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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

DOI Heft:
2. Septemberheft
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Donath, Adolph: Kunstwanderungen im Lippischen: die Sammlung Hermann Temmler in Detmold
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0052

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Kunstoandemngen im Upptfeben.

Dte Sammtung H<2t?mann Temmtec tn Detmotd.

Wer echte expressive Kunst genießen will, sehe sich die
„Kreuzabnahme“ an den Externsteinen an. Externsteine ?
Man kennt sie aus der Literatur, weiß, daß sie Goethe begeistert
haben und daß er dem von den Mönchen des Paderborner
Abdinghofklosters 1093 bis 1115 aus dem Felsen gehauenen Relief
„Die Kreuzabnahme“ Einfalt und Adel nachrühmt. Wenn man
nun von Detmold aus nach den lippischen Externsteinen fährt —
„Extern“ wahrscheinlich von Egge (Bergrücken) — hat man noch
den Vorzug, das alte Städtchen Horn mit seinen wundervoll er-
haitenen Renaissance-Häusern zu passieren. Und steht man
plötzlich vor dem hohen Felsentor, das die Externsteine bilden
und das direkt nach dem schönen alten Paderborn ins Westfäli-
sche führt, wird angesichts des rechts von dem Tor wuchtig auf-
ragenden friihmittelalterlichen Reliefs „Die Kreuzabnahme“ der
Eindruck des künstlerischen Milieus gewaltig verstärkt.

Diese vielleicht mächtigste frühmittelalterliche deutsche Plastik
mißt 3,15 Meter in der Höhe, 3,60 Meter in der Breite und glie-
dert sich in die eigentliche „Kreuzabnahme“ und in die Darstellung
von „Adam und Eva“, die sich unter der „Kreuzabnahme“ befin-
det. Mit einer Intensität sondergleichen ist hier die Szene
gemeistert, wie Nikodem, der auf einem in Form eines Stuhles
sich emporschwingenden Baumes steht, mit der Rechten um den

\ itrine mit Porzellan Samrnlung Temmler, Detmold

Cranach, die Verführung Sammlung Temmler, Detmold

Querbalken des Kreuzes greift, mit der Linken den Leichnam
Jesu auf die linke Schulter Josephs von Arimathäa gleiten läßt,
und wie Maria das Haupt Jesu mit der rechten Hand erfaßt.
Hinter Nikodemus ragt die Gestalt des segnenden Johannes auf,
während über demKreuz, über JesuundMaria, Gottvatersichtbarwird.
Es ist eine Skulptur von vehementester künstlerischer Bewegung.

Aber im Lippischen begegnen wir nicht bloß öffentlichen
alten Kunstdenkmälern, sondern auch privaten Kunstsammlungen,
die des Besuches wert sind. Es war ein glückliches Zusammen-
treffen, daß ich dort meine Kunstwanderungen gemeinsam mit
Professor Dr. Max Sauerlandt, dem Direktor des Hamburgi-
schen Museums für Kunst und Gewerbe unternehmen konnte und
mit Staatsanwalt 0. Riesebieter aus Oldenburg, dem
Fayence-Kenner. So ergab diese Reise eine Reihe von
interessanten Anregungen.

Unter den Privatsammlungen nun, die wir gesehen haben,
verdient die des Generalkonsuls und Kommerzienrats Hermann
Temmler in Detmold besondere Würdigung. Die Villa Temm-
lers ist vollgefüllt mit Kunstschätzen aller Art, aber sie sind nicht
wahllos in die Räume gestellt, sondern von Hausherr und Haus-
frau so verständnis- und geschmackvoll auf Wände, Möbel und
Vitrinen verteilt, daß jeder Raum behaglich wirkt und auch seine
künstlerische Wärme erhält. Und das merkt man sofort, daß man
es hier mit einem Kunstfreund zu tun hat, der nicht nur bestrebt
ist, sein kleines Museum zu komplettieren, sondern der auch
darauf ausgeht, aus der Uebermenge der Dinge, unter denen auch
Stücke von Rang sind, all das abzustoßen, was nicht den Eindruck
der Qualität machen könnte. Dabei scheint übrigens Kommer-
zienrat Temmler den richtigen „Riecher“ für Qualitäten zu haben.

Es ist schwer, allen Einzelheiten dieser Detmolder Sammlung
gerecht zu werden. Das ist aber auch nicht die Aufgabe unserer
Kunstwanderungen. Unsere Kunstwanderungen erfüllen, glaube
ich, schon ihren Zweck, wenn wir auf Kunstdinge hinweisen, die

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