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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Juniheft
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Straus-Negbaur, Tony: Wie ich Japan entdeckte und sammelte
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0550

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„Der Kunstwanderer“ freut sich, Frau Tony Straus-
Negbaur in Berlin-Grunewald die Anregung gegeben
zu haben, über ihr Sammeln von japanischen Farbholz-
schnitten zu schreiben. Tony Straus-Negbaur ist iibri-
gens nicht bloß Japankennerin, sondern auch eine fein •
fühlige Sammlerin alter Bilder, Handzeichnungen, Holz-
skulpturen und alten Kunstgewerbes. Die im nachste-
henden Aufsatz veröffentlichten Abbildungen sind
Reproduktionen nacli erstklassigen Blättern ihrer über-
all anerkannten Japan-Sammlung.

I-H ines Tages kam ich nach Hause und hatte zehn ja-

panische Farbenholzschnitte gekauft. Natürlich
ganz heimlich. Ja, daß ich kaum selber wußte wie das
zugegangen. Hs war Liebe auf den ersten Blick ge-
wesen. Dies geschah kurz vor Weihnachten.

Ich dachte mir aber, wenn ich meine Schätze be-
trachtete: „Davon muß es allerdings noch was Feineres
geben!“ Und ich verschenkte alle diese Blätter als
„Christkindl“. Freunde und Bekannte, darunter Prof.
Albrecht, damals Päthologe am Senckenbergianum in
Frankfurt a. M„ der nicht nur bedeutender Wissen-
schaftler, Kunstfreund und Dichter war (s. Siiddeutsche
Monatshefte), freuten sich drob, lobten und dankten.
„Holla!“ dachte ich, „die Blätter waren also nicht ganz
übel!“ —

Und — ich ging abermals zu dem Kunsthändler und
fand dort viele, viel schönere Drucke als die ersten:
Kiyonoga, Eishi, Utamaro. Ich trug meine Beute hoch-
beglückt heim, behielt sie auch diesmal für mich. Aber,
o weh, ich hatte nicht damit gerechnet, daß Frank-
furt a. M. eine Stadt von einigen hunderttausend Ein-
wohnern ist, wo Gerüchte Himmelsfittige bekommen.
Und wo ich viele gute, wohlmeinende Freunde besaß.
Eine solche kostspielige „Liebelei“ war ja auch eine
strafbare Sache! Es hagelte Vorwiirfe und Ermahnun-
gen; ja sogar anonyme Briefe gelangten an die Adresse
meiner Mutter. Da stutzte denn auch die nächste Fami-
lie und begann um das verlorene Schaf zu trauern.
Selbst angesteckt von dieser Angst und Sorge, schlief
ich mancli eine Nacht nicht und versprach rnir selber,
von dieser großen Sünde zu lassen. Aber — der Weg
zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert! — Sah
ich dann wieder so einen reizvollen Farbendruck mit
seiner feinen Linienführung und kaligraphisch interes-
santen Signatur, danu waren alle auf Besserung mei-
nes leichtsinnigen Charakters gerichteten Willensäuße-
rungen vergessen und verflogen.

Einen zarten, duftigen Harunobu sehen und haben
m ü s s e n , war selbstverständlich! War es aber erst
ein handgemalter primitiver Meister, — dann gab es
tausend Entschuldigungen, die mein schwaches Samm-
ler-Ich in diesem Japantaumel erfand. In ganz kurzer
Zeit hatte ich deun auch so an 60 Blatt „mit heißem Be-
mühen“ erworben. Schon erschienen ab und zu ein-

zelne primitive Holzschnittmeister darunter. Nun hieß
es, für die notwendige Literatur sorgen. Von Seidlitz,
Kurth, Binjon, Anderson, Strange, Perzynski, desglei-
chen die großen Kataloge der Franzosen Gillot, Bar-
bouteau — mußten herbeigeschafft werden. Desgl. der
wundervolle Hayashi Katalog. Und „Der japanische
Farbenholzschnitt“ von Seidlitz wirkte wie eine Offen-
barung auf meine japandurstige Seele. Das Buch wurde
meine Bibel, aus der ich alle Weisheit schöpfte. Bald
konnte ich die Meister an ihren l'ypen und Signaturen
von einander unterscheiden und gewann sie lieber und
lieber.

Da wollte ein glücklicher Zufall, daß Herr von
Seidlitz selbst nach Frankfurt kam und mich besuchte.
Das große Wunder aber war, daß ihm meine beschei-
dene kleine Sammlung gefiel. Ich hatte versucht, gleich
von Anfang an nur nach „Qualität“ zu sammeln. So
fand ich meinen Lohn in seiner Anerkennung. Staunend
hörte ich seine Bitte zu seiner Ausstellung in Dresden,
von Mai—Oktober 1908 einige ineiner Farbendrucke
herzuleihen. „Vouz avez le flaire“, ineinte er ein-
wendend, als ich ängstlich fragte, ob denn die Blätter
wirklich gut genug seien.

So kamen meine Schätze nach Dresden. Mein
Moronobu hing stolz über einem Lackschrank S. M. des
Königs von Sachsen, was damals wohl als eine große
Ehre galt. Ich selbst begab mich ins Lahmann Sanato-
rium „zur Kur“, wiewohl mir gesundheitlich nichts
fehlte. Viele der erholungsbediirftigen Patienten der
Anstalt, die teils zur „Abmagerungskur“ sich im Sana-
torium aufhielten, mußten nun an Japan glauben lernen.
lch schleppte sie init nach Dresden und zur Krönung
der „Ausreißerei" endigten unsere Kunstbeschauungen
meist in einer berühmten Konditorei. Ein hoher unga-
rischer Geistlicher, Magnat und Parlamentarier, mein
Tisch-vis-ä-vis, trug seine sicherlich drei Zentner wie-
gende eminente Persönlichkeit auch nach Elbflorenz
zu den Ukiyo-ye Meistern.

So verheerend wirkte schon damals meine fana-
tische Liebe zu Japan auf fernstehende Laien; wie denn
später, als ich in Amerika weilte, die meisten, mit denen
ich in Berührung kam, „allerhöchstselbst“ zu sammeln
anfingen.

Meine ersten Japan-Streifzüge führten mich damals
in das Dresdner Kupferstichkabinet, wobei Herr Prof.
Singer mein freundlicher Wegweiser wurde.

In angenehmer Erinnerung aus der Zeit ist mir eine
Einladung in das schöne Haus des Herrn von Seidlitz
geblieben. In dem großen Speisesaal (mit dem Blick
auf den C.arten und die großen alten Sandsteinfiguren),
in dem wir den Tee nahmen, schauten zwar keine Ja-
panholzschnittineister, sondern viele schöne Gemälde
von Uhde, Gabriel Max, Trübner und anderen zeitge-

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