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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Novemberheft
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Plessner, Jacob: Kunstschutz und Staatsanwalt: eine zeitgemäße Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0158

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KunfffebuH und Staatsanu?att

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7aeob pleffnet?

Die nachstehenden Ausführungen des bekannten
Berliner Bildhauers sind von aktuellem Interesse.
Plessner hat übrigens in der jüngsten Mitglieder-
versammlung des W irtschaftiichen V erbandes
bildender Künstler in Berlin (20. November) eine
Protestkundgebung an den Reichsjustiz-
minister vorgeschlagen, worin gefordert wird, daß
die Staatsanwahschaft pflichtgemäß einschreite gegen
die Unmoral des Diebstahls am geistigen Eigentum,
damit diesem unmöglichen rechts- und kulturwidrigen
Zustand schleunigst ein Ende bereitet werde. Diese
Protestkundgebung Bildhauer Plessners wurde ein-
stimmig angenommen.

Deutschland, das Land der Dichter und Denker, ist
bekanntlich ein KulturstaM. Es schätzt und schützt die
geistige Arbeit und das geistige Eigentum. Es hat er-
freulicherweise sogar durch das Kunstschutzgesetz eine
Demarkationslinie um dieses Gebiet des geistigen Eigen-
tums gezogen, deren Überschreiten bei Strafe verboten
ist. — Jede dolose Verletzung des Urheberrechts ist eine
strafbare Handlung und wird, pardon wurde bisher auf
entsprechenden Antraghin von Staats wegen geahndet. Diese
schönen und eines Kulturstaates würdigen Zeiten sind
leider seit dem 1. Aprif dieses Jahres für die Künstler
dahin. An diesem Tage nämlich erschien ein Gesetz
„zur Entlastung der Gerichte“, welches besagt, daß fortan
Urheberrechtsverletzungen, also Diebstähle am geistigen
Eigentum, nicht mehr strafrechtlich, sondern zivilrechtlich
verfolgt werden sollen. Ein Zwang dazu ist im Gesetze
zwar nicht zum Ausdruck gebracht, es ist vielmehr in das
Belieben der jeweiligen Staatsanwälte gestellt und diese
befinden seitdem — auch in den dolosesten Fällen von
Urheberrechtsverletzung — ganz automatisch ohne An-
sehen des Einzelfalles dahin, daß die Klage „mangels
öffentlichen Interesses“ nicht erhoben und auf den Weg
der Civilklage verwiesen wird.

Dieser kostspielige Weg der Civilklage kann natürlich
nur von sehr wenigen Künstlern beschritten und bestritten
werden, und so werden denn gerade die am schwersten
um ihre Existenz ringenden Künstler der gewissenlosen
Ausschlachtung ihrer eigentlich gesetzlich geschützten
Rechte preisgegeben; je ärmer der Künstler und je groß-
zügiger er um sein geistiges Eigentum betrogen und be-
stohlen wird, desto machtloser ist er. Der Staatsanwalt
sieht mit verschränkten Armen zu „mangels öffentlichen
Interesses“. Und das alles um einer sogenannten „Ent-
lastung der Gerichte“ willen, die in Wirklichkeit mit
allen möglichen und unmöglichen Dingen behelligt werden.
Hier, wo es sich um die uns so bitter nottuende Erhaltung
kultureller Werte, um den gesetzlich garantierten Schutz

der geistigen Arbeit sowie der damit verbundenen erheb-
lichen ideellen und materiellen Schädigungen unserer
Künstler handelt, hier wird durch die falsche Auslegung
eines an sich berechtigten Gesetzes eine Atmosphäre der
Rechtsunsicherheit, der Unmoral und des Raubbaues am
geistigen Eigentum geschaffen, die jeden rechtlich denken-
den, kulturell empfindenden Menschen aufs tiefste em-
pören muß. Um so mehr, wenn er hört, daß alle in
Einzelfällen seitens der Betroffenen sowie der Künstler-
verbände erhobenen Proteste, in denen die Notwendigkeit
und Verpflichtung zum Schutz des geistigen Eigentums
eindringlich dargelegt wurden, bisher vergeblich waren.
Auch die von der Arbeitsgemeinschaft der Künstler,
nämlich dem Schutzverband deutscher Schriftsteller, der
Genossenschaft der Tonsetzer, sowie dem Reichswirt-
schaftsverband bildender Künstler vor Monaten bereits
dem Reichsjustizministerium eingereichte Protestnote blieb
unberücksichtigt. Zwar haben die Künstler im Reichs-
wirtschaftsrat offizielle Vertreter ihrer Interessen, trotzdem
werden sie jetzt durch diesen Amnestie-Erlaß für die
Diebe am geistigen Eigentum rechtlos gemacht und für
vogelfrei erklärt! Es muß schärfster Protest dagegen er-
hoben werden, daß die Front der Künstler durch die
staatlichen Hüter des Rechts von liinten erdolcht wird!

Als bei Liquidierung des unseligen Weltkrieges das
Gerücht sich verbreitete, daß im AusUnde unsere Ur-
heberrechte nicht mehr geschützt seien, erfaßte die Be-
teiligten Schreck und Bestürzung. Nun haben wir die
Bescheerung im eigenen Lande als feindliche Maßnahme
der Behörden! Wahrlich, in herrliche Zeiten sind wir
hineingeschliddert, aus einem Kulturstaate ist ein Land
der unbegrenzten Unmöglichkeiten und der unmögüchsten
Beschränktheiten geworden! Wenn es sich darum handelt,
an Kunstwerken moralische Schäden zu entdecken, dann
wird plötzlich in unliebsamer Weise das öffentliche In-
teresse geweck, und das „Volksempfinden“ gekitzelt.
Auch wenn der Künstler zur Firma, seine Erzeugnisse zu
umsatzsteuerpflichtigen Waren gestempelt werden, ist de~
Staat lebhaft interessiert.

Vielleicht hat der Herr Reichskunstwart, der ja erst
jüngst sich so mannhaft, wenn auch leider erfolglos, für
die Freiheit der Kunst eingesetzt hat, vielleicht hat er die
Güte, sich ebenso energisch gegen die jetzt dekretierte
Vogelfreiheit der Künstler zu wenden, damit der Kunst
kein Schaden geschieht und das Kunstschutzgesetz
nicht zur Farce wird. Videant consules!
 
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