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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Die Berliner Jubiläums-Ausstellung, [1]
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252

Die Berliner Iubiläums-Ausstellung

ebensalls im Schwinden oder noch gesund und unversehrt, ja im stillen Wachsen begrisfen, ob eine neue Welt
im Werden und was an der alten ausgelebt sei. —
Tie Künstler sind da umso zuverlässigere Propheten, als der Gott, der aus ihnen spricht, sich ihrer
nur als Werkzeug bedient, sie den Morgen oft lange vorausverkünden läßt, ehe der Anbruch desselben den
Himmel rötet und Helios seinen Sonnenwagen heranfführt. —

II.
s°7s>er sonnigste Maimorgen lachte mir entgegen, als ich von Dresden, dessen herrliche Galerie mich drei Tage
lang festgehalten, nach der Reichshauptstadt suhr. Überall sproßten reiche Saaten; so lange wir noch im
Elbthal blieben, schmetterten die Lerchen ihre Morgenlieder. Bald änderte sich das indessen, als wir uns
Berlin näherten, und magere Kiefernwälder traten an die Stelle der üppigen Auen Sachsens. Bei der Station Groß-
beeren konnte man sich dann das Schlachtfeld besehen, wo einst Berlin vor der Jnvasion der rachedürstenden
Franzosen geretlet ward, durch die Tapferkeit der märkischen Landwehren. Sandige Hügel, mit Fichten besetzt,
kleine Seen, in den Wäldern zerstrcute Wassertümpel, magere Kartoffeläcker dazwischen, eine Öde, die geradezu
unglaublich erscheint, das ist der Untergrund, auf dem in wenig mehr als einem Jahrhundert die Riesenstadt
emporwuchs! Hier hat wie bei Venedig oder Petersburg die Natur nichts, die Kunst, die unablässigste Arbeit,
alles gethan. Betritt man dann endlich die Stadt, so sällt einem zuerst freilich auf, daß ihre Architektur einen
weniger ausgesprochenen Charakter hat als die anderer Großstädte. Meistens sind es Nachahmungen fremder
Muster, erst blöd und kläglich, dann allerdings immer reicher, kühner und selbstbewußter, aber nur ausnahms-
weise es bis zn einer Ausprägung des eigenen WesenS bringend, sondern dasselbe meist verleugnend, ja
ihm oft aufs nnvernünftigste Gewalt anthuend. Eine gesunde verheißungsvolle Richtung zeigt indes doch der
reizende Ziegelrohban des Anhaltischen Bahnhofes und einiger anderer Terrakottenbauten. Sonst findet man
Barock und Rokoko, Antik-griechisch und Alt - slorentinisch, dazwischen den nüchternsten Zops, alles was man
will, nnr von Haus zu Haus wieder anders. Jch glaube, es gibt in Berlin nicht zwei Häuser nebeneinander,
die sich gleichen, und erst in neuerer Zeit hat die deutsche Renaissance mehr Boden gefaßt und es sogar zu reizenden
Schöpfungen gebracht, scheint aber bereits wieder dem Schlüler'schen Barockstil zu wcichen. Dieser Stil hat allerdings
in Berlin seine Berechtigung durch das Genic des Architekten erobert, jedenfalls mehr als das Schinkelsche Hellenentum.
Tennoch sieht man neben vielem Ungesunden anch Keime genug, ans denen eine nationale Kunst emporwachsen
könnte. So macht auch die zum erstenmale eines solchen mächtigen Staates vollkommen würdig ausgefallene Aus-
stellung beim Betrcten ihrer weiten Säle den besten Eindruck, sie überrascht durch ihren ganz ungeahnten Reich-
tnm um so mehr, als er Teutschland ganz allein angehört. Denn England ausgenommen, haben sich die
übrigen Nationen sehr mager beteiligt. Um so mehr ist man entzückt über die merkwürdige Produktionskraft
unseres Volkes, die sich da so imponierend ausspricht, da die Ausstellung wirklich einen wahrhaft überraschen-
den Reichtum iu hochbedeutenden Werkeu, ja deren weit mehr zählt, als die letzte Münchener Jnternationale,
und als sast alles Bedeutende, wie gesagt, lediglich uns angehört. — Überdies findet sie inmitten eines improvi-
sierten Parks statt, welcher durch seine Reize der Geschicklichkeit der Berliner Gartenkünstler wirklich das aller-
glänzendste Zengnis ausstellt und Tausenden einen wonnigen Ausenthalt bietet. Aber das ist wenigstens dem
Berliuer altcn Schlags unsympathisch: daß er seine Landsleute bewundern soll, wührend ihn Franzosen und
Engländer, Kameruner und Chinesen so viel mehr interessiert hätten! Die Kunst ist hier noch immer Vielen
uicht die natürlichste und edelste Lebensäußerung des eigeuen Volkes, sondern sie muß etwas Fremdes,
Unnatürliches und Unverständliches haben, wenn sie damil gefesselt werden sollen. Dieser ungesunde Ge-
schmack, die Liebe für das Verzwickte und Absonderliche, fiir die alten Egypter und sür Pergamon,
für bemalte Statuen und farblose Bilder ist es, der hier dem Aufkommen aller Kunst ost schwere Hinder-
uisse bereitet. Tennoch ist schon der Schmuck der Säle, besonders des meisterhaften Veftibüls, so über-
raschend gelungen, daß er allein einen Besuch lohnte. Wenn die Harmonie der Bilderausstellung bisweilen
noch einiges zu wünschcn übrig läßt, so sind das ja Tinge, die verbessert werden können und müssen.
Am wenigsten freilich kann man sich mit dem System der Aufstellung einverstanden erklüren,
da dasselbe Genuß wie Studium gleich sehr erschwert. Während man nämlich den sremden Nationen voll-
kommen entsprechend ihre eigenen Säle und Gemächer überwies und dadnrch von ihrcm Kunstschaffen, ihren
eigenartigen Vorzügen immerhin ein bestimmtes Bild erhält, beliebte man bei den verschiedenen deutschen
Schulen ein gemischtes System, d. h. man ränmte Berlin, Düsseldorf und München wohl eigene Säle ein,
wo die Massc der Bildcr untergebracht ward, vcrteilte aber zugleich geradc ihre besten Werke überall hin, so
daß es jetzt völlig unmöglich ist, ein genaues Bild der Eigcnart unserer verschiedenen Schulen zu gewiunen. Das
benachteiligt nun ganz besonders die immerhin bedeutendste diescr Schulen, die Münchener, deren hervorragendste
Werke man überall zerstreut, nur nicht im sogenannten Münchener Saal sindet. Während dieselben im
 
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