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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Septemberheft
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Widmer, Johannes: Die Hodlerausstellung in Bern
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0042

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die dritte endlich reicht von 1900 ungefähr bis 1918,
dem Todesjahr des 1853 geborenen Meisters. Sein
klinstlerisches Werden und Wirken hat also nahezu ein
halbes Jahrhundert gedauert, es war ein ununterbrochener
Strom tiefer, reicher Geistigkeit durch ein mit Ehrfurcht
vor dem Welträtsel, aber mit schaffender, forschender,
formender Ehrfurcht gelittenes. drangvolles, geläutertes
Leben hin. Aus der unausgesetzten Dialektik dieses
Einzelnen, Ursprünglichen, Fruchtbaren mit der Welt,
mit dem Schicksal, erklärt sich der über allen Formen-
wandel hinaus reichende Einheitszug des Mannes und
des von ihm die Jahrzehnte der Anfechtung und der
Anerkennung hindurch Geschaffenen.

Denn, in der Tat, der Wandlungen sind viele.
Nicht zwei Werke, die sich im Puls ihres Blutes voll-
kommen glichen. Hodler ist der Wandelbare, Empfindungs-
reiche, Unersättliche. Wir kennen wenige und nur ganz
große Künstler, die ihres stets bereiten, kraftvollen
Könnens ungeachtet so wie er jeder Zeit prüften, um-
schufen, verdichteten, was sie schufen. Was, am äußersten
Ende seiner Laufbahn, in den letzten Lebensmonaten,
dem Leidenden gelang, die wundersamen Berg- und
Seelandschaften vom Januar bis zum April 1918, die ein
Fluß aus Gold und Purpur scheinen, sie beruhen auf
strengbemessenen und ausgeprobten Diagrammen und
Farbstudien des Mannes, der selbst dem Tod getrotzt hat.
Es war ein Schauspiel von herrlicher Tragik, wie der
Sterbende die winterliche Morgenglut über den Wassern,
die mildere silberblaue Breite des Sees am sonnigen
Nachmittag klar und fein auseinanderhielt, wobei ein
Bild im Wandel der Beleuchtung und der Stimmung das
andere, immer noch edlere, gebar. So war es in ver-
schiedenen Graden die ganzen fünfzig Jahre durch. Nichts
konnte Hodler mehr verletzen, als wenn Einer, der es
hätte spüren sollen, diese Reizsamkeit verkannte, übersah,
daß der gewaltig gestaltende Geschichtsmaler zugleich
der anteilsamste, zarteste, horchende Einzelseelenschilderer
war. Übrigens, man braucht sich nur die Gemälde der
Reihe nach zu vergegenwärtigen, auf denen Hodler „der
Menschheit große Gegenstände“ dargestellt hat, Marignano,
Näfels, Tell, Jena, Hannover, Murten, um einzusehen,
wie unablässig er sich erneuerte. Mag jene Werke alle
ein Band gemeinsamen Stils umschlingen, wie anders
sind unter sich, um nur zwei herauszugreifen, die
Deutschland zuteilgewordenen, Jena und Hannover!
Wenn man nun noch hinzufügt, wie jedes Wandbild auf
einem wahren Berge von Studien endloser Grade steht,
wie jede Figur, jede Gebärde durchgefühlt und immer
wieder verändert ist, so kann man nur staunen über die
Elastizität, über die seelenvolle Hingabe dieses seltenen
Geistes. Es gibt keinen schwereren Irrtum als ihn mit
den Nazarenern zu vergleichen: Hodler ist trotz der
Höhe seines Gedankenfluges von der besfen antäischen
Rasse, nie und nirgends verliert er den Boden unter
den Füßen. Der Traum wird stets am Leben auf sein
Recht hin gemessen und je nachdem gestaltet oder ver-
worfen, verlassen, vergessen. Hodler’s Werk ist wie ein
Wald; ewig regen sich die Blätter. Nichts ist starr, auch
die starke Eiche nicht.

Aber dieser Wandel ist in der Tat, so mächtig er
im einzelnen Fall wirkt, dem das Ganze sehenden, dem
auf den Grund gehenden Betrachter nur ein Wehen, in
dem das Laub sich regt. Den Stamm rührt es nicht, der
steht und Ringe ansetzt. Hodler’s Werk, so ewig be-
wegt, so unvergleichlich neu es von Jahr zu Jahr, von
Bild zu Bild, von einem Skizzenstadium zum andern ist,
wurzelt in einem standhaften und urtümlichen Menschen.
Ich sprach soeben von dem Schwanengesang — es sind
auch Schwäne drauf — des Meisters, den Landschaften
vom Jahre 1918. Nun, im ersten Raum der Ausstellung
findet sich der gleiche Gegenstand 1873 vom Lehrling
behandelt, der Hafen Genrs mit dem Hügelhang von
Cologny und Schwänen in der Rheede. Im Grunde ists
hier und dort dieselbe Kunst, die nämlichen Hauptzüge,
innerlichste Stimmungsgleichheit. Charakteristika 1873
wie 1918: breite, gedehnte Anlage, ungefähre Gleich-
wertigkeit der Sach- Farbstreifen, Verebnung der Einzel-
heiten im allgemeinen Wesen, Neigung zur Melodik der
zeichnerischen und tonigen Elemente, universale innige
Andachtstimmung, Ausscheidung alles Einmaligen wie
des vergänglichen Wetters, oder des Auftretens von
Menschen, Einheit der urnotwendigen Teile. Wenn Zu-
fälliges vorhanden ist, wie jene Schwäne oder anderswo
Bäume am Seestrand, oder ein Wolkensaum, so erfolgt
sachte Umformung oder Umordnung dieser Erscheinungen
in schmückende Begleitung des Hauptsächlichen, am
liebsten, wenn es irgend angeht, in eigentliche Kranz-
ornamente. Schon jene ersten Schwäne schwimmen
nicht ordnungslos dahin oder dorthin, aber sie sind
noch fleckenhaft, dem Orte nach, den sie im Bilde ein-
nehmen. Die letzten sind dem untern Bildrand nach
untereinander symmetrisch, im Verhältnis zu den andern
Bildbändern parallelistisch angebracht, so daß sie mit
doppelter Beziehungsdynamik wirken; außerdem sind sie,
es versteht sich wohl von selbst, dem detailentbundenen
Ganzen detaillos angepaßt und spielen im Dreiklang der
Elemente Erde, Wasser, Luft die Rolle, die nach Hodler’s
Gefiihl das animalisch-vegetative Leben überhaupt im
Vergleich zu jenen Grundstoffen auf unserem Planeten
spielt. Universell-dekorative Malerei ist es, was in
fünfzig Probejahren sich herausgestellt hat. Nichtsdesto-
weniger durchbraust Lebensfülle alles, was er schuf.
Nichts ist kahl. Nur freilich: Hodler’s Schönes ist das
der nackten Wahrheit. Auf diesen Pol hin ist alles, das
Starke und das Milde, gerichtet. Das Wunderbare ist,
wie die sachliche Welterfahrung und das malerische
Glücksverlangen dieses Künstlers sich allmählich restlos
zusammengefunden haben und einander helfen und ergänzen.

Was von den Landschaften 1873 und 1918 gilt,
gilt auch von den Bildnissen. Der „Studeni“ von 1874
einerseits, die Bildnisse W. Russ-Ycung 1911, Mathias
Morhardt 1913, General Wille (Frontal) 1915 anderseits
sind nach denselben, die vorhandenen Kraftrichtungen
betonenden, das Nebensächliche unterordnenden, es mit
der breiten, mürben Malerei aufsaugenden Prinzipien
aufgebaut. Hodler’s Sinn ging auf das Statuarische, in
welchem Begriff sowohl das Göttliche (so wie die Alten
und nach ihnen die romanische Zeit es ansahen), als das

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