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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Novemberheft
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Singer, Hans Wolfgang: Die Klinger-Gedächtnisausstellung in Bautzen
DOI Artikel:
Donath, Adolph: Ein unbekannter Leibl
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0135

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farbenfreudige, in der intimen Bekanntschaft sowohl wie
in der echten Begeisterung wurzelnde Worte, wußte er
den verstorbenen Meister zu feiern, der, wie auch er es
aussprach, die kläglichen Versuche einiger der „Jungen

Unentwegten" ihn zu entthronen standhalten und als
Heroengestalt dastehen wird, Jahrhunderte lang nachdem
man von diesen Herren Meier oder wie sie sonst heißen
mögen gar nicht mehr wissen wird, daß sie gelebt haben.

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Carl Nicolai in Berlin ist ein besonderer Fund ge-
glückt: er hat aus Privatbesitz einen kleinen Leibl
erworben, der bisher unbekannt war und der sich, meiner
Ansicht nach, den stärksten Werken des Meisters aus
dem Anfang der sieb-
ziger Jahre würdig an-
reiht. Emil Waldmann
hat das Original gepriift:
er erklärt das Bild für
eine eigenhändige Arbeit
Leibls, die in der ersten
Hälfte der siebziger
Jahre entstanden sein
muß. Waldmann wird
es auch in der 2. Auf-
lage seines großen Leibl-
Werkes publizieren. „Der
Kunstwanderer“ freut
sich, das kostbare Bild
schon heute veröffent-
lichen zu können.

Dieser neuentdeckte
Leibl ist auf Holz ge-
malt, ist 9x13 cm groß
und mit dem charak-
teristischen L signiert.

Es ist ein Mädchen-
porträt. Im ersten Augen-
blick denkt man zwar
an den „schlafenden
Savoyardenknaben “ in
Petersburg, aber dann
fesselt uns doch so-
fort das Mädchenhafte
des Köpfchens, seine
keusche Insichgekehrt-
heit. Hier wirkt nicht
bloß die Leiblsche
„Treue des Sehens“,
sondern die geradezu Rembrandtsche Vergeistigung des
Modells.

Der Hintergrund ist grau und die „fließenaen Schatten“
der grauen Töne mengen sich auch mit dem Schwarz

der Bluse, die das Mädchen trägt. Eine leichte helle
Spitze, die den Hals förmlich umrahmt, unterbricht die
Dunkelheit des Stoffes, um den Kopf noch plastischer
hervortreten zu lassen. Die Augen des zarten Geschöpfes

sind gesenkt, so wie
Leibl sie liebte und
so wie er sie oft ge-
malt hat, etwa in den
„Strickenden Mädchen“
in Dresden oder im
„Sparpfennig“ von 1877,
der bei H. Toelle in
Barmen hängt. Eine
Locke fällt ungezwungen
in die Stirne, das
Haar ringelt sich sanft
um das linke Ohr.
Der Strich um Nase
und Augen gleicht ge-
nau dem des Selbst-
porträts von 1871, das
wir aus dem Wallraf
Richartz - Museum in
Köln kennen. Auch das
Bildnis Sperls von 1872
und schließlich das
Porträt Trübners aus
dem gleichen Jahre
zeigen diesen charak-
teristischen Leiblschen
Zug.

Ja, dieses bisher un-
bekannte Bildnis zählt
zu des Meisters stärk-
sten Werken aus dem
Anfang der siebziger
Jahre. Seine Beseelt-
heit ist wunderbar. Man
hat die Empfindung,
als habe der Maler blitzschnell den Augenblick
genutzt, das Innenleben seines zarten Modells zu
fassen und es — ebenso blitzschnell — malerisch zu
gestalten.

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