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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Augustheft
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Pazaurek, Gustav Edmund: Ein neues Waffenbuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0644

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Quffao 6.

\\/enn die Franzosen erfahren, wie intensiv sicli die
* * Deutschen mit Waffen beschäftigen, können wir
uns auf weitere „Sanktionen“ oder „Retorsionen“
gefasst machen. Und so sind nun einmal die verdamm-
ten „Boches“! Damit sich ihr Frevel nicht offenbare,
wird ein harmloser Titel gewählt. Niemand soll ahnen,
daß sich unter den „Meistern des Eisenschnittes“, wie
das oben erschienene stattliche Werk heißt, von Anfang
bis zum Ende nicht anderes verbirgt als Waffen, lauter
Waffen. Was werden unsere lieben Gönner und
Freunde an der Seine, die schon bei der Ankündigung
der Münchner „Gewerbe-Schau“ eine „Gewehr-
Beschau“ vermuteten und die Ohren spitzten, wohl
sagen, wenn sie hinter den Schwindel kommen! Und
noch dazu ist der Frevler, im Kriege Frontoffizier,
derzeit Direktor des Armeemuseums in München, dem
die Franzosen ohnehin schon einige der gefährlichen
Kanonenrohre, aber noch nicht alle geraubt haben. —

Doch Scherz bei Seite, zumal das Werk, mit dem
uns Stöcklein überrascht, eine ernste Arbeit ist, für
die wir ihm aufrichtigen Dank schulden. Zeigt er uns
doch, wie wir die vielen Schätze, die bisher fast unbe-
achtet, sozusagen auf der Straße iagen, aufheben
sollen, um des ganzen Reichtums gewahr zu werden,
den wir zum Glück noch besitzen.

In unseren großen öffentlichen Sammlungen wie
auch in zahlreichen Schlössern sind bedeutende Werte
auch an alten Waffen aufgespeichert, deren wissen-
schaftliche Bearbeitung kaum erst angefangen hat. Was
Böheim oder List hauptsächlich im Hinblick auf die
Wiener Sammlungen begonnen haben, wird nun bezüg-
lich Münchens in der erfreulichsten Weise fortgesetzt,
und mit einem Male lernen wir Meisterwerke kennen,
die wir den ersten Hofkünstlern aus der kaiserlichen
Umgebung in Wien oder Prag, womöglich aber den
ersten Mailändischen Meistern zugemutet hätten
und die sich nun als Werke guter Deutscher entpuppen,
die im Solde der kunstsinnigen Kurfürsten von Bayern
standen.

Zum Unterschiede von der Zeitschrift für histori-
sche Waffenfunde, die den kulturgeschichtlichen Ge-
sichtspunkt in erster Reihe betont, hat Stöcklein das
Künstlerische in den Mittelpunkt seiner Betrach-
tungen gestellt und, wie auch der Titel seines Buches
sagt, den Eisensclmitt hauptsächlich behandelt, ohne
deshalb die Arbeit der mitbeteiligten Kräfte, nämlich
der Kupferstecher oder Goldschmiede. der Btichsen-
schäfter, der Büchsenmacher sowie der Klingen- und
Messersclnniede darum zu vernachläßigen. Und doch
lst es überall nicht die Konstruktion der Waffe, die
Stöcklein bei seinen Lesern ja als bekannt voraus-
setzen kann, sondern ihre künstlerische Gestaltung, die

*) Hans Stöcklein: Meister des Eisenschnitts. Esslingen a. N.,
Paul Neft Verlag (Max Schreiber) 1922.

Pasaut?ek

ilm beschäftigt und die den großen Wert des schöneu
Werkes ausmacht. Daß es Kriegs-, Jagd- oder Parade-
waffen sind, ist nicht die Hauptsache, sondern daß es
mit ganz besonderer Liebe und Sorgfalt gearbeitete
kunstgewerbliche Gegenstände sind, darauf kommt es
an. Ohne den Zweckgedanken zu beeinträchtigen, ist
es doch die Freude am Schmuck, welche diese Gegen-
stände für uns auch heute noch, obwohl uns ihre prak-
tische Handhabung nichts mehr angeht, im hohen Grade
interessiert. Alle die Schwerter, Radschloßbüchsen
nebst Radschlüsseln, Pulverflaschen und schließlich
auch Pistolen, die aus den hervorragendsten Sammiun-
gen von Wien, Berlin, Regensburg, Coburg, London,
Petersburg, Paris, Turin, Budapest, New-York und
natürlich vor allem aus München zusammengestellt
werden, sind wahre Prachtwerke ihrer Art, das Beste,
was in der deutschen Renaissancezeit \\'ie im 17. Jahr-
hundert geschaffen worden ist und zwar — und nun
kommt die große Überraschung — durchwegs Münch-
ner Arbeiten vom Ottmar Wetter, Emanuel
und Daniel Sadeler, K a s p a r Spät und ihren
Mitarbeitern, die in erster Reihe für den bayrischen
Hof gefertigt wurden, wie durch zahlreiche archiva-
lische Belege, besonders durch die mitgeteilten Aus-
züge aus den Münchner Hofzahlamtsrechnungen bewie-
sen werden kann. Es handelt sich fast ausschließlich
um das Jahrhundert von 15S2, mit dem die Blüte der
Münchner Eisenschnittkunst beginnt, bis 1687, in wel-
chem der altersschwache Spät endgültig pensioniert
wird. Wir lernen nicht nur die einen eigenartigen
Typ bildenden Waffen mit den gebläuten Figuren und
Ornamenten auf vergoldetem Grund nebst aufgesetzten
vergoldeten Punkten auf den gebläuten Teilen in an-
schaulichem Zusammenhang kennen, sondern erfahren
die interessantesten Beziehungen zu den Kupferstich-
vorlagen namentlich von Etienne D e 1 a u n e, die sich
über Augsburg und Straßburg namentlich durch die
Vermittlung de Brys auch bei uns einbürgerten und
ebenso wie die niederländischen Sticlie dem Kunst-
gewerbe viel stärkere Impulse gaben, als dies von Italien
der Fall war. Gerade weil Stöcklein eine weitgehende
Kenntnis der Objekte mit gründlichem A r c h i v -
s t u d i u m vereinigt, wird hier eine neue Basis geschaf-
fen, die unsere Kenntnisse um ein gewaltiges Stück wei-
ter vorwärts bringt und mit früheren willkürlichen Mär-
chen, die z. B. Griff und Klinge einer Hieb- und Stich-
waffe als unzertrennlich und von gleicher Herkunfr
behandeln wollten, gründlich aufräumt.

Da das Werk durch den Esslinger Verlag Paul Neff
(bis auf die weniger gelungene Farbentafel des Degens
des Kurfürsten Maximilian I.) aucli in vornehmster
Weise ausgestattet ist, haben wir allen Grund, uns über
diesen mustergültigen Beitrag zur Kunst- und Waffen-
geschichte des 16. und 17. Jahrh. herzlich zu freuen.

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