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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Septemberheft
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Donath, Adolph: Die Eröffnung des Berliner Schloßmuseum
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Schadow, Hans: Erinnerungen an Ferdinand Hodler
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0023

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als eine einzelne Figur es vermag. Besser kann die be-
hagliche Sinnlichkeit durch eine einzige Figur garnicht
dargestellt werden, als durch die Eva auf dem Bilde
„Der Sündenfall“ von Palma in der Braunschweiger
Galerie. Aber Sie werden mir zugeben, daß ich das-
selbe Gefühl viel stärker zum Ausdruck bringe auf meinen
Bildern, wo ich vier weibliche Figuren zur rechten und
vier zur linken auf den begehrten Gegensfand blicken
iasse.“ Ich mußte ihm beistimmen und wies darauf hin,
daß auch die alt-hebräische reimlose Poesie aus dem
Prinzip der mehrfachen Wiederholung — desselben Ge-
dankens — ihre Grandiosität bekäme, deren mächtigem
Eindruck sich niemand entziehen könne.

Dann kam er gelegentlich mehrmals darauf zurück,
welche Vorteile es böte, daß er seine Bilder nicht durch-
führe, sondern sich mit den einfachsten Andeutungen
begnüge. „Ich kenne Ihre Bilder recht gut. Sie malen
sechzig Nüancen, die ich überhaupt nicht sehe. Sie
stimmen Ihre Arbeit stets zu einer einheitlichen farbigen
Gesamtwirkung zusammen, was mich alles nicht kümmert,
ebensowenig wie die richtige Perspektive. Ich weiß
wohl, daß auf meinem Marignano-Bilde die vorderste
Figur viel zu klein ist. Das hat bei meiner einfachen
Art niemanden gestört. Hätte ich alles weiter durch-
gearbeitet, würde mir das alles mächtig aufgeputscht
worden sein. Weil ich mich um all sowas nicht zu
kümmern brauche, kommt das, was mich interessiert, so
unverfälscht zum Ausdruck.“

Über die Persönlichkeit Hodlers ist wenig zu sagen.
Er war von großer Natur mit einem echt germanischen
Gesicht, das von einem großen rötlich blonden, nicht
sehr gepflegten Vollbart umrahmt war. Auch in der
Kleidung war nichts Auffallendes, was den Künstler
äußerlich ahnen ließ. Durch seine vielen Reisen hatte
er sich die Uneleganz abgewöhnt, blieb aber von Eleganz
noch weit entfernt. Es war alles auf Bequemlichkeit zu-
geschnitten, besonders die Schuhe, welche ziemlich derb
waren. Er war ein passionierter Fußgänger, hielt sich
aber von halsbrecherischen Bergkraxeleien fern. Da er
die Führung bei unserer gemeinsamen Bummelei über-
nahm, kehrten wir nur in typisch schweizer Gasthäusern
ein, die er, als Einheimischer, alle kannte und wo wir
gut verpflegt wurden, da er die Spezialgerichte bestellte,
die auch mir viel mehr zusagten als die ewig gleiche
internationale Hotelküche. Die Hotels wären nur für die
guten Fremden; die Schwyzer wären wohl ihre Eigen-
tümer, aber einkehren täten sie nur in den altmodischen

patriarchalischen Gasthäusern, wo alles auf schwyzer
Art zuginge. Im Essen war er mäßig und den
heimischen Landwein trank er sogar meist mit Wasser.
Natürlich rauchte er die schweizer National-Zigarre. die
Stumpen, wußte aber meine frischen ägyptischen Zigaretten
sehr wohl zu würdigen.

Es schmeichelte seinem Nationalgefühl, daß ich
schon über 40 Mal in der Schweiz gewesen war. Natür-
lich mußte ich mit ihm die Kornhaus-Brücke mit ihrem
grandiosen Bogen über das Flußtal der Aar bewundern,
den Stolz der schweizer Ingenieurkunst. Amüsant war
unsere Besichtigung des Bärengrabens. Bekanntlich hält
der Kanton Bern seit 4. Jahrhunderten eine Bärenfamilie
auf Staatskosten, weil der Bär das Wappentier des
Kantons ist. Die drollig plumpen Bewegungen brachten
Hodler zum Entzücken. Ohne es zu merken, ahmte er
diese Bewegungen nach, was mich so sehr zum Lachen
reizte, daß er dadurch erst merkte, wie weit er in seiner
Bärenbegeisterung gegangen war. „Sehen Sie, das sind
meine Lieblingstiere, da ist alles mächtig, groß und un-
geschlacht, da ist nichts Kleinliches. Diese Bären sind
wie für mich geschaffen, bei ihnen ist alles Hodler-
bewegung, alles Hodlerlinie.“ Da brach endlich das
Künstlertemperament bei ihm durch, das er sonst nicht
zu zeigen liebte. Alles in allem war er von einer an-
genehmen Schlichtheit, verbunden mit einem Sinn fürs
Praktische im Leben, den ja alle Schweizer haben. Den
Idealismus hob er sich für die Kunst auf.

Als wir zu seiner Besitzung kamen, wollte er mir
zuerst seinen Arbeitsraum nicht zeigen, es lohne sich nicht.
Das stimmte eigentlich auch, es war, mit Ausnahme von
ein paar Entwürfen, fast nichts darin. Was fertig geworden,
war verkauft oder auf Ausstellungen, denn eine jede wollte
Hodler’sche Werke haben. Nachdem seine schöne Frau uns
eine reichliche „Jause“ bereitet hatte, trennten wir uns mit
dem Versprechen auf ein baldiges Wiedersehn. Das hat
nicht mehr stattgefunden.

Von allen Künstlern, die ich in den verschiedenen
Ländern Europas kennen gelernt habe, war Hodler da-
mals wohl der glücklichste. Das Suchen nach einem
eigenen Stil hatte er überwunden; er hatte seine
eigene Ausdrucksweise gefunden, die freilich zuerst nicht
verstanden worden war. Das war nun vorbei. Er war
auf den Schild gehoben und konnte schaffen, wie es ihm
beliebte, der Anerkennung war er sicher, und materielle
Sorgen kannte er nicht mehr.
 
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