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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Anton von Werner und das Jahr 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0251

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Anton von N?erner und das Iahr



Aus A. r>. Merners Lkizzenbuck. (Dtuüie nnn Brrlinrr Vongrrlii

faßte, nunmehr sich der Gegenwart zuwendete, um seine und seines Volkes Triumphe zu schildern. Daß das
auf seinen Befehl nun im größten Maßstabe, wenn auch anfänglich noch ungeschickt geschah, dadnrch ward er
der eigentliche Vater des heutigen sranzösischen Realismus, führte eine Kunstperiode in Frankrcich herbei, deren
Glanz bald die ganze Welt blendete, die Napolconische Legende ein halbes Jahrhundert in Europa herrschend
machte und den Einfluß Frankreichs ungeheuer vermehrte. Unstreitig hat diese Knnst es auch zu einer Anzahl
Werke von bleibendem Wcrt gebracht, die alle nie entstanden wären ohne den Anstoß, den Napolcon gab. Denn
eine Knnst wird crst dann lebendig, wenn sie die Gegenwart bemeistert, die Jdcale und das Leben des eigenen
Volkes zu schildern lernt. Der Staat hatte und hat bei uns aber, dank unserer Schulweisheit, in der Knnst
nur Gcld für das, was tot ist; wir überlassen die Darstellung des Kaisers Wilhelm samt seinen Helden unseren
Nachkommen, die sie nie gesehen haben, und malen den König Priamos. Unsere Heerführer aber konnten sich
ihre Siege selber malen lassen, wenn sie dieselben sehen wollten. Von der Tann nnd Hartmann warten in
Bayern heute noch aus ihre Bildsäulen, die Sieger von Wörth auf ein Denkmal. Zehn Jahre brauchte es,
bis man sich in Berlin auss Zeughaus besann, das natürlich sofort auch mit so viel Olympiern gesüllt ward,
daß die Heutigcn kaum Platz darin haben. Die Hauptstadt des Staates aber, der die stolzeste Geschichte hat,
die es in Enropa gibt — sie ist noch immer in tötlicher Verlegenheit, mit was sie ihr Rathaus schmücken soll,
. sie muß es erst von Saarbrücken, Krefeld oder Erfurt sich zeigen lassen. Alles, was in dieser Zeit wirklich
Lebendiges geschaffen worden, ist aus der Nation selber herausgewachsen, zumeist von den Künstlern selber auf
eigene Gefahr unternommen worden. Oder wem verdanken wir die Einführnng der deutschen Renaissance, und
daß man das bayrische Bier nicht in griechischen Tempeln ausschenkt? Die Menzel, Knans, Vautier, Desregger,
Bokelmann mußten uns das Leben des deutschen Volkes erst auf ihre Rechnung schildern, Lenbach seine Helden
malen. Wenn wir unsere Siege und nicht die Alexanders des Großen sehen wollten, so mußten sich Aktien-
gesellschaften bilden, nm sie malen zu lassen. Denn die „Nationalgalerie" blieb jenen und den Trojanern vor-
behalten.
Eine solche Aktiengesellschaft ist es denn auch, der wir die beiden Kunstwerke verdanken, die uns heute
beschästigen.
Wenn man es nicht längst gewußt hätte, daß Anton v. Wcrner ein geborner Historienmaler sei, der
in ganz ungewöhnlichem Maße das Zeug habe, die Zeitgeschichte künstlerisch zu bewältigcn, und wirkliche Ge-
schichtsbildcr, nicht blos Kostümstücke oder konventionelle Fabeln zu gcben, so würde man es hicr bei diesem
„Abschluß der Kapitulation von Sedan" sehen! Jch nenne das ein Historienbild, wo genan wie bei einer
Tragödie das Schicksal aus den dargestellten Charakteren mit Notwendigkeit hervorgeht und wo dieses Schicksal
zngleich in einer so erschütternden und ergreisenden Weise dargestellt wird, daß jene Erhebung und Befreiung
der Seele daraus entspringt, die der letzte Zweck aller Kunst bleibt. Beides ist nun hier im größten Maße
 
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