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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Aprilheft
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Pieper, Kurt: Diderot als Kunstkritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0411

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Dtdeeot als Kun{tkcttikeü

oon

Kut’t Piepet?

Wenn man heute die ziemlich umfangreichen kunst-
historischen Schriften Diderots aufschlägt, wird
man erstaunt sein über die wunderbare Lebendigkeit
ihres Inhaltes und den bestechenden, espritvollen Gianz
der Darstellung. Über diesen Schriften, die in theore-
tischer Beziehung und an Gründlichkeit der Behandlung
weit hinter den neben ihnen schwerblütig anmutenden
Auseinandersetzungen Lessings zurückstehen, liegt etwas
von dem hellen und glitzernd zerflatternden Reiz zartester
Rokokomalerei: Diderot kritisiert, wie Guardi oder
Canaletto in der Sonne schimmerdes Wasser malen.

Die Anregung für Diderot, sich überhaupt mit der
bildenden Kunst seiner Zeit zu beschäftigen, ging von
seinem Freunde Grimm aus, der für die erlauchten Leser
seiner Pariser Korrespondenz einen Berichterstatter über
die bildenden Künste brauchte. Grirnm, der seinen
Freunden gegenüber immer einigermaßen seigneurial —
„geheimrätlich“ — und zuweilen als „tyran le blanc“
auftrat (er liebte es, sich stark zu schminken), mußte
auf Diderot zunächst einen ziemlichen Druck ausüben,
bis dieser die gewünschten Kritiken verfaßte. Aber je
eingehender sich der Philosoph mit dem neuen Gegen-
stande befaßte, um so lebhafter wurde sein Interesse.
Es entstanden auf diese Weise die „Salons“ - Berichte
über die periodischen Kunstausstellungen in Paris
die sich über die Jahre 1759 —81 erstrecken, sowie einige
besondere Aufsätze, von denen der „Essai sur la pein-
ture, pour faire suite au Salon de 1765“ Goethes leb-
haftestes Interesse erweckte. Ferner sind hier zu nennen
die „Pensees d£tachees sur la peinture etc. (1776), ein
Aufsatz über ein englisches Werk über die Malerei von
Webb und der Briefwechsel mit dem Bildhauer Falconet
über das Wesen des Nachruhms.

Der formale Reiz der Kritiken Diderots — vornehm-
lich der „Salons“ — gründet sich darauf, daß Diderot
nicht von den Erscheinungen des kiinstlerischen Lebens
gewissermaßen zurücktritt, um ihr Wesen, ihre Grund-
lagen und Theorie zu betrachten, wie etwa Lessing,
sondern daß er ganz in der sinnlichen Gegenwart seiner
Anschauung verbleibt: er gibt Beschreibungen der ein-
zelnen Werke, die von höchster Anschaulichkeit sind,
und streut in diese kritische Anmerkungen ein. Er
plaudert vom einzelnen Bild, gibt aber eigentlich nie ein
kritisches Gesamtresume einer Ausstellung. Durch die
Liebenswürdigkeit seines Wesens, seine hohe geistige
Stellung, die Fülle seiner gesellschaftlichen Beziehungen
und durch die spezifische Eigenart seines Geistes und
Temperamentes erhalten seine Schilderungen eine un-
übersehbare Mannigfaltigkeit.

Den Höhepunkt formaler Eleganz und auch inhalt-
lichen Reichtums bildet der Salon von 1767, der weit
über den Rahmen einer Salonkritik hinausgeht. In der
Beschreibung seines eigenen Porträts von van Loo z. B.

entfaltet sich eine Fülle des Witzes, die dem „reich-
gedeckten Tische“ des Geistes in Rameaus Neffen nicht
nachsteht. Hier zeigt sich wohl am reinsten Diderots
zwar sprunghaftes, aber männlich - klares, unsentimen-
tales Denken.

Die späteren Salons von 1771, 1775, 1781 (der von
1775 ist in Form eines Dialoges gehalten) stehen den
früheren an Frische nach.

Für den Inhalt der Salons ist es in erster Linie
charakteristisch, daß Diderot zuerst immer eine sehr ein-
gehende Beschreibung des einzelnen Bildes gibt, zu der
ihn ein ganz ausnahmsweise gutes Gedächtnis für
Raumdarstellungen befähigte, und an diese Beschrei-
bungen seine kritischen Bemerkungen anknüpft. Diesen
Bildbeschreibungen, die mitunter (z. B. bei Greuze)
höchst umfangreich werden, haben zuweilen einen litera-
risch-sentimentalen Einschlag oder tragen sogar einen
beinahe novellistischen Charakter. Auch kommt es vor,
daß Diderot einem mißglückten Bilde einen besseren
Entwurf in imaginärer Beschreibung entgegenzusetzen
sucht. Einmal sogar gibt er keine Beschreibung der
Bilder, sondern schildert Spaziergänge (die übrigens zu
den klassiscben Zeugnissen des erwachenden Natur-
gefühles der Rousseau-Periode gehören) — und bemerkt
nachträglich, daß er sich vor den Landschaften Vernets
vorgestellt habe, in den dargestellten Gegenden spazieren
gegangen zu sein. Neben den Genrebildern Greuzes
sind es wohl diese wie überhaupt die Landschaften
Vernets, denen er die größte Anerkennung zolit.

Diderot ist Kunstkritiker, nicht Kunsttheoretiker;
seine Betrachtungsweise ist analytisch, nicht synthetisch.
Er wendet sich gegen alte Mißbräuche, stellt aber nicht
klar und entschieden neue Forderungen auf. Oft wendet
er sich gegen den öden Akademismus, und er läßt den
Maler beten: „Erlöse mich vom Modell!“. Er will die
verstaubte, überalterte Barockschablone durch einen ge-
mäßigten Naturalismus ersetzen — aber es geht ihm
nicht unähnlich wie Voltaire in seinem Kampf gegen das
klassische Drama Frankreichs: beide greifen die Festung
der Tradition an, aber sehen doch davon ab, sie ganz
zu zerstören. Ein latenter unbewußter Hang zum Akade-
mismus ist es z. B., wenn Diderot Annäherung an die
Historienmalerei veriangt — obwohl er selbst die meiste
Freudean Greuze’s Genreszenen und Vernets Landschaften
hatte. Der offene Sinn Diderots für Naturschönheit und
sein feines Landschaftsgefühl veranlassen ihn doch nicht,
eine bedingungslose Nachahmung der Natur zu fordern.
Aber gerade in diesem Punkt liegt eine Schwäche seiner
Kunstanschauung: fordert er einmal der Akademie gegen-
über mehr Natur, wirkliche Natur, so lehnt er doch die
Nachahmung der Natur an anderer Stelle wieder ab. Er
erkennt, daß die Nachahmung nur individuelle Schönheit
schafft, und nur das künstlerische Genie absolute Schön-

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