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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Reber, Franz von: Fritz von Uhde, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0287

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von Fr. Reber

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Pholographie, in deren mechanischer Reproduktion der Eindruck nicht korrigiert wird. Die Perspektive wird daher nicht
von dem Einftusse unseres Deukens und Einpfindens losgemacht und uicht absolut objektiv behandelt werden dürfen.
Wir verlangen hierin von dem Bilde dieselbe Subjektivität, dieselbe Verbindung von Sehen und Tenken, deren wir
uns beim Sehen der Natnr bedienen, nnd erlangen dadurch eine snbjektive Wahrheit, die für die Angenempfindung
über der objektiven steht. Wir wissen jetzt durch Experimente mit Augenblicksphotographien genau, das; die Pferde
nicht so laufen, wie wir sie malen. Aber ebenso wenig, als wir die Pserde so laufen sehen, wie sie wirklich laufen,
ebenso wenig dürsen ivir sie nach ihrer wirklichen Gangart malen, sondern wir müssen sie so inalen, wie wir sie
laufen zu sehen glauben.


Tieser perspektivische Kon-
flikt ist es auch, ivas nns au
dem nächstfolgenden Bilde
Uhdes „Die Jünger vou Em-
maus" (gemalt 1885, photo-
graphiert von der Photogra-
phischen UnionMünchen) pein-
lich in die Augen springt. Die
zwei Jünger sitzen sich gegen-
über, der eine, den Rücken
gegen den Beschauer gewendet,
diesseits, der andere jenseits
des runden Tisches. Sie sind
kaum zwei Meter von einan-
der entfernt, aber der jen-
seitige Mann ist halb so groß
als der diesseitige. Das Ver-
hältnis beruht auf Beobachtung
und ist objektiv so richtig, wie
das Verhältnis des geradezu
winzig erscheinenden Stühlchens
das im Fond weitere drei
Meter entfernt an der Wand
steht. Aber wir glauben die
Richtigkeit nicht, weil wir an-
ders — man verzeihe das ^tuöie
barbarische Wort — denk-
sehen.
erreichen, obwohl er die Jünger als solche höher qnalifizierte.

zu dem Bilde „Lbristus und die Iünger von Lmmaus
Uon (sritz V0N Ubde (Si-be Hcft I)

Das Bild mit unsichtbarer
seitlicher Lichtquelle stellt tech-
nisch wieder einen weiteren
Fortschritt dar, wirkt aber
gegenfiändlich dadürch unange-
nehm. daß die Modelle für
die Jünger ohne ausreichen-
den Grund etwas zu tief aus
der Hefe des Volkes geschöpft
sind. Wenn auch die Ein-
ladung der Mühseligen und
Beladenen, wie sie Christus
ausspricht, mit der Wahl
seiuer Jünger nicht im Wi-
derspruch steht, so bedürfte
es doch hier am wenigsten
solcher verknöcherter Vaga-
bnndentppen, denen man auf
der Landstraße am liebsten aus
dem Wege ginge. Freilich
steigern die beiden Strolche
durch deu Gegensatz den Aus-
druck von Verklärung, der den
brotbrechenden Heiland in
diesem Bilde besonders aus-
zeichnet, aber diese überlegene
Verklärung und Göttlichkeit
wußte ein Lionardo doch zu
Das aber hütte Uhde in diesem Bilde anstreben müssen,

während er bei den voransgehenden religiösen Bildern mit seinen Figuren freier schalten konnte.
Ob der Meister die angedeutete Klippe in seiner neuesten Schöpfung, welche das Abendmahl zum Gegen-
stande hat, vermeiden wird und will, ist aus den Anfängen derselben noch nicht deutlich. Jedensalls wird sie ein
künstlerisches Glanbensbekenntnis werden, die Parallele mit den vorhandenen Lösungen der Llusgabe wird über das
Wollen keinen Zweifel übrig lassen. Man ist mit Recht auf diese Erklürung gespannt, wie überhaupt Nhde zu jenen
Künstlern gehört, die ein gesteigertes Jnteresse erweckt haben. Es würe ganz salsch, ihn, wie so hüufig geschieht,
einfach zu den Nachfolgern der sranzösischen Jmpressionisten zu zähleu, welchen er sich auch thatsächlich weit weniger
anreiht, als den Vertretern der „Sincerite". Seine Richtung ist aber überhaupt keineswegs spezifisch sranzösisch, wie
ja das Gebiet seiner Studien jetzt ganz auf dem Boden seiner unmitrelbaren deutschen Umgebung liegt. Wie sollte
anch eine Nation ein Vorrecht auf ein Prinzip sich anmaßen können, das seinem Wesen uach nur kosmopolitisch sein
kann. Denn das Prinzip der unbedingten Wahrheit, die keinen anderen Einfluß duldet als das Vorbild der Natur
nnd das Opser vou Effekt wie von traditioneller Angewöhnung fordert, kann durch keinc Grenzpfähle, durch keine
Sprachen- und Sittenverschiedenheit bedingt werden.
Die Rücksichtslosigkeit der Versolgung einer im wesentlichen gewiß richtigen Theorie ist aber unter allen
Umständen ein großes Verdienst, wie jedes ehrliche Ringen, dem eme ernst gefaßte Überzeugung zu Grunde liegt. Und
wenn auch noch viele Hindernisse und Umwege dabei zu überwinden sein werden, so steht doch jetzt schou so viel sest,
daß aus den Folgen einer solchen Überzeugung Selbständigkeit und Originalitüt entspringen müsse und daß die Über-
zeugung nach System und Zielen ihre Berechtigung hat. Auch wird uiemand mehr bezweifeln, daß das Prinziv in
Uhde einen Vorkämpfer gefunden habe, welcher einer bleibendeu Bedeutung gewiß sein darf.
 
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