Trauernde Frauen von einer Kreuzigung,
Schwaben (?) nach 1400
Lindenholz, H. 97 cm. — Frankfurter Privatbesitz
Swarzenski und unter opferwilligem Entgegenkommen der Besitzer
in 150 auserlesenen Bildwerken zusammengeordnet hat, bedeutet
eine große Ueberraschung; darüber hinaus aber eine hohe Aner-
kennung für den feinen Sinn der Samtnler wie für den Frank-
furter Kunsthandel. Schätze, die durch ihren Wert wie durch
ihren Erhaltungszustand jedem Museum zur Ehre gereichen
würden, treten hier zum ersten Male an die Oeffentlichkeit. Das
wissenschaftliche Ergebnis der Ausstellung, die im Oktober sich
wieder auflöst, zu sichern, ist eine mit vorzüglichen Tafeln aus-
gestattete Publikation berufen, die im Herbst von Professor
Swarzenski und Dr. 0. Schmitt im Verlag des Kunstvereins
herausgegeben wird.
Weil ein Spezialtorscher, O. Schmitt, Auswahl und Anord-
nung übernahm, konnte aus dem glänzenden Material ein Ieicht
iibersichtliches Bild der Stilentwicklung geschaffen werden. Die
zu allen Zeiten gepflegte Holzplastik ist auch dann fähig, Spiegel
des Kunstwollens einer Epoche zu sein; wenn diese, wie im
13. Jahrhundert, im Stein ihre Monumentalisierung gefunden hat.
Das sich unter westlichem Einfluß lockernde Gefüge erdgebun-
dener Schwere, schwindender Natursinn und organische Klarheit,
alle die Probleme der Friihzeit schneidet wie eine Lichterschei-
nung ab das vollentwickelte Ideal aristokratischer Schlankheit,
die edle Kurve der französischen Figur. Hier beginnt ein neuer
Stil. Die transzedentalen Kräfte deutscher Mystik treiben den
empfangenen Keim zu köstlichen Bliiten eigener Wesensart in der
Darstellung himmlischer Liebe und des Leidens. Erstarkende
Bürger und Städteherrlichkeit nach 1350 drückt sich derbe
Behäbigkeit vollrunder Formen aus. Um 1400 erfolgt eine male-
rische Auflösung; es entstehen unplastische Schöpfungen einer
leidenschaftlich erregten Zeit zur tiefen Versenkung in Affekte
der Seele. Die „trauernden Frauen“ sind der kaum zu iiberbietende
Ausdruck der Zeit, ein Glanzstück nicht nur der Ausstellung.
Das letzte gotische Jahrhundert, farbenfreudig und zeich-
nerisch, nimmt den breitesten Raum ein. Die Glieder tänzeln in
wieder erlangter Gelöstheit. Unter der krausen Flut der Gewän-
der verbirgt sich bis auf knappe Zeugen das sehr nahe Verhältnis
zur Natur. Es ist sowohl das Jahrhundert der großen Maler-
zeichner, wie das Riemenschneiders, Veit Stoss’, Adam Kraft’s
und Leinbergers. Der beiden ersten Meisters Originalwerke
stehen im großen Kreise „Unbekannter“, die oft nicht geringeren
Wertes sind, als die im selben Licht überlieferten Zunftgenossen.
Völlig erhaltene oder wertvolle Reste der für diese Zeit typischen
Schnitzaltäre wechseln mit Iebensgroßen Figuren. Ein ganz auf-
fälliges Werk ist die durch Komposition und Technik ausgezeich-
nete schwäbische Kreuzigung. Die letzten barocken Ausklänge
der Gotik, die unter des Meisters vom Breisacher Hochaltar (1524)
Namen als Stil Hans Leinbergers bezeichnet zu werden pflegen,
repräsentieren eine nicht kleine Zahl von in alter Bemalung
leuchtenden Skulpturen. Wahrlich, der Gang von der süd-
französischen thronenden Gottesmutter um 1170 bis zu Veit Voss
und Leinberger in den vier Sälen des Kunstvereins ist ein hoher,
festlicher Weg durch deutsches Kunstschaffen. Aber er ist auch
ein glänzendes Zeugnis für den zielsicheren und feinen Sammler-
geist einer führenden Kunststadt, die solche Schätze in ihren
Privathäusern zu bergen und so zu bewahren wußte.
W. K. Zülch.
Kunftaukttoneru
60171114-
Am 11. und 12. Oktober findet in Rudolph L e p k e s Kunst-
Auktions-Haus eine Versteigerung von Gemälden, Aquarellen,
Radierungen usw. neuererMeister statt. Unter den Gemälden
sind besonders hervorzuheben: Werke von A. Achenbach, J. Sperl,
L. v. Kalckreuth, Herm. Kauffmann, V. Brozik-Prag, B. Piglhein,
A. Chavannes, Th. Hagen, Bennevitz v. Loefen, F. Steinmetz-Noris,
A. Fink, G. Papperitz, E. Koerner u. a. Von den zum Ausgebot
gelangenden Radierungen seien eine ganze Anzahl Drucke der
Pan-Presse von W. Leibl, P. Halm, Max Liebermann, W. Leistikow,
GEMÄLDE
Aquarelle / Radierungen
neuerer Meister
KATALOG 1872 gegen Portoeinsendung
♦
Ausstellung: Sonntag den 9. und Montag den
""10. Oktober 1921, von 10 —2 Uhr.
Versteigerung: Dienstag den ll.und Mittwoch den
12. Oktober 1921, vorm. ab 10 Uhr.
♦
RUDOLF LEPRE’S
1
Kunst-AuKtions-Haus
BERLIN W. 35, Potsdamerstraße 122 a/b
_J
41
Schwaben (?) nach 1400
Lindenholz, H. 97 cm. — Frankfurter Privatbesitz
Swarzenski und unter opferwilligem Entgegenkommen der Besitzer
in 150 auserlesenen Bildwerken zusammengeordnet hat, bedeutet
eine große Ueberraschung; darüber hinaus aber eine hohe Aner-
kennung für den feinen Sinn der Samtnler wie für den Frank-
furter Kunsthandel. Schätze, die durch ihren Wert wie durch
ihren Erhaltungszustand jedem Museum zur Ehre gereichen
würden, treten hier zum ersten Male an die Oeffentlichkeit. Das
wissenschaftliche Ergebnis der Ausstellung, die im Oktober sich
wieder auflöst, zu sichern, ist eine mit vorzüglichen Tafeln aus-
gestattete Publikation berufen, die im Herbst von Professor
Swarzenski und Dr. 0. Schmitt im Verlag des Kunstvereins
herausgegeben wird.
Weil ein Spezialtorscher, O. Schmitt, Auswahl und Anord-
nung übernahm, konnte aus dem glänzenden Material ein Ieicht
iibersichtliches Bild der Stilentwicklung geschaffen werden. Die
zu allen Zeiten gepflegte Holzplastik ist auch dann fähig, Spiegel
des Kunstwollens einer Epoche zu sein; wenn diese, wie im
13. Jahrhundert, im Stein ihre Monumentalisierung gefunden hat.
Das sich unter westlichem Einfluß lockernde Gefüge erdgebun-
dener Schwere, schwindender Natursinn und organische Klarheit,
alle die Probleme der Friihzeit schneidet wie eine Lichterschei-
nung ab das vollentwickelte Ideal aristokratischer Schlankheit,
die edle Kurve der französischen Figur. Hier beginnt ein neuer
Stil. Die transzedentalen Kräfte deutscher Mystik treiben den
empfangenen Keim zu köstlichen Bliiten eigener Wesensart in der
Darstellung himmlischer Liebe und des Leidens. Erstarkende
Bürger und Städteherrlichkeit nach 1350 drückt sich derbe
Behäbigkeit vollrunder Formen aus. Um 1400 erfolgt eine male-
rische Auflösung; es entstehen unplastische Schöpfungen einer
leidenschaftlich erregten Zeit zur tiefen Versenkung in Affekte
der Seele. Die „trauernden Frauen“ sind der kaum zu iiberbietende
Ausdruck der Zeit, ein Glanzstück nicht nur der Ausstellung.
Das letzte gotische Jahrhundert, farbenfreudig und zeich-
nerisch, nimmt den breitesten Raum ein. Die Glieder tänzeln in
wieder erlangter Gelöstheit. Unter der krausen Flut der Gewän-
der verbirgt sich bis auf knappe Zeugen das sehr nahe Verhältnis
zur Natur. Es ist sowohl das Jahrhundert der großen Maler-
zeichner, wie das Riemenschneiders, Veit Stoss’, Adam Kraft’s
und Leinbergers. Der beiden ersten Meisters Originalwerke
stehen im großen Kreise „Unbekannter“, die oft nicht geringeren
Wertes sind, als die im selben Licht überlieferten Zunftgenossen.
Völlig erhaltene oder wertvolle Reste der für diese Zeit typischen
Schnitzaltäre wechseln mit Iebensgroßen Figuren. Ein ganz auf-
fälliges Werk ist die durch Komposition und Technik ausgezeich-
nete schwäbische Kreuzigung. Die letzten barocken Ausklänge
der Gotik, die unter des Meisters vom Breisacher Hochaltar (1524)
Namen als Stil Hans Leinbergers bezeichnet zu werden pflegen,
repräsentieren eine nicht kleine Zahl von in alter Bemalung
leuchtenden Skulpturen. Wahrlich, der Gang von der süd-
französischen thronenden Gottesmutter um 1170 bis zu Veit Voss
und Leinberger in den vier Sälen des Kunstvereins ist ein hoher,
festlicher Weg durch deutsches Kunstschaffen. Aber er ist auch
ein glänzendes Zeugnis für den zielsicheren und feinen Sammler-
geist einer führenden Kunststadt, die solche Schätze in ihren
Privathäusern zu bergen und so zu bewahren wußte.
W. K. Zülch.
Kunftaukttoneru
60171114-
Am 11. und 12. Oktober findet in Rudolph L e p k e s Kunst-
Auktions-Haus eine Versteigerung von Gemälden, Aquarellen,
Radierungen usw. neuererMeister statt. Unter den Gemälden
sind besonders hervorzuheben: Werke von A. Achenbach, J. Sperl,
L. v. Kalckreuth, Herm. Kauffmann, V. Brozik-Prag, B. Piglhein,
A. Chavannes, Th. Hagen, Bennevitz v. Loefen, F. Steinmetz-Noris,
A. Fink, G. Papperitz, E. Koerner u. a. Von den zum Ausgebot
gelangenden Radierungen seien eine ganze Anzahl Drucke der
Pan-Presse von W. Leibl, P. Halm, Max Liebermann, W. Leistikow,
GEMÄLDE
Aquarelle / Radierungen
neuerer Meister
KATALOG 1872 gegen Portoeinsendung
♦
Ausstellung: Sonntag den 9. und Montag den
""10. Oktober 1921, von 10 —2 Uhr.
Versteigerung: Dienstag den ll.und Mittwoch den
12. Oktober 1921, vorm. ab 10 Uhr.
♦
RUDOLF LEPRE’S
1
Kunst-AuKtions-Haus
BERLIN W. 35, Potsdamerstraße 122 a/b
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