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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Maiheft
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Ring, Grete: Peter Cornelius und die Strömungen unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0495

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A llmählich kommt es uns zum Bewußtsein, daß
die Jahrhundertausstellung des Jahres 1906 unsere
Vorstellung von der deutschen Malerei des 19. Jahr-
hunderts in einer ganz bestimmten Richtung abgebogen
hat. Es war das klar ausgesprochene Programm der
Schau, das Bild der Jahrhundertkunst, wie es sich in
den offiziellen akademischen Hauptströmungen einseitig
darbot, zu ergänzen und richtigzustellen, indem man
einmal „die Werke all jener Bescheidenen, Vergesse-
nen, die Werke aus der aufrechten Jugendzeit derer, die
später im Kampf um Kunst und Gunst verdarben“ plan-
voll zusammentrug. Die Absicht einer grundsätzlichen
Verschiebung der Akzente konnte schon rein zahlen-
mäßig aus dem für die Schau gewählten Material abge-
lesen werden: den 47 Wasmanns, 43 Spitzwegs,
36 Franz Kriigers, 17 Chodowieckis standen gegenüber
etwa 2 Reinharts, 6 Steinles (darunter 4 Porträts)
5 Philipp Veits (darunter wieder 4 Porträts) und —
4 Cornelius, darunter 1 Porträtpaar und eine Studie.
Die heut schon wieder als Ungerechtigkeit empfundene
„ausgleichende Gerechtigkeit“ der Wahl wird ver-
ständlich, die zielsichere Einseitigkeit bewunderungs-
wert, wenn wir uns erinnern, daß es damals noch zu
kämpfen galt, daß der deutsche Impressionismus,
keineswegs völlig ariviert, zw seiner Legitimierung
nach Ahnen suchte und diese nicht allein in der großen
Kunst der Vergangenheit und Frankreichs, sondern ge-
rade in dem bescheideneren Wirken der eigenen Vor-
fahren zu finden wünschte. Da nun die sichtbare
Übung der Jahrhundertkunst eine deutlich „akade-
rnische“ gewesen war, galt es, den Hauptstrom als eiu
zwar breites doch stetig versiegendes und verseichen-
des Gewässer hinzustellen, neben dem und völlig un-
abhängig von dem die wahrhaft lebendigen Kräfte aus
einer Anzahl kleiner impressionistischer Seitenquellen
emporgesprudelt seien. Was benötigt wurde, war da-
nach eine Reihe neuer, vom Odium des Klassizismus
wie des Nazarenertums gleich unbelasteter Namen, so-
wie von den nicht allzu schroff auf diese Richtungen
festgelegten Vertretern eine Anzahl entlastender Ne-
benwmrke mit Bevorzugung des Porträts und der
Skizze. Mit deutlicher Spitze mußte sich eine solche
Auswahl gegen den Mann richten, der mit Goethe und

*) Zu: Alfred Kuhn, Peter Cornelius und die geistigen Strö-
mungen seiner Zeit, Berlin, Dietrich Reimer 1921.

Fichte eine der Haupttendenzen des Zeitalters bedeu-
tet hat: Peter Cornelius. Er, der Vertreter einer „in eine
fremde Kulturwelt gekleideten blutlosen Gedanken-
kunst“, einer „Kunst zweiter Hand, mit unzureichenden
Mitteln ins Werk gesetzt“, der zudem „seinem schäd-
iichen akademischen Finfluß auf die Jugend ausübte“,
war der geborene Erzfeind alles Impressionismus uud
Vorimpressionismus, alles malerischen Sehens und
Gestaltens. Wenn es noch möglich war, dein einen oder
anderen seiner Schüler und Weggenossen eine bedingte
Anerkennung zu retten, mußte der Meister selbst restlos
geopfert werden. Freilich fehlte es auch bei Cornelius
keineswegs an anmutigen, malerisch reizvollen Jugend-
und Nebenarbeiten, an treuen Naturstudien und lebendig
unmittelbaren Fntwürfen; auch aus seiner Produktion
hätte sich unschwer ein Werk nach den Forderungen
der 20. Jahrhundertwende herausdestillieren lassen, das
gewiß vicle der neuen „Entdeckungefi“ hinter sich ge-
lassen ln tte. Wenn jedoch die Abirrungen etwa der
jungen Kamburger in die Gebiete des Andach.ts- und
Historienbildes, wenn die glatten Spätwerke rnanches
gerühmten Vorimpressionisten belanglos genug wareu,
sich ohne Zwang übersehen zu lassen, stand hinter den
vergleichsweise harmlosen Gelegenheitsarbeiten des
Cornelius ein ganzes Lebenswerk, so groß, so bedeut-
sam und eindeutig in seinem Gesamtwollen, daß keine
Macht der „Richtung“ es hätte totschweigen können.

Unsere Zeit, die Cornelius nicht mit dem überkriti-
schen Blick der nächstfolgenden, sondern schon mit
dem historischen der zweitnächsten Generation ansieht,
bedarf nicht inehr der Auswahl, um den Meister gerecht
zu werten. Gerade die geschmähten Riesenkartons, die
großgedachten und -angelegten Kompositionen sind der
Kunst von heut als Ahnenreihe willkommen. Und eine
Persönlichkeit von Wuchs des Coruelius gibt der per-
sönlichkeitsarmen Zeit erwünschten Maßstab. So
kommt Kuhns Corneliusbuch eben zu rechter Zeit, ein
Buch, das sich bei gediegener Quellenforschung und
Streben nach Vollständigkeit wohl lesen läßt, indem die
Spuren gelehrten Staubes sorgsam daraus getilgt sind,
und das sich mit Glück bemüht, über die bloße Lebens-
und Bilderbeschreibung hinaus ein Bild der geistigen
un.d künstlerischen Kräfte der Zeit nach dem Vorbild
eines Karl Justi zu gestalten.

Peter Cornelius hat in der Tat alle geistigen Strö-
mungen der Epoche an sich selbst erlebt. Aus sinnen-

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