Allerschönste und daher auch Seltenste gefallen konnte,
und dieses Allerbeste zu erwerben, überstieg schließlich
meine finanziellen Kräfte. So blieb mir nur die Wahl,
entweder das Sammeln aufzugeben — wer aber, der
dessen Reiz einmal kennen gelernt hat, bringt dies fertig?
— oder meine Kollektion zu verkaufen und neu zu be-
ginnen. Ich wählte das Letztere und ließ, nachdem ich
mich leider überzeugen mußte, daß die deutschen Museen
in ihren Mitteln zu knapp gehalten sind, dem großen
amerikanischen Sammler J. Pierpont
Morgan die Sammlung anbieten. Dieser
ließ durch einen großen Pariser Händler
etwa vierzig Uhren zu einem nach da-
maligen Begriffen sehr hohen Preise an-
kaufen und erwarb nach einem Jahre auch
den Rest. Morgan versprach ich, auch
ferner an ihn zu denken, wenn mir ein
ausnahmsweise schönes Stück vorkomme.
Dies gab mir Veranlassung, jedes Jahr
einige Male mit ihm zusammenzutreffen und
zwar in London, Paris oder Rom. Dadurch
hatte ich eine weitere gute Gelegenheit,
meine Kenntnisse im Kunstfache zu er-
weitern. Aber ich hatte auch Gelegen-
heit zu beobachten, wie dieser Milliardär, dem alle
Genüsse der Welt zur Verfügung standen, sein größtes
Glück nicht im Erraffen von Reichtümern, sondern im
Sammeln und Anschauen von Kunstwerken fand. Mochten
dem mit Arbeit überlasteten Manne noch
so wichtige Finanztransaktionen vorliegen:
am 31. Dezember jeden Jahres reiste er
von New-York nach Europa. In einem der
italienischen Hafenplätze erwartete ihn seine
mit großem Komfort ausgestattete Dampfyacht
„Corsaire“, um ihn nach Kairo zu bringen.
In Ägypten, dem Lande der Sonne und
der großen alten Kunst, verbrachte er ge-
wöhnlich sechs Wochen. Er fuhr den Nil
hinauf, besuchte die berühmten Tempel-
bauten von Phylä und die sonstigen er-
staunlichen Bauwerke der alten Ägypter, an
denen gemessen unsere heutigen Bauten
uns anmuten wie Erzeugnisse kraftloser
Epigonen, und reiste dann gewöhnlich
über Rom und Florenz nach New-York zu-
rück, wo ihn stets eine aufreibende Tätig-
keit erwartete.
Nach seinem Tode fing ich wieder zu
sammeln an; immer mehr kam ich dabei
zu der Überzeugung, daß man beim Sammeln nicht
die Quantität, sondern die Qualität erstreben soll.
So ist zwar meine heutige Sammlung nicht sehr um-
fangreich, aber sie befriedigt mich weit mehr als eine
große Kollektion, in der die Mittelmäßigkeiten über-
wiegen.
Die große Menge ist leicht geneigt, auf die Lieb-
haber von Altertümern mit einer Art mitleidiger Gering-
schätzung herabzublicken und ihre Neigung für das Alte
als eine Art Schwäche zu betrachten. Der Sammler lebt
Goldemail-Kreuzuhr in Bergkristall
16. Jahrhur.dert
Zeit noch
Bijou- Uhr
um 1600
ja in der Tat zwei Leben, das realistische seines Berufes
und das idealistische seiner Sammeltätigkeit. Aber welch’
reine Freude genießt er in diesem! Kein Geringerer als
Goethe faßte die mannigfachen Anregungen des Sammlers,
seine harmlosen Freuden und geistigen Genüsse in den
Ausspruch zusammen: „Der Sammler ist ein glücklicher
Mensch!“
Und zweifellos hat er damit ein wahres Wort ge-
sprochen, soweit man eben in unserem unvollkommenen
Leben von Glück sprechen kann. Wenn
schon der Laie von einem alten Gegen-
stand angezogen wird, wieviel mehr
noch ein Sammler, dem die alten
Stücke eine Sprache reden, die nur er
ganz versteht. Ein Beispiel für Viele!
Mein Wohnzimmer schmückt eine eiserne
durchbrochene Wanduhr aus dem fünf-
zehnten Jahrhundert, deren gotisches
feingezeichnetes Zifferblatt in vergoldetem
Eisen getrieben ist. Sie versetzt uns
zurück in die Zeit, da die Gotik ihre
herrlichen Dome der Christenheit errichtete
und sie zu geistiger Sammlung und
Erhebung vereinte. Amerika war zu jener
nicht entdeckt, die Buchdruckerkunst
noch nicht erfunden, die Dampfkraft und Elektrizität
noch unbekannt — alle die großen Männer aus der
großen Zeit der Reformation waren der Menschheit
noch nicht erstanden. Was mag diese Uhr
in dem langen, langen Zeitraume schon
alles erlebt haben!
Ein Kind des Mittelalters ist ihr unsere
Zeit unverständlich geworden; ihr Hasten
und Drängen begreift sie nicht, ebenso
wie das heutige Geschlecht sie nicht
begreift, wenn sie in ihren langsamen,
bedächtigen Schwingungen gemessen ihren
alten Gang geht.
Aber der Sammler begreift sie; er
versteht ihre beredte Sprache und ihre
gelassene Ruhe, denn er kennt die Ver-
hältnisse, unter denen sie ins Leben
trat, und weiß, daß ihrem Jahrhundert
der häßliche Satz: „Zeit ist Geld“ noch un-
bekannt war.
Ja, es kommt ihm vor, als verstehe sie
auch ihn und ermahne ihn zur Ausdauer,
wenn er über den langsamen Gang der
Menschheitsentwicklung ungeduldig werden
und spreche zu ihm in ihrer Greisinnenart
will,
also:
„Ich habe viel größeres Unrecht angesehen, als
du es heutev erblickst, Folter, Leibeigenschaft, Hexen-
verbrennung und hundert schlimme Dinge mehr; alle hat
meine starke Gebieterin, die Zeit, überwunden und sie
wird auch mit den Fragen und Mißständen fertig werden,
die heute die Menschheit beschäftigen und bedrücken.
Aber ihr gewohntes langsames Tempo kann sie nicht
ändern.
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und dieses Allerbeste zu erwerben, überstieg schließlich
meine finanziellen Kräfte. So blieb mir nur die Wahl,
entweder das Sammeln aufzugeben — wer aber, der
dessen Reiz einmal kennen gelernt hat, bringt dies fertig?
— oder meine Kollektion zu verkaufen und neu zu be-
ginnen. Ich wählte das Letztere und ließ, nachdem ich
mich leider überzeugen mußte, daß die deutschen Museen
in ihren Mitteln zu knapp gehalten sind, dem großen
amerikanischen Sammler J. Pierpont
Morgan die Sammlung anbieten. Dieser
ließ durch einen großen Pariser Händler
etwa vierzig Uhren zu einem nach da-
maligen Begriffen sehr hohen Preise an-
kaufen und erwarb nach einem Jahre auch
den Rest. Morgan versprach ich, auch
ferner an ihn zu denken, wenn mir ein
ausnahmsweise schönes Stück vorkomme.
Dies gab mir Veranlassung, jedes Jahr
einige Male mit ihm zusammenzutreffen und
zwar in London, Paris oder Rom. Dadurch
hatte ich eine weitere gute Gelegenheit,
meine Kenntnisse im Kunstfache zu er-
weitern. Aber ich hatte auch Gelegen-
heit zu beobachten, wie dieser Milliardär, dem alle
Genüsse der Welt zur Verfügung standen, sein größtes
Glück nicht im Erraffen von Reichtümern, sondern im
Sammeln und Anschauen von Kunstwerken fand. Mochten
dem mit Arbeit überlasteten Manne noch
so wichtige Finanztransaktionen vorliegen:
am 31. Dezember jeden Jahres reiste er
von New-York nach Europa. In einem der
italienischen Hafenplätze erwartete ihn seine
mit großem Komfort ausgestattete Dampfyacht
„Corsaire“, um ihn nach Kairo zu bringen.
In Ägypten, dem Lande der Sonne und
der großen alten Kunst, verbrachte er ge-
wöhnlich sechs Wochen. Er fuhr den Nil
hinauf, besuchte die berühmten Tempel-
bauten von Phylä und die sonstigen er-
staunlichen Bauwerke der alten Ägypter, an
denen gemessen unsere heutigen Bauten
uns anmuten wie Erzeugnisse kraftloser
Epigonen, und reiste dann gewöhnlich
über Rom und Florenz nach New-York zu-
rück, wo ihn stets eine aufreibende Tätig-
keit erwartete.
Nach seinem Tode fing ich wieder zu
sammeln an; immer mehr kam ich dabei
zu der Überzeugung, daß man beim Sammeln nicht
die Quantität, sondern die Qualität erstreben soll.
So ist zwar meine heutige Sammlung nicht sehr um-
fangreich, aber sie befriedigt mich weit mehr als eine
große Kollektion, in der die Mittelmäßigkeiten über-
wiegen.
Die große Menge ist leicht geneigt, auf die Lieb-
haber von Altertümern mit einer Art mitleidiger Gering-
schätzung herabzublicken und ihre Neigung für das Alte
als eine Art Schwäche zu betrachten. Der Sammler lebt
Goldemail-Kreuzuhr in Bergkristall
16. Jahrhur.dert
Zeit noch
Bijou- Uhr
um 1600
ja in der Tat zwei Leben, das realistische seines Berufes
und das idealistische seiner Sammeltätigkeit. Aber welch’
reine Freude genießt er in diesem! Kein Geringerer als
Goethe faßte die mannigfachen Anregungen des Sammlers,
seine harmlosen Freuden und geistigen Genüsse in den
Ausspruch zusammen: „Der Sammler ist ein glücklicher
Mensch!“
Und zweifellos hat er damit ein wahres Wort ge-
sprochen, soweit man eben in unserem unvollkommenen
Leben von Glück sprechen kann. Wenn
schon der Laie von einem alten Gegen-
stand angezogen wird, wieviel mehr
noch ein Sammler, dem die alten
Stücke eine Sprache reden, die nur er
ganz versteht. Ein Beispiel für Viele!
Mein Wohnzimmer schmückt eine eiserne
durchbrochene Wanduhr aus dem fünf-
zehnten Jahrhundert, deren gotisches
feingezeichnetes Zifferblatt in vergoldetem
Eisen getrieben ist. Sie versetzt uns
zurück in die Zeit, da die Gotik ihre
herrlichen Dome der Christenheit errichtete
und sie zu geistiger Sammlung und
Erhebung vereinte. Amerika war zu jener
nicht entdeckt, die Buchdruckerkunst
noch nicht erfunden, die Dampfkraft und Elektrizität
noch unbekannt — alle die großen Männer aus der
großen Zeit der Reformation waren der Menschheit
noch nicht erstanden. Was mag diese Uhr
in dem langen, langen Zeitraume schon
alles erlebt haben!
Ein Kind des Mittelalters ist ihr unsere
Zeit unverständlich geworden; ihr Hasten
und Drängen begreift sie nicht, ebenso
wie das heutige Geschlecht sie nicht
begreift, wenn sie in ihren langsamen,
bedächtigen Schwingungen gemessen ihren
alten Gang geht.
Aber der Sammler begreift sie; er
versteht ihre beredte Sprache und ihre
gelassene Ruhe, denn er kennt die Ver-
hältnisse, unter denen sie ins Leben
trat, und weiß, daß ihrem Jahrhundert
der häßliche Satz: „Zeit ist Geld“ noch un-
bekannt war.
Ja, es kommt ihm vor, als verstehe sie
auch ihn und ermahne ihn zur Ausdauer,
wenn er über den langsamen Gang der
Menschheitsentwicklung ungeduldig werden
und spreche zu ihm in ihrer Greisinnenart
will,
also:
„Ich habe viel größeres Unrecht angesehen, als
du es heutev erblickst, Folter, Leibeigenschaft, Hexen-
verbrennung und hundert schlimme Dinge mehr; alle hat
meine starke Gebieterin, die Zeit, überwunden und sie
wird auch mit den Fragen und Mißständen fertig werden,
die heute die Menschheit beschäftigen und bedrücken.
Aber ihr gewohntes langsames Tempo kann sie nicht
ändern.
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