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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Aprilheft
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Schweinfurth, Philipp: Kunst und Kunstsammeln in Rußland: die wiederauflebende russische Kunstforschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0405

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Der Dozent für Kunstgeschichte an der Universität in
Riga, Dr. Philipp Schweinfurth, gibt im folgenden eine
Darstellung des Kunst-, Bücher-, und Sammelwesens in
Rußland, die bisher unbekanntes Material enthält.

■ tn Jahre 1915 wurde gelegentlich des großen Mos-
A kauer Deutschenpogroms die Verlagsanstalt
J. K n e b e 1 demoliert, die ihre Entstehung in Moskau
der Rührigkeit des Deutsch-Österreichers Joseph
Knebel verdankte. Eine durch die Kriegsagitation ihrer
Sinne beraubte Volksmenge, in der die gerade beim
Russen besonders leicht entflammbaren Vernichtungs-
instinkte entfacht worden waren, drang in die Räurne
des Verlagshauses ein, zerschlug hier hunderte von
kostbaren Klischees, zerriß und zerstampfte tausende
von z. T. mit großer Mühe erlangten Photos und über-
haupt Materialien aller Art, die vom Knebel’schen Ver-
lag für die große russische Kunstgeschichte von G r a -
bar sowie für eine Reihe wertvoller Einzelmonogra-
phien zur russischen Kunst angeschafft waren. Der
jungen russischen Kunstwissenschaft erwuchs aus
diesem Ereignis ein Schaden, der sobald nicht gutzu-
machen war, zumal durch die Ereignisse der darauf fol-
genden Zeit die russische kunstgeschichtliche For-
sclumg wie alle Wissenschaft in Rußland überhaupt,
an den Rand des Abgrundes getrieben werden sollte.

Gerade zehn Jahre vor jenem Moskauer Pogrom
war, als eine der wertvollsten Errungenschaften der
russischen Revolution von 1905, die Aufhebung einer
Reihe willkürlicher und sinnloser Presse- und Zensur-
gesetze in Rußland zustande gekommen, als deren un-

mittelbare Folge damals ein ganz außerordentlicher
Aufschwung des gesamten russischen Buchgewerbes
eintrat. Noch zu Begiim des jetzigen Jahrhunderts ge-
hörten die gangbarsten russischen Bücher zu den am
allerschlechtesten gedruckten in Europa, die russischen
Luxusausgaben zu den allergeschmacklosesten ihrer
Art. Als im Jahre 1905 die Beseitigung einer elenden
Bevormundung durch ignorante Beamte durchgesetzt
werden konnte, als der Zusatz „erlaubt von der Zcnsur"
von den Titelseiten verschwunden war, trat über Nacht
eine erstaunliche Wandlung im russischen Bücherwesen
ein. Nicht nur gutes Papier und vollendete Reproduk-
tionsverfahren waren plötzlich zur Verfüguug — wie
von einem Zau.berstabe berührt, verwandelte sich jetzt
die ganze Ausstattung, in Buchformat, Satzbild, Type.
im allerbesten und dabei ganz nationalen kunstgewerb-
lichen Sinne. Wenn man heute jene russischen Bücher
aus dem letzten Jahrzehnt vor dem Kriege und auch das
während der ersten Kriegsjahre erschienene wertvolle
Material betrachtet, wird man in bedeutungsvoller
Weise gewahr, wie viel Wille zum Guten in den schein-
bar so wirren Energien des großen russischen Volkes
verborgen liegt, bereit, jederzeit unter günstigen Ver-
hältnisssen hervorzutreten.

Die Entwickelung der r u s s i s c h e n K u n s t -
w i s s e n s c h a f t hängt in enger Weise mit den ge-
schilderten Vorzügen im russischen Bücherwesen zu-
sammen, ja sie ist mit ihnen fast übereinstimmend von-
statten gegangen. Die neuen Reproduktionsverfahren
konnten in Rußland erst zu arbeiteu beginnen, als man

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