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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

DOI issue:
1. Maiheft
DOI article:
Friedländer, Max J.: Geschmackswandlung und Kunsthandel
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0462

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länder sich zurückhielten. Die Passion für nulländische
Gemälde, im besonderen für die sogenannten Klein-
meister war überwiegend eine deutsche Angelegen-
heit. Selbst die in Paris ansässigen Sammler auf
diesem Felde waren, bei Licht besehen, keine Franzo-
sen, weder die Brüder Kann, noch Ad. Schloß, wie auch
die in Paris maßgebenden Kenner und Händler, Bour-
geois, Sedelmeyer und Kleinberger aus Deutschland
oder über Deutschland eingewandert waren. Die spe-
zifisch französische Kennerschaft und Sammellust hat
sich mehr hingezogen gefühlt zu verfeinerter kunstge-
werblicher Arbeit, zu der stilstrengen Kuriosität des
Mitttelalters, zu den Perioden der nationalen Kunstblüte
im 13., 18. und 19. Jahrhundert, endlich zu allem
Exotischen.

Jetzt sind weder Holland noch die Schweiz kauf-
kräftig genug oder besser: kaufwillig genug, die feh-
lende deutsche Nachfrage zu ersetzen oder gar das
deutsche Angebot aufzunehmen. Zur Zeit haben die
valutastarken Länder, von denen das Heii kommen soll,
ihre besonderen Sorgen, die der Kaufneigung ebenso
stark entgegenwirken wie die verminderte Kaufkraft in
den valutaschwachen Ländern. Heute liegt der Fall so,
daß der Amerikaner erstaunt ist iiber die Kaufgier des
Österreichers und des Deutschen, die Deutschen aber
sich wundern über die Zurückhaltung und Sparsamkeit
der Amerikaner. An Mitteln fehlt es überall, hier, weil
das Geld so wenig gilt, dort, weil wenig verdient
worden ist. Demzufolge macht sich, wenn auch nicht
eigentlich ein Sinken der Preise, wohl aber eine
Stockung des Verkehrs bemerkbar.

Wenn in der letzten Zeit ein deutscher Händler
oder Spekulant dem anderen ein Kunstwerk abnahm,
und eine Scheinblüte des Handels hervorgerufen wurde,
so geschah dies, weil jedermann von dem Warenhunger
angesteckt, das Geld, mit dem man üble Erfahrungen
gemacht hatte, loswerden wollte, und es geschah letzten
Endes im Hinblick auf das Ausland.

Über die Zustände im Ausland, über den dort herr-
schenden Geschmack, besonders über die Bedürfnisse
Amerikas ist man aber unzureichend orientiert. Die-
jenigen amerikanischen Sammler, deren gigantische
Passionen dem Kunstmarkt in den letzten Jahrzehnten
Halt und Stiitze gegeben und die Phantasie der euro-

päischen Spekulation erhitzt haben, sind nicht mehr
unter den Lebenden. Pierpont Morgan allein war ein
Erdteil. Und nicht nur er fehlt, auch Frick, Widener,
Johnson, Altrnan sind kurz vor oder während des
Krieges gestorben.

In bezug auf die Preise, die drüben gezahlt worden
sind, hat man vielfach irrtümliche, nämlich zu hohe, An-
gaben verbreitet, teilweise tendenziös im Interesse des
Geschäfts, teilweise aus bloßer Lust an großen Zahlen.
Überdies prägen sich die Rekordziffern tiefer dem Ge-
dächtnis ein als die Zahlen des Niveaus.

Ohne Zweifel wird Amerika die gegenwärtige Un-
lust überwinden, eine neue Generation von Sammlern
hervorbringen und den Markt in Zukunft beherrschen.
Das gewaltig wachsende, in Kulturangelegenheiten ehr-
geizige, an Kunstbesitz vergleichsweise arme Land
wird als ein unwiderstehlicher Magnet wirken. Und
mehr als bisher muß sich diese Wirkung systematisch
auf viele Kunstgattungen erstrecken, nachdem, was
nicht ausbleiben kann, die öffentlichen Samlungen drü-
ben mit ihrer Tätigkeit einsetzen und für ilire Ver-
waltung kunsthistorisch gebildete Kräfte gewonnen
haben werden.

Fürs nächste gilt es den in Amerika herrschenden
Geschmack scharf zu beobachten, der gewisse Dinge
bevorzugt uud andere vernachlässigt. Eine gesteigerte
Nachfrage nach „primitiven“ Gemälden, besonders nach
italienischen Trecento-Tafeln ist deutlich zu beobach-
teu. In Wechselbeziehung mit dem intensix en Studiu.m
italienischer Malkunst hat sich eine entschiedene Nei-
gung für den strengen Stil der friihen italienischen
J'afelmalerei entwickelt. Das dem banalen Ailtag
P:ernste wird am eifrigsten gesucht. Die bürgerliche
Natürlichkeit der holländischen Malerei und selbst die
Salonkunst des 18. Jahrhunderts ist zurückgetreten.
Gelehrte, die mit dem Handel in mehr oder weniger
harmloser Art verbunden sind, regen in den Kreisen der
jüngeren Sammler das Interesse an den Gegenständen
ihres Studiums an. Und. wie es zu gehen pflegt, mit der
gesteigerten Nachfrage ist eine erstaunlich große Menge
italienischer, namentlich Sienesischer Bilder, auf den
Markt gekommen. Der italienische und der englische
Privatbesitz war überraschend ergiebig.

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