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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Januarheft
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Schröder, Bruno: Ein römisches Mädchenbildnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0237

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7ahrgang 1^22

Herausgeber: Adolph Donulh

1. 7anuarfnefl-

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\\/er ^unstwerke sammelt oder aufstellt, gibt Acht,
** daß keins dem andern die Wirkung stehle; es
muß Raum bleiben zwischen den Statuen; Bildnisse
müssen wie Individuen, wie Persönlichkeiten geachtet
werden; aber bei alier Sorgfalt nimmt eine Sammlung
dem Kunstwerk doch den feinsten Reiz. Ganz anders,
wenn es einzeln den Schreibtisch des Denkers, den
Kamin des festlichen Saals schmückt. Das lebendgroße
Köpfchen, das wir hierneben abbilden, gehört zu solchen
Arbeiten, die für sich betrachtet sein wollen, die sich
unter ihresgleichen verlieren. (Abb. 1.) Zwar steht es
im Hause eines Kunstfreundes, aber Münzen, Madonnen
und griechische Vasen tun ihm nichts zu Leide.

Ein junges Mädchen hat dem Stein seine Züge ge-
liehen, halb erwachsen, noch kindlich mit der runden
Stirn, den abstehenden Ohren, den unfertigen Formen
des ganzen Gesicbts, aber trotz allem nicht ohne Cha-
rakter. Die spitze Nase mit den offenen Nüstern, die
lange Oberlippe über dem schmalen Munde, das feine
Kinn geben ihm ein naiv-listiges Aussehen, zu dem die
groß aufgeschlagenen Kinderaugen einen reizenden, ja
rüh/enden Gegensatz bilden. Sehr stolz muß das Kind
auf die sorgsam angeordnete, am Kopf wie angeklebt
liegende Frisur gewesen sein, mit den melonenartigen
Rillen und dem aufgerollten Zöpfchen im Nacken, eine
Tracht, die schon im 4. Jahrh. v. Chr. beliebt war und
dann in der römischen Kaiserzeit wieder aufkommt. In
diese Zeit gehört das kleine Denkmal; nach der Bildung
der Augen mit den eingetieften Augensternen und dem
sanften Ausdruck ist es noch genauer in das 2. Jahr-
hundert n. Chr. zu datieren. Leider ist nur der Kopf
erhalten; er saß einmal auf einer bekleideten Statue auf,
wie noch die Spur einer Eisenklammer im Nacken verrät.

Gewiß hat kein großer Meister dies Bildnis ge-
schaffen, sondern einer von den vielen, die dem immer
regen Bedürfnis der römischen Gesellschaft nach Bild-
nissen genügten. Aber er war vor manchem seines-
gleichen ausgezeichnet durch das feinsinnige Eingehen
auf die Eigenart seines Modells und durch die Fähigkeit,
mit einfachen, ja befangenen Mitteln die gestellte Aufgabe
zu lösen.

Uns hindert nichts, seine Absichten zu verstehen,
da keine der sonst üblichen Verletzungen die Betrachtung
stören. Gerade das feine Näschen, das dem Gesicht
seinen besonderen Charakter gibt, ist erhalten, und fast
unverletzt sind auch die Ohren, die die Wirkung des
Umrisses bestimmen. So gibt dies anspruchslose Werk
einen guten Begriff von der römischen Bildhauerei, die
immer in Gefahr ist, hinter ihrer glänzenden älteren
Schwester, der griechischen Plastik, zurückgesetzt zu
werden und doch auch ihren Platz im Gesamtbilde der
Antike beansprucht.

Die Kunst unter der römischen Weltherrschaft be-
deutet nicht den Verfali der griechischen; sie hat ihr
eigenes Leben redlich durchgekämpft, hat von dem
griechischen Vorbild gelernt, ist aber von ihm auch im
Fortschreiten aufgehalten worden. Doch allen idealistischen
und klassizistischen Reaktionen zum Trotz hat der kraft-
volle Sinn für die Erscheinung sich immer wieder durch-
gesetzt und die künstlerischen Möglichkeiten in einer
typischen Entwicklung durchlaufen, die sich besonders
an den Porträts verfolgen läßt. Die römische Bildniskunst
schließt sich an den hellenistischen Realismus an, in dem
die griechische Plastik am Endpunkt ihrer Entwicklung
und der Natur am nächsten, damit aber auch am fernsten
von ihrer klassischen Größe angelangt war. Aber das

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