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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Grosse, Julius: Ernst Julius Hähnel, [2]: ein Relief nach dem Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0351

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Lrnst Iuliirs kjähnel.
nicht ganz ungefährlich, wie schon jener Traum beweist.
Der Satiriker und Schelm lanert auch hinter jedem schein-
bar harmlosen Worte. Jch erinnere mich an einen uralten
Professor, einen geborenen Franzosen, dem Äußeren nach
ein ehrwürdiger Meergreis mit mächtigem Bollbart. Diesen
Herrn wußte Hühnel zu überzeugen, daß eine schöne, vor-
nehme Tame sich nach einem Andeuken von ihm sehne,
und der würdige Meergreis ließ sich wirklich einen be-
trächtlichen Teil seines Patriarchenbarts herausschneiden,
welche Operation Hähnel selbst unter größtem Halloh voll-
zog. Ein andermal, bei einem Künstlerfcst, spielte ein in
Nanking gekleideter Gcck Blindekuh. der die Manier hatte,
jeden Herrn und jede Dame, die er fing, zu umarmen
und zu küssen. Hühnel wußte einen vorübergehenden
Kaminfeger zu engagieren, sich fangen und umarmen zu
lassen.
Seine HÜlle an Historien, das heißt an fabulierender
Erfindung, ist unerschöpflich, und Hähnel wäre sicher als
Poet ebenso groß geworden, als er als Bildhauer ist.
Wie die großen Künstler des Cinquecento Architekten,
Maler und Bildhauer zugleich waren, vereint auch Hähnel
die verschiedensten Kapazitäten, und es ist gleichsam nur
Zufall, daß er ausschließlich bei der Skulptur geblieben.
Wie sehr er Poet ist, beweist seine erfinderische Fortbildung
der mythischen Traditionen. Jene Vereinigung helleuischer
und christlich deutscher Jdeenkreise, wie sie im ersten Traum
sein ganzes Schaffen symbolisch spiegelt, ist seine spezielle
Domäne. Dem Schulfuchs freilich ist diegriechische Mythe, wie
jede andere, nur ein Reich von toten Formeln, dem echten
Künstler aber eine lebende Formensprache, die von jedem
schöpferischen Kopf heute noch erweitert und fortgebildet
werden kanu und wird. Jch erinnere mich, daß Hähnel
eine Geschichte des Eros projektierte, wozu bereits zahl-
reiche Entwürse in Gips, noch mehr aber nur als Jdee
vorhanden waren. Nicht unmöglich ist es, daß seine Mit-
teilungen längst andere bereichert, die ihm in der Aus-
führung inzwischen zuvorgekommen. So sah ich neulich
die Abbildung eines Gemäldes: Venus steht vor einem
Hause und ist von der Mutter schimpflich hinausgewiesen,
während die Töchter drinnen sich härmen. Ein echt
Hähnel'sches Motiv, obschon nach seiner Jdee (in jenem
Cyklus nämlich) die Amoretten, welche von der Mutter
zur Thür hinausgetrieben worden, zum Fenster wieder
hereinflattern sollten.
Ein anderes Motiv zeigt Eros, wie er der Luna,
die neugierig Liebespaare hervorgelockt, vorsichtig Wolken
als Schleier vorzieht, weil Luna auch nicht alles zu sehen
braucht. Ein drittes Motiv gehört dem Künstlerleben an:
Raffael ist erschöpft vor seiner Staffelei eingeschlafen. Eros
erscheint und vollendet inzwischen das Werk des Künstlers.
Hähnels Stellung in der Geschichte der modernen
Kunst ausführlich zu beleuchten, mag einer anderen Feder
vorbehalten bleiben, ich wollte nur den Bienschen mit
einigen Strichen zeichnen. Wie er von allen seinen
Freunden verehrt, geliebt, ja „vergöttert" wird, ist er es
nicht minder von seinen Schülern, deren er eine große
Anzahl herangebildet und welche heut in alle Welt ver-
schlagen sind, die, meisten nach Österreich. Sie alle hängen
noch heut an ihm, wie an ihrem väterlichen Freund.
Rührend und selten ist die selbstlose Art, wie Hähnel das
Talent seiner Schüler anerkennt, ihre Jnteressen fördert
und für ihr Prosperieren auch praktisch zu wirken weiß.

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Ob ihn irgend einer seiner Schüler bisher als Künstler
erreicht vder übertroffen hat, mögen andere entscheiden.
Jch wüßte keinen, wenn man auch zugeben muß, daß sein
Lieblingsschüler und Jntimus, Johanues Schilling, als
einziger gelten kann, der die Hähnel'sche ideale Richtung in
romantischem und malerischem Sinue wirksam uud in groß-
artiger Weise weiter entwickelt hat.
Leider ist der Raum zu kurz, sonst wäre noch von
einer Fülle von Anekdoten uud Schnurren zu berichten,
dic nur Hähnel angehöreu, obschon viele derselben lüngst in
die Fliegenden Blütter übergegangen sind. Freunden un-
vergeßlich sind die Historieu vou der Rache der Süngerin,
vom Wiedererkennen des Badewürters, vom Zanberstab
und Liebesgürtel, von Thorwaldsen in Olevano, vom
lebenden Toten in Pirua, von der Entstehung des Tichters*)
und vor allem die herrlichen Streiche, die er seiner Zeit
Freund Emil Kirchner in München gespiclt hat. — Wenn
ich sagte, daß Hühnel ebenso groß als Poet geworden
würe, wie er es als Künstler ist, so meine ich damit seinen
Reichtum an Erfindungen vou Motiven, sowohl für Lust-
spiele, als Dramen und Erzählungen. Kein Abend ver-
ging, daß er nicht zahlreiche Jdeen und Einfälle für
Epigramme vom Stapel ließ, und ich bin zuweilen so
glücklich gewesen, im Moment die Form zu finden, die
seinem Gedanken, wenn auch nur annähernd, entsprach.
Beifolgend einige Proben, die ihre Entstehung der unmittel-
baren Jnspiration seitens Meister Hähnels verdanken:
Redet mir nicht von Dvgmen, die unerklärter Natur sind.
Einer Wahrheit, ich weiß, stimmet Jhr Sämtlichen bei :
Jegliche Schöpfung der Kunst ist unbesleckter Empfängnis,
Wenn sie im göttlichen Hauch gleichsam im Eden erstand.
Itber die Wissenschaften allein, sie tasten und wiihlen,
Drum ist, was Wissen erlangt, alles befleckler Natur.
Jubel stürmt um der Bühne Stern:
An den Wagen, sieh,
Spannen sich Scharen in Wogen;
Aber die Sängerin sprach: meine Herrn!
Laßt mir die Pferde; ich danke, noch nie
Ward ich von Eseln gezogen.
Trau' nicht dem Panther, tran' nicht dem Tiger
Jn Bacchus Gefojge. Glaub' dem Berater:
Alle sind Katzen — und iverden sie Sieger,
Sind's große Kater!
Wen die Götter geliebt, den lassen sie jugendlich sterben,
Sangen die Alten; allein höret noch bessere Mar',:
Welchen die Göttinnen liebten, der lebt glnckselig Aonen,
Wenn nicht im irdischen Licht, aber gewiß im Gesang.

*) Dieses letztere Motiv ist so phantastisch, so echt im Geist
der Ovid'schen Metamorphosen erfunden, daß ich nüch nicht ent-
halten kann, es zu erwähnen. Die Nachligall war ursprünglich
ein häßliches, verwahrlostes, heißhungriges Geschöpf, das Aschen-
brödel unter den Vögeln. Als solches slog sie einst dem Adler
des Zeus nach, als er zum Kaukasus stürmte, um, wie alltäglich,
den Prometheus zu martern. Auch die Nachtigall frnß von der
Leber des Halbgotts. Und von dieser ungewohnten Kost wandelte
sich ihre Stimme zum Gesang, sie selbst erwucbs zu so wunder-
barer Schönheit empor, daß der Adler des Zeus von Leidenschaft
entflammt ward. Ähnlich dem Göttervater, der sich mit mancher
Sterblichen einließ, warb er um die Nachtigall. Aus dem Ei der
letzteren aber schlüpfte ein sonderbarer lustiger Vogel, nämlich der
Poet, der von der Nachtigall den himmlischen Gesang. vom Adler
die Schwungkraft und zugleich den prometheischen Iinn, Menschen
zu bilden, ererbte. Tie Musen freilich fingen die Nachiigall ein
und fiitterten sie zur Strafe mil Mehlwiirmern, bis sie wieder
ein dürftiger unscheinbarer Vogel wurde; nur der herrliche Gesang
ist ihr geblieben.
 
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