegs vou Venedig kommend,
war ich nicht solcher Ansicht und erlaubte mir auch wohl
naiverweise darüber zu dispulieren, ich wußte noch nicht,
wie unschicklich es ift, von dcr allgemeinen Meinung ab-
zuweichen; bisher hatte ich mich mit meinen guten Freunden
unbeschadet unserer Freundschast gezankt, daß die Haare davon-
flogen, nun galt es Lehrgeld in der guten Gesellschaft
geben.
Auf der Eifenbahn, sagte mir mein Onkel, würde
ich auffallend viel Militür finden; er hatte, trotzdem um
Osteru noch die Welt nach außen hin ziemlich friedlich
aussah, das kommende Gewitter gespürt und auch schon
sich selber zu baldiger Abreise gerüstet. Auf allen Bahn-
höfen wimmelte es von Ilniformeu, und die halbverschueiten,
naßkalten Gegendeu, über die mein Auge vom Coupe aus
gleichgültig wegstreifte, sollten bald der Schauplatz welter-
schütternder Thaten sein.
Von Wien nach Bremen ist eine lange Strecke, aber
die Sehnsucht nach der Heimat ließ mich nicht matr werden,
und ohne auch nur eine Minute geschlafen zu haben, langte
ich endlich an der Thür des verwaisten Elternhauses
wieder an. Der Mut in meiner Brust ivar nicht ge-
brochen; der Kleinmut war überwunden und hatte einer
wahrhaft heilsamen Demut Platz gemacht. Meine Mutter,
meine Schweftern, auch fchon ein jüngerer Bruder sahen
fest der unerbittlichen Wahrheit des Lebens ins Auge und
gingen so des Weges dahin, wie sie ihn vorzeichnete, Herz
und Haupt für alles Große und Schöne jederzeit bereit,
aber auch die unscheinbarste Psticht des Älugenblickes nicht
versäumend. Jch richtete mir in unserem kleinen Telnien-
horst ein Atelier ein und machte mich wieder, sreilich unter
bescheidenerem Anlauf als mit den drei Bacchantinnen, an
die Arbeit. Mir durch eigenen Erwerb mein Brot schasfen,
das war die erfte unerläßlichste Fordernng; ich jagte alle
verlockenden Traumgedichte aus meineni Hirne fort und
malte fog. Studienköpfe, d. h. Bilder, denen man keineu
Namen geben will, junge Mädchen, Kinder mit Blumen
uud dgl. Nachdem ich auf dem großen Weltmarkt zu
Wien ein so klägliches Fiasko gemacht, richtete ich meine
Blicke auf den Markt des Lokalpatriotismus, d. h. meiner
heimischen Residenzstadt Oldenburg. Aber auch hier ging
es mir schlecht; die öffentliche Künstlerkritik, die damals,
wenn ich nicht irre, von einem Sekundaner oder Primaner
 
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