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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Die Volksschilderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0300

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Die Oolksschilderung.


publik durch Rembraudt, Frans Hals und ihre berühmten Schüler in der Darstellung eines Volkslebens,
das sich ganz Selbstzweck ist, das Äußerste erreicht, während das unter spanisch-österreichischer Herrschaft ge-
bliebene Belgien zwar in den Breughels diese Richtung wohl schon srüher eingeschlagen hatte, aber weit
entfernr war, ihr dieselbe Ausbildung zu geben, da sein Hauptkünstler Rubens schon ganz wie Titian ein
Maler vornehmer Herren ist, überall der Macht schmeichelt. Nach dem dreißigjährigen Kriege und seiner
Ertötuug alles üchten mit der bürgerlichen Freiheit stehenden und fallenden Volkslebens hört auch die Tarstellung
desselben, nachdem sie noch bei dem einsam in Sevilla lebenden Murillo einige glänzende Triumphe gefeiert,
bald gäuzlich auf. Von 1650—1750 wird die Kunst in ganz Europa eine durchaus hösische und in Deutschland,
dem unglücklichen Schlachtfelde, sogar am meisten. — Ludwig XIV. verabscheute denn auch mit richtigem De-
spoten-Justiukte alle Volksschilderung, und die Meisterstücke holländischer Bauernmalerei entlockten ihm bloß
jenes berüchtigte „Ou'oir rn'ote ces irlLZ-ots!" Malerei und Skulptur verherrlichen nun bloß die absolute
Herrschast der Staats- und Kirchenfürsten. Ja sie übertragen sogar die Bkaitressenwirtschast der Fürsten und
Prälaten mit unglaublicher Frivolität auf die Schilderung des himmlischen Hofstaates bei ihren ungeheueren
Bildern. Ein Le Brnn malt den großen König als gekreuzigten Heiland und seine sämtlichen Geliebten als
jammernde heilige Frauen zu seinen Füßen. Der feile Venetianer Tiepo lo treibt es in Würzburg und Madrid
womöglich noch ärger, die Zick und Knoller aber hatten natürlich nichts Besseres zu thun als dies schöne
Beispiel allerdings verschämter, aber auch geistloser nachzuahmen.
Aber währeud in dieser eutnervten kosmopolitischen Mietlingskunst der Zopfmaler, der Tiepolo, Ba-
toni uud Knoller nur noch die Schmeichelei herrscht, vom Recht der Nationen aber so wenig die Rede ist als
von der Existenz der Völker, die nur noch als gefesselte Sklaven dargestellt werden, über die der triumphierende
Gebieter hoch zu Rosse wegjagt, da erstand im freien England auf einmal ein Volksschilderer von gewaltiger
Kraft, dessen Werke alsbald das Heraufsteigen einer neuen Zeit verkündeten: William Hogarth, der uns
das Leben der herrschenden wie dienenden Klassen von damals mit unerbittlichem Grisiel schilderte, lange ehe
die Rousseau, Diderot und andere die unverlierbaren Rechte der Völker zurücksorderten. Tiderot er-
gänzte G renze, der zum ersteumale in Frankreich das Leben der Baueru uud Bürger zum Gegenstande seiner
Schilderuugen machte. Sie wurden als die Auserstehung des dritten Standes in der Kunst mit einem Iubel
begrüßt, an dcm die politische Opposition mindestens ebensoviel Teil hatte als ihr Knnstwert. Derselbe ist
indes groß genug, daß sie sich trotz mancher Manieriertheit uud der nichts weniger als sehr scharfen Charakteristik
der Figuren bis heute gehalten haben, obwohl die letzteren einstweilen noch weit mehr Gattungsmenschen waren,
als bestimmte Jndividuen. Jn dieser Beziehung leistete sogar der das Leben der höheren Klassen zur Zeit
Ludwigs XIV. mit unvergleichlich prickelndem Geiste schildernde Watteau bei weitem mehr. Jhn wie Chardin
und Greuze ahmte der in der zweiten Hälftedes Jahrhunderts austretende Daniel Chodowiecki mit aller-
dings nicht allzuviel Geist und Witz oder malerischem Talent, aber mit einer wahrhaft unschätzbaren Ehrlichkeit
nach, also einer ücht deutschen Tugend, die seinen kleinen Bildern einen unvergänglichen Wert als Schilderungen
des Berliner Bürgerstandes jener Zeit, seiner Sitteu und Denkungsart sichert. Jst bei seinem berühmtesten
Blatte, dem Abschicde des Calas von seiner Familie vor seiner Hinrichtung, die Anlehnung au Greuze un-
verkennbar, so übertrifft er diesen doch entschieden in der Jndividualisierung der Gestalten, die er freilich aus
Franzosen zu Berlinern der dortigen französischen Kvlvnie macht. Weit wertvoller, wenn auch unbehilflicher,
sind seine Tarstellungen Friedrichs des Großen und seiner Generale, wo wir wenigstens genau sehen, wie diese
dem gebildeten Berliner Philister erschienen, dessen Jdeal der Herr Akademie-Direktor ist. Verkörpert er uns
aber die unsterblichen Gestalten unserer damaligen Dichter wie Lessing und Goethe, dann gewahrt man sreilich
alsbald, wie weit er hinter diesen an Lebenskraft noch zurückbleibt. Bon den Tischbein, Schütz u. a.,
die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts allmählich die Niederländer in der Darstellnng des Bauern- und
Bürgcrlebeus nachzuahmen suchten, ist kaum der Mühe wert zu reden, da sie nur wenig selbstschöpserisches
zeigcn. Dazu brauchte es eine neue Zeit, die crst durch die sranzösische Revolution herbeigeführt wurde. — Der
rücksichtslose und unwiderbriugliche Bruch mit der zopsigen Vergangenheit tritt zuerst vollkommen iu den oft
noch hölzern und ungeschickt aussehenden Zeichnungen eines Klein auf, der die lange Reihe der deutschen
Volksschilderer eröffnct, die in unserem Jahrhundert bald die aller anderen Nationen übertreffen sollten.
Gerade Klcin in seiner schwerfälligen Ehrlichkeit bezeugt umso zuverlässiger das Auftaucheu einer neuen Welt
aus der von Frankreich her über uns gekommenen Sündflut. Schon entwickelter sehen wir dieselbe in den
Schilderungen eines Peter Heß, der in seinem „österreichischen Lagcr" bereits cine Schärfe der Charakteristik
der verschiedenen Nationalitäten entwickelt, von der in der ganzen bisherigen Kunst kaum eine Spur zu ent-
decken ist. Ebcnso in den Bildern aus dem Feldzuge von 1814 in Fraukreich, dann noch viel großartiger in den
beiden Tiroler Schlachten. Hier tritt nach einem Jahrhundert endlich aus einmal wieder jene Macht selb-
ständig handelnd aus, die man bisher nur als ungeheuere Nebensache zu betrachten gewohnt war, wenn man sie
überhaupt sah: das Volk. Daß die Tiroler zuerst sich dicser schändlichen Art, Länder und Völker wie Waren
zu verschachern, widersetzten, das hat einen unvergleichlichcn Schimmer oon Poesie und Heroismus um sie
 
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