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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Reber, Franz von: Fritz von Uhde, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0283

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Fritz oon Uhde

sehenen Bestrebungen der Anhnnger der „Jmpressions" wie der „Sincerite" gährten in dem Künstler sort, nm ihn crst
ferne von Paris zu eigenem Eintreten zu treiben. Er selbst sagt: „Wührend meines Ausenthaltes in Paris war ich in
Munkacsys Anschaunngen befangen und stand der modernen französischen Schule noch durchaus verständuislos gegen-
über. Erst allmählich, durch nnausgesetztes Studium nach der Natnr im Freien, durch gelegentliche Anschauung fran-
zvsischer Bilder und durch meine hvllündische Reise im Jahre 1882 kam ich zu dem Resultat, Licht uud Luft iu der
äußereu Erscheinung vor Allem zu betvneu."
Jn demselben Jahre, in welchem das „Familienkvnzert" ausgestellt war (1881), gelangte nvch aus die
Berliner akademische Ausstellung die „Wirtshausszene" (nach der Wicner Jnternativnalen vvn 1882 in amerikanischen
Privatbesitz gelangt, phvtvgraphiert Vvn Fr. Werner). Nocy ist etwas Teniers'sche Nachempsindung in Kostüm nnd
Arrangement zu verspüren, aber Munkacsys Tvn ist verschwunden. Klares Vvrniittagslicht strömt vvn rückwarts
durch ein breites Fenster und erfüllt den Raum. Mau kauu der Luft vielleicht zum Vvrwurfe machen, daß sie hier
ein allzn dnnstloses Medium sei und die Einzelheiten nicht genng zusammentöne, aber Licht und Luft sind wenigstens
da, klar, kühl und ersrischend, die letzte Spur räucheriger Atelieratmosphüre ist gewichen. Es ist der energischste
Protest gegen die Ateliertradition, unter der Tevise: „Wahrheit über Alles, vhue gemachten und ererbten Aufputz."
Statt der sonnenlosen Atelierbeleuchtnng mit Nordlicht, svnuendurchströinte Rüume mit entschiedener Betvnnng des
Fensters als der Lichtguelle, Verzicht auf künstliche Verteilung der Licht- und Schattenmassen im kvmpvsitivnellen
Sinne zu Gunsten der einsachen Rücksicht auf die uatürlicheu Bedingungen. Damit zusammenhängend Gleichwerligkeit
Vvn Allem, der Dielen wie der Möbel und Geschirre, der Gewünder wie der Köpfe, so wie dies die wirkliche Er-
scheinung mit sich bringt. Tie Gewünder sind weniger zeit- als mvdellecht, die Pose ist ungesucht und wahr, wenn
auch etwas pantomimisch starr, und namentlich anch der Tlnsdrnck der Köpse wie der Gestus vvn jener unveründerlichen
und darnm seelenlosen Fixierung, wie wir sie am Modell bevbachten können. Es ist dabei nur vergessen, daß wir
in Wirklichkeit nicht schau«i vhne zu denken, daß wir daher auch die Dinge nicht gleichwertig sehen nnd deshalb auch
nur erfassen, was uns interessiert, dieses aber anch über den momentanen Eindruck hinaus beleben.
Entschieden überbvten wurde die „Wirtshausszene" von dem schöuen 1882 gemalten Bilde, welches unter
dem Titel „Des couturieres" im Pariser Salon ausgestellt war und dann in englischen Privatbesitz gelaugte. (Photo-
graphiert von Fr. Werner in München). Tiese Perle der Uhde'scheu Kunst läßt, was den Ranni betrifft, einiger-
maßen an Pieter de Hoochs Jnterieurs denken. Eine Stube mit breitem tief herabreichendem Fenster, das den
Ausblick in einen Hausgarten gewührt, zeigt vier Mädchen um einen Tisch mit Weißnüherei beschäftigt. Trei davvn
schaffen schweigend, die vierte läßt die Arbeit .in den Schooß fallen, um lächelnd die Anfrage eines fünften Mädchens
zu beantworten, welches links herzugetreten. Die fchweigenden Gestalten sind anziehende Typen in sich gekehrter
Arbeitsamkeit, die sprechende, niit den heiteren Augen etwas nnmotiviert auf den Beschauer statt aus die Fragstellerin
gerichtet, läßt in ihrem Lücheln wieder etwas pantomimisch Starres erkennen. Wundervoll ist das einströmende Licht
der Nachmittagssonne, welches den ganzen Raum erfüllt und das altersbraune Holzwerk der Decke, Thürstöcke und
Möbel energisch von den Kleidern und der Wüsche abgehen lüßt. Speziell de Hooch'sche Wirkung finden wir in dem
Turchblick nach einem zweiten Gemache, dessen geöffnete Thüre eine Nähterin von rückwürts sehen lüßt, durch ein
Fenster im Fond beleuchtet, welches die reizvolle Perspektive noch nach einer engen Gasse oder einem Höfchen zu
erweitert. Wenn aber anch Pieter de Hooch'sche Jnspiration angenommen werden darf, so ist doch davon keine Spur
vorhanden, daß Uhde dnrch die Brillen des Hvllünders gesehen oder etwas von dessen Effekten abgelauscht hütte. Wenn
Schreiber dieser Zeilen durch holländische Stuben sich wiederholt an Pieter de Hoochs Jnterieurs gemahnt fühlte, so
kam auch nnser Künstler durch das Studium ähnlicher hollündischer Naturerscheinungen auf ühnliche Effekte wie der
alte Meister. Der Zusammenhang mit diesem ist daher bei Uhde, welcher jedes Anlehneu an die Tradition zurück-
weist und nicht einmal einen technischen Rapport duldet, nicht so gerechtfertigt wie bei Claus Meyer, dessen „nühende
Beguinen", gegenstündlich dem Uhde'schen Bilde verwandt, gerade durch das bewußte Anlehnen an die alten Meister
zur Zierde der Münchener Jnteniationalen von 1883 geworden sind.
Weniger ersreulich erscheinen Uhdes Arbeiten von 1883. „Der Leierkastenmann kommt", 1883 erst im Pariser
Salon, dann in der Münchener Jnternationalen nnd im ersteren mit der lclention bonoradle ausgezeichnet, leidet,
indem es sich mehr als ein Aggregat von Einzelstndien darstellt, an zn großen kompositionellen Unschönheiten. Auch
lassen im Gegensatz gegen die vortrefflichen ruhigen Gestalten die in Bewegung begriffenen die pantominiische Erstarrung
des verweudeten Modells zu deutlich sühien. Dw „Trommelübung" (Müncheuer Jnternationale 1883 photographiert
von der Phot. Union in München) ift davon sreier, aber nm so peinlicher berührt das Experiment, mit den denkbar
wenigst malerischen Formen und Farben zu wirkeu uud überhaupt einen Vorwurs zu wühlen, der prosaischer uud
widerwärtiger kaum gedacht werden kann. Die rücksichtslose Treue und sprecheude Charakteristik ist sreilich bewunderns-
wert, aber man muß sich fragen, ob es Ausgabe der Malerei sein köune, das Auge des Beschauers mit einer Tar-
stellung zu tyranuisieren, deren wirklichem Vorbild er nnbedingt so weit als möglich aus dem Wege gehen wird. Jn
einem solchen Falle aber befinden wir uns hier, wo der Künstler das abfärbige Blau abgetragener bayrischer Jn-
fanterieunisormen nnd die nicht einmal durch Komik gemilderten Alltagsphysiognomien der völlig reizlosen Träger der-
selben mit einem Ausbund von Langweiligkeit des landschaftlicheu Grundes verbindet, überdies aber das Ganze durch den
 
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