7ahrgang 'i£)2z
Herausgeber. TVdOlplTl DOHQtP
2. 7anuarfieft
jHeucßc deutlcbe Kunßbücbet? und Kunftlcbt?{ftffe 1 tet?ei
oon
10. ü.
Gleich nach Beginn des Krieges sprach ein bekannter
englischer Kunsthistoriker, Sir Martin Conway, sein
Bedauern aus, daß die nützlichen deutschen Kunst-
zeitschriften und Publikationen über Kunst jetzt für lange
Zeit nicht fortgesetzt werden könnten. Wie fast alle
Prophezeiungen über den Krieg und seine Wirkungen,
so hat sich auch diese Befürchtung nicht erfüllt. Nicht
ein Aufhören der Kunstpublikationen, sondern eine Über-
schwemmung damit hat der Krieg bei uns zur Folge ge-
habt; und doch — auf die Dauer wird er recht behalten,
mindestens zum Teil! Als über den Schrecken des Kriegs-
ausbruchs und die ersten furchtbaren Kämpfe jedem der
Atem stillstand, stockten auch alle kunstwissenschaftlichen
Unternehmungen; aber als der Krieg sich unerwartet in
die Länge zog, als für Deutschland die größte Gefahr
beseitigt zu sein schien, als manches flüssige Geld nicht
gut untergebracht werden konnte und neue Reichtümer
durch den Krieg aufgehäuft wurden, wirkte das auch auf
die Kunstzeitschriften und die künstlerischen Veröffent-
lichungen, und die ersten Jahre des famosen „Friedens“
haben diese Entwicklung noch weiter gefördert. Statt
einzugehen, haben sich die Zeitschriften stark vermehrt,
und an Publikationen über Kunst ist ein Segen über
Deutschland niedergegangen wie nie zuvor. Zuerst waren
es die verschiedensten Prachtwerke; je teurer sie waren,
desto sicherer konnte der Verleger sein, daß sie womöglich
schon vor der Ausgabe vergriffen waren. Und mit dem
Triumph des Expressionismus und Kubismus kam dann
die Überschwemmung mit Radierungen, Litographien und
anderen sogenannten Kunstblättern, an denen Deutschland
Bode
allein in ein paar jahren rnehr produziert hat als in
Jahrhunderten vorher! Was ist aber für die Kunst-
wissenschaft dabei herausgekommen? was hat sie für die
Zukunft zu erwarten?
Gewiß ist eine Anzahl guter Bücher über Kunst auch
in den letzten Jahren in Deutschland noch erschienen.
Friedlaenders „Von Eyck bis Bruegel“, die Fortsetzung
von A. Goldschmidts „Elfenbeinskulpturen“, H. Zimmer-
manns „Vorkarolingische Miniaturen“, die neuen Bände
der „Klassiker der Kunst“, im „Handbuch der Kunst-
wissenschaft“ Wulffs „Byzantinische Kunst“ und Brinck-
manns „Barockskulptur“, H. Voß’ „Italienische Barock-
malerei“, verschiedene Handbücher von Schmitz, Schmidt,
Heise u. a. m. Aber das sind Arbeiten, die nur in dieser
Zeit ihren Abschluß erhalten, jedoch schon lange vorher
vorbereitet waren. Diese ernsten wissenschaftlichen Werke
stocken bereits, drohen sich zu erschöpfen; neue Auf-
lagen und Neuausgaben, selbst von den ältesten Autoren,
sind das Beste, was uns jetzt geboten wird. Freilich,
die Verlagstätigkeit hat sich keineswegs erschöpft, im
Gegenteil; aber sie hat andere Wege eingeschlagen und
wird von neuen Dirigenten geleitet. Heute entscheidet
nicht der Gelehrte, was er durch Jahre und Jahrzehnte
so weit vorbereitet zu haben glaubt, daß er es zum Ab-
schluß bringen und veröffentlichen kann: Heute entscheidet
der Verleger, höchstens noch mit einem kunsthistorischen
Souffleur zur Seite; e r bestimmt, was geschrieben werden
soll, nachdem er sich seine Kalkulationen gemacht hat,
e r wählt sich die Autoren, die ihm die Bücher zu
schreiben haben. Der Kapitalismus herrscht heute im Ver-
219
Herausgeber. TVdOlplTl DOHQtP
2. 7anuarfieft
jHeucßc deutlcbe Kunßbücbet? und Kunftlcbt?{ftffe 1 tet?ei
oon
10. ü.
Gleich nach Beginn des Krieges sprach ein bekannter
englischer Kunsthistoriker, Sir Martin Conway, sein
Bedauern aus, daß die nützlichen deutschen Kunst-
zeitschriften und Publikationen über Kunst jetzt für lange
Zeit nicht fortgesetzt werden könnten. Wie fast alle
Prophezeiungen über den Krieg und seine Wirkungen,
so hat sich auch diese Befürchtung nicht erfüllt. Nicht
ein Aufhören der Kunstpublikationen, sondern eine Über-
schwemmung damit hat der Krieg bei uns zur Folge ge-
habt; und doch — auf die Dauer wird er recht behalten,
mindestens zum Teil! Als über den Schrecken des Kriegs-
ausbruchs und die ersten furchtbaren Kämpfe jedem der
Atem stillstand, stockten auch alle kunstwissenschaftlichen
Unternehmungen; aber als der Krieg sich unerwartet in
die Länge zog, als für Deutschland die größte Gefahr
beseitigt zu sein schien, als manches flüssige Geld nicht
gut untergebracht werden konnte und neue Reichtümer
durch den Krieg aufgehäuft wurden, wirkte das auch auf
die Kunstzeitschriften und die künstlerischen Veröffent-
lichungen, und die ersten Jahre des famosen „Friedens“
haben diese Entwicklung noch weiter gefördert. Statt
einzugehen, haben sich die Zeitschriften stark vermehrt,
und an Publikationen über Kunst ist ein Segen über
Deutschland niedergegangen wie nie zuvor. Zuerst waren
es die verschiedensten Prachtwerke; je teurer sie waren,
desto sicherer konnte der Verleger sein, daß sie womöglich
schon vor der Ausgabe vergriffen waren. Und mit dem
Triumph des Expressionismus und Kubismus kam dann
die Überschwemmung mit Radierungen, Litographien und
anderen sogenannten Kunstblättern, an denen Deutschland
Bode
allein in ein paar jahren rnehr produziert hat als in
Jahrhunderten vorher! Was ist aber für die Kunst-
wissenschaft dabei herausgekommen? was hat sie für die
Zukunft zu erwarten?
Gewiß ist eine Anzahl guter Bücher über Kunst auch
in den letzten Jahren in Deutschland noch erschienen.
Friedlaenders „Von Eyck bis Bruegel“, die Fortsetzung
von A. Goldschmidts „Elfenbeinskulpturen“, H. Zimmer-
manns „Vorkarolingische Miniaturen“, die neuen Bände
der „Klassiker der Kunst“, im „Handbuch der Kunst-
wissenschaft“ Wulffs „Byzantinische Kunst“ und Brinck-
manns „Barockskulptur“, H. Voß’ „Italienische Barock-
malerei“, verschiedene Handbücher von Schmitz, Schmidt,
Heise u. a. m. Aber das sind Arbeiten, die nur in dieser
Zeit ihren Abschluß erhalten, jedoch schon lange vorher
vorbereitet waren. Diese ernsten wissenschaftlichen Werke
stocken bereits, drohen sich zu erschöpfen; neue Auf-
lagen und Neuausgaben, selbst von den ältesten Autoren,
sind das Beste, was uns jetzt geboten wird. Freilich,
die Verlagstätigkeit hat sich keineswegs erschöpft, im
Gegenteil; aber sie hat andere Wege eingeschlagen und
wird von neuen Dirigenten geleitet. Heute entscheidet
nicht der Gelehrte, was er durch Jahre und Jahrzehnte
so weit vorbereitet zu haben glaubt, daß er es zum Ab-
schluß bringen und veröffentlichen kann: Heute entscheidet
der Verleger, höchstens noch mit einem kunsthistorischen
Souffleur zur Seite; e r bestimmt, was geschrieben werden
soll, nachdem er sich seine Kalkulationen gemacht hat,
e r wählt sich die Autoren, die ihm die Bücher zu
schreiben haben. Der Kapitalismus herrscht heute im Ver-
219